Sehr viele Familien bekommen heute die Folgeerscheinungen von Herzgefäßerkrankungen schmerzhaft und unmittelbar zu spüren. Dieses Leiden führt durchaus nicht immer zum Tode, sondern macht die Betroffenen oft nur unfähig, weiterhin ihrem Beruf nachzugehen.
Es ist schon viel getan worden, um die Ursachen der Krankheit und die Möglichkeiten eines Schutzes vor dieser Geißel der Menschheit zu erforschen, aber es bleibt noch viel zu tun. Da der vom Staat finanzierten Forschung angesichts der augenblicklich zur Verfügung stehenden Mittel notwendigerweise Grenzen gesetzt sind, ist es unumgänglich geworden, die Öffentlichkeit zu einer Unterstützung der von privaten Institutionen durchgeführten, unverzichtbaren Forschungsvorhaben aufzurufen.
Wir wissen aber auch, daß viele Menschen es nicht sehr schätzen, mit Bettelbriefen belästigt zu werden. Deshalb möchten wir Sie bitten, die Liga dadurch zu unterstützen, daß Sie etwas von ihr kaufen. Wir folgen hier dem gleichen Prinzip, das dem Verkauf von Weihnachtskarten zugrunde liegt, der schon so viel Gutes in so vielen verschiedenen Bereichen bewirkt hat. Nach reiflicher Überlegung hat sich der Vorstand unseres Vereins entschlossen, ein hochwertiges, speziell für die Pflege antiker Möbel entwickeltes Politurwachs zum Kauf anzubieten.
Das Wachs wird in 250-g-Dosen geliefert und entspricht in seiner Qualität den Anforderungen von Restauratoren und Museumsfachleuten. Wir bieten Ihnen die Dose zum Stückpreis von fünf Pfund an und garantieren, daß wenigstens drei Viertel des erzielten Gewinns der Herzforschung zugute kommen.
Das Wachs dient der Erhaltung Ihrer Möbelstücke, Ihr finanzieller Beitrag aber einer guten Sache, die unser aller Anliegen sein muß — mit Ihrer Hilfe werden vielleicht schon bald wesentliche Fortschritte in der Erforschung und Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit erzielt.
Wenn Sie einen Beitrag leisten möchten, so schicken Sie ihn bitte an die oben genannte Adresse und stellen Sie den Scheck auf die Liga zur Erforschung der Koronarerkrankungen aus. Sie bekommen dann das Wachs umgehend zugeschickt — und dürfen der Dankbarkeit zukünftiger Herzpatienten überall in unserem Lande gewiß sein.
Mit freundlichen Grüßen Assistentin der Geschäftsführung
Ich pfiff anerkennend, faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein. Rührseliges Zeug, das Angebot einer reellen Gegenleistung und dazu der dezente Hinweis, daß es einen irgendwann selbst erwischen könnte, wenn man nichts ausspuckte. Laut Charles hatte diese Mischung ihre Wirkung ja auch nicht verfehlt.
Der zweite Pappkarton enthielt etliche tausend weiße Briefumschläge. Der dritte war zur Hälfte mit zumeist handgeschriebenen Briefen auf allen nur denkbaren Arten von Schreibpapier gefüllt — Wachsbestellungen, alle mit dem Hinweis» Scheck anbei «versehen.
Der vierte Karton enthielt vorgedruckte Dankschreiben, in denen zu lesen stand, daß die Liga den Erhalt des Betrages mit Dank bestätige und sich erlaube, beiliegend die Dose Wachs zu übersenden.
Der fünfte Pappkarton, halb leer, und der sechste, noch ungeöffnet und voll, enthielten flache, weiße Schachteln, etwa zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß und fünf Zentimeter hoch. Ich nahm eine heraus und schaute hinein. Darin befand sich eine flache, runde Dose ohne Aufschrift, mit fest zugeschraubtem Deckel. Der widersetzte sich zunächst meinen Bemühungen, aber schließlich bekam ich ihn doch auf. Die Dose enthielt eine weiche, mittelbraune Mixtur, die durchaus nach Möbelpolitur roch. Ich schloß den Deckel wieder, schob die Dose in die Schachtel zurück und stellte sie beiseite, um sie später mitzunehmen.
Mehr war anscheinend nicht vorhanden. Ich durchsuchte das Zimmer noch einmal gründlich, spähte in alle Ecken und sogar in die Ritzen zwischen den Sesselpolstern, aber nicht einmal eine Stecknadel wollte sich finden lassen.
Ich nahm die weiße Schachtel und ging langsam zum Wohnzimmer zurück, wobei ich die geschlossenen Türen eine nach der anderen öffnete, um nachzuschauen, was sich hinter ihnen verbarg. Da waren zwei, zu denen Louise nichts gesagt hatte — die eine gehörte zu einem in die Wand eingebauten Wäscheschrank, die andere zu einer kleinen, unmöblierten Kammer, in der sich Koffer und allerlei Gerümpel befanden.
Jennys Zimmer hatte einen ganz entschieden femininen Akzent — weiß und rosa, leichte, gekräuselte Stoffe, in der Luft ein Hauch ihres Parfüms, des Veilchendufts von Mille. Zwecklos, sich an das erste Fläschchen zu erinnern, das ich ihr vor vielen Jahren in Paris geschenkt hatte. Zuviel Zeit war seitdem vergangen. Ich schloß die Tür hinter dem Duft und den Erinnerungen und ging weiter zum Bad.
Ein weißes Badezimmer. Riesige, flauschige Handtücher. Grüner Teppichboden, grüne Zimmerpflanzen. Spiegel an zwei Wänden, leicht und hell. Keine herumliegenden Zahnbürsten, alles in Schränkchen, alles sehr sauber. Alles sehr Jenny. Roger & Gallet-Seife.
Die berufsmäßige Schnüffelei hatte mir einiges an Skrupeln genommen. Fast ohne zu zögern öffnete ich auch Louises Tür und spähte in ihr Zimmer, wobei ich auf mein Glück vertraute, daß sie nicht in den Flur herauskommen und mich ertappen würde.
Das organisierte Chaos, das war mein Eindruck. Haufen von Papier und Büchern, wo man nur hinsah. Kleidungsstücke auf Stühlen. Ungemachtes Bett — nicht verwunderlich, denn daraus hatte ich sie ja aufgescheucht.
Ein Waschbecken in der Ecke, kein Verschluß auf der Zahnpastatube, eine zum Trocknen aufgehängte Strumpfhose. Eine offene Pralinenschachtel, ein wüstes Durcheinander auf dem Frisiertischchen. Eine hohe Vase, in der Roßkastanienknospen aufzublühen begannen. Keinerlei Duft. Kein Langzeitschmutz, nur Oberflächendurcheinander. Der blaue Morgenrock auf dem Boden. Das Zimmer war weitgehend wie das von Ashe eingerichtet — und man konnte deutlich erkennen, wo Jenny aufhörte und Louise anfing.
Ich zog den Kopf zurück und schloß die Tür — ich war unentdeckt geblieben. Louise hatte sich nur zu gern vom Aufräumen ablenken lassen und saß, in ein Buch vertieft, im Wohnzimmer auf dem Fußboden.
«Ach, hallo«, sagte sie und sah geistesabwesend auf, als hätte sie ganz vergessen, daß ich da war.»Sind Sie fertig?«
«Es muß doch noch andere Unterlagen geben«, sagte ich.
«Briefe, Rechnungen, Kassenbücher, solche Sachen.«
«Die hat die Polizei an sich genommen.«
Ich setzte mich ihr gegenüber aufs Sofa.»Wer hat die Polizei verständigt?«fragte ich.»Jenny?«
Sie legte die Stirn in Falten.»Nein. Jemand hatte sich beschwert, daß der Verein gar nicht als gemeinnützig registriert sei.«
«Wer war das?«
«Das weiß ich nicht. Jemand, der einen von diesen Briefen bekommen hat und der Sache nachgegangen ist. Die Hälfte der Schirmherren und Vorstände gibt’s gar nicht, und die anderen hatten keinen Schimmer, daß ihre Namen benutzt wurden.«
Ich dachte kurz nach.»Was hat Ashe veranlaßt, sich just zu diesem Zeitpunkt aus dem Staub zu machen?«
«Das wissen wir nicht. Vielleicht hat auch hier jemand angerufen und sich beschwert — und da ist er auf und davon, solange noch Zeit dazu war. Er war schon eine Woche weg, als die Polizei hier erschien.«
Ich stellte die weiße Schachtel auf den Couchtisch.»Wo kam das Wachs her?«
«Von irgend so einer Firma. Jenny schickte ihre Bestellungen hin, und dann wurde es hierher geliefert. Nicky wußte, wo es herkam.«
«Rechnungen?«»Hat die Polizei mitgenommen.«
«Diese Bettelbriefe… wer hat die drucken lassen?«
Sie sagte:»Natürlich Jenny. Nicky hatte auch welche, genau dieselben, nur stand bei denen sein Name da, wo dann Jennys eingedruckt wurde. Er sagte uns, daß es keinen Zweck mehr habe, weitere Briefe mit seinem Namen und seiner Adresse zu verschicken, weil er doch umgezogen sei. Ihm war so sehr daran gelegen, weiter für die gute Sache tätig zu sein.«