Abstammung überzeugt war, so hätte ich mich wohl einer Minderheit zurechnen müssen.
«Also, hinter was sind Sie denn nun her, Sid?«sagte er.
«Ich wollte mir eine Stute ansehen, Tom. Sie steht hier bei Ihnen. Bin ganz allgemein an ihr interessiert.«
«Ach ja? Welche denn?«
«>Bethesda<.«
Sein Ausdruck wechselte übergangslos von halber Belustigung zu absolutem Nichtbelustigtsein. Seine Augen verengten sich, und er sagte barsch:»Was ist mit ihr?«
«Na ja… hat sie beispielsweise gefohlt?«
«Sie ist tot.«
«Tot?«
«Sag ich doch. Sie ist tot. Sie kommen besser mal mit ins Haus.«
Er drehte sich um und stapfte mir voraus. Sein Haus war alt, dunkel und muffig. Alles Leben spielte sich draußen ab, auf den Koppeln, in der Deckstation, in den Boxen, in denen die Stuten ihre Fohlen warfen. Hier drinnen tickte eine schwere Uhr in die Stille hinein, und in der Luft lag kein Sonntagsbratenduft.
«Kommen Sie herein.«
Der Raum, in den er mich führte, war eine Mischung aus Eßzimmer und Büro — ein wuchtiger alter Tisch und ebensolche Stühle auf der einen Seite, Aktenschränke und abgewetzte Sessel auf der anderen. Kein Versuch, durch kosmetische Maßnahmen das Wohlgefallen der Besucher zu erregen. Verkäufe wurden draußen abgeschlossen, ohne große Formalitäten.
Tom setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches, und ich hockte mich auf die Lehne eines der Sessel — es war nicht die Art von Unterhaltung, zu der man sich entspannt und bequem niederließ.
«Nun mal raus damit«, sagte er.»Warum erkundigen Sie sich nach>Bethesda<?«
«Ich hab mich halt gefragt, was aus ihr geworden ist.«
«Machen Sie mir doch nichts vor, teurer Freund. Sie fahren bestimmt nicht die ganze Strecke hier raus, nur weil sie ganz allgemein an dem Pferd interessiert sind. Wozu brauchen Sie die Informationen?«
«Ein Klient von mir möchte sie haben.«
«Welcher Klient?«
«Wenn ich für Sie arbeiten würde«, sagte ich,»und Sie hätten mich um Verschwiegenheit gebeten, meinen Sie, ich würde Ihren Namen nennen?«
Er betrachtete mich mit säuerlicher Aufmerksamkeit.
«Nein, alter Junge, wahrscheinlich nicht. Und was >Be-thesda< angeht, gibt’s da eigentlich auch keine großen Geheimnisse. Sie ist beim Fohlen eingegangen. Das Fohlen hat ebenfalls nicht überlebt. Wäre ein Hengst geworden, allerdings kein sehr kräftiger.«
«Tut mir leid«, sagte ich.
Er zuckte die Achseln.»Kommt halt vor. Allerdings nicht sehr oft. Das Herz hat versagt.«
«Das Herz?«
«Genau. Das Fohlen hatte die falsche Lage, und die Stute hat sich zu lange quälen müssen. Als wir merkten, daß es Probleme gab, konnten wir das Fohlen zwar noch in ihr drehen, aber dann hat sie ganz plötzlich aufgegeben. Nichts mehr zu machen. Mitten in der Nacht, natürlich, das ist ja meistens so.«
«War ein Tierarzt da?«»Klar war einer da. Ich hab ihn angerufen, als es bei ihr losging, weil sich absehen ließ, daß es eine heikle Sache werden könnte. Erster Wurf, die Herzgeräusche und so weiter.«
Ich runzelte die Stirn.»Hatte sie den Herzfehler schon, als sie herkam?«
«Aber sicher doch, alter Junge. Deshalb ließ man sie ja auch keine Rennen mehr laufen. Sie wissen nicht sehr viel über sie, was?«
«Nein«, sagte ich.»Erzählen Sie mal.«
Er zuckte mit den Schultern.»Sie kam bekanntlich aus dem Stall von George Caspar. Ihr Besitzer wollte sie wegen ihrer Form als Zweijährige zur Zuchtstute machen, also haben wir sie von Timberley decken lassen, was uns einen Flieger hätte bescheren sollen. Tja, aber so geht’s halt manchmal. Die allerschönsten Pläne und bums, aus.«
«Wann ist sie eingegangen?«
«Vor einem Monat, so ungefähr.«
«Danke, Tom. «Ich stand auf.»Danke für die Zeit, die Sie mir geopfert haben.«
Er schob sich von der Tischkante herunter.»Ziemlich lahme Sache für Sie, diese Rumfragerei, was? Ich bringe das noch immer nicht mit dem alten Sid Halley zusammen, der mit Karacho und Mumm über die Hindernisse gesaust ist.«
«Die Zeiten ändern sich, Tom.«
«Tja, ist wohl so. Aber ich wette, daß es Ihnen fehlt, das Gebrüll auf den Tribünen, wenn Sie ans letzte Hindernis kommen und Ihr Pferd drüberlüpfen. «Sein Gesicht spiegelte erinnerte Erregung wider.»Mein Gott, das war schon toll. Als könnte Sie aber auch gar nichts erschüttern… Weiß wirklich nicht, wie Sie das immer gemacht haben.«
Wahrscheinlich meinte er es gut, aber ich wünschte mir dennoch, er würde damit aufhören.
«Schon großes Pech, daß Sie Ihre Hand verloren haben. Aber bei Jagdrennen ist das eben drin. Daß man sich das Kreuz bricht und so. «Wir setzten uns in Richtung auf die Tür in Bewegung.
«Wer solche Rennen reitet, muß die Risiken in Kauf nehmen.«
«So ist es«, sagte ich.
Wir gingen hinaus zu meinem Wagen.
«Sie kommen mit diesem Apparat da aber ganz gut zurecht, oder? Ich meine, Sie können damit Auto fahren und so.«
«Ist ’ne feine Sache.«
«Na prima, alter Junge. «Er wußte, daß es das nicht war. Er wollte mich wissen lassen, daß es ihm leid tat, und er hatte sein Bestes gegeben. Ich lächelte ihm zu, stieg ein, hob grüßend die Hand und fuhr davon.
In Aynsford hatten sie sich im Wohnzimmer versammelt und tranken einen Sherry vor dem Essen — Charles, Toby und Jenny.
Charles reichte mir ein Glas Fino, Toby sah an mir herunter, als käme ich geradewegs aus dem Schweinestall, und Jenny berichtete, daß sie mit Louise telefoniert hatte.
«Wir dachten schon, du wärst weggelaufen. Du hast die Wohnung bereits vor zwei Stunden verlassen.«
«Sid läuft nicht weg«, sagte Charles in einem Ton, als stelle er eine Tatsache fest.
«Dann hinkt er eben weg«, sagte Jenny.
Toby warf mir über den Rand seines Glases spöttische Blicke zu — er genoß den kleinen Triumph über den aus dem Feld geschlagenen Nebenbuhler. Ich fragte mich, ob er wirklich begriffen hatte, wie stark Jennys Gefühle für Nicholas Ashe waren, oder ob es ihm, wenn er es wußte, einfach egal war.
Ich nahm einen Schluck Sherry — ein dünner, trockener Geschmack, dem Anlaß durchaus angemessen. Essig wäre vielleicht noch passender gewesen.
«Wo hast du eigentlich die ganze Möbelpolitur gekauft?«fragte ich.
«Daran kann ich mich nicht erinnern. «Sie sprach deutlich, betonte jede Silbe, stellte sich absichtlich stur.
«Jenny!«protestierte Charles.
Ich seufzte.»Die Polizei hat die Rechnungen, Charles, und da stehen Name und Adresse der Wachsfirma drauf. Könntest du deinen Freund Oliver Quayle bitten, sie bei der Polizei in Erfahrung zu bringen und mir zukommen zu lassen?«
«Sicher doch«, sagte er.
«Ich sehe nicht ein«, sagte Jenny in unverändertem Tonfall,»was es nützt, wenn er weiß, wer das Wachs geliefert hat.«
Es schien, als stimme ihr Charles im stillen zu. Ich enthielt mich einer Äußerung, denn es war nicht auszuschließen, daß die beiden recht hatten.
«Louise meinte, du hättest stundenlang herumgeschnüf-felt.«
«Sie gefiel mir«, sagte ich milde.
Wie stets, verriet Jennys Nase ihr Mißfallen.»Sie ist dir haushoch über, Sid«, sagte sie.
«Inwiefern?«
«Grips, mein Liebling.«
Charles fragte besänftigend:»Jemand noch Sherry?«, und ging herum, um nachzuschenken. Zu mir bemerkte er:»Ich glaube, Louise hat ihr Mathematikstudium in Cambridge mit Prädikatsexamen abgeschlossen. Ich habe einmal mit ihr Schach gespielt… du würdest sie mit Leichtigkeit schlagen.«