«Nein. Schießen Sie los. «Er blickte auf die Uhr.»Reichen zehn Minuten? Ich habe nämlich noch einen Termin in Newmarket.«
«Es geht eigentlich um nichts Besonderes«, sagte ich.»Ich bin bloß gekommen, um mich nach dem Gesundheitszustand und so weiter von zwei Hengsten zu erkundigen, die hier bei Ihnen stehen.«
«Aha. Welche denn?«
«>Gleaner< und >Zingaloo<.«
Wir brachten das Übliche hinter uns — warum ich das wissen wolle, und wie er dazu käme, mir darüber Auskunft zu geben —, aber schließlich zuckte er wie Tom Garvey die Achseln und meinte, ich könne es wohl ruhig wissen.
«Ich nehme an, ich sollte das besser nicht sagen, aber Sie sollten Ihrem Klienten nicht dazu raten, Anteile an den
Pferden zu erwerben«, sagte er. Er ging offenbar davon aus, daß dies der eigentliche Zweck meiner Erkundigungen war.»Sie könnten beide Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer Deckquote bekommen, obwohl sie erst vier sind.«
«Wie das?«
«Beide haben ein schwaches Herz. Sind sehr schnell erschöpft.«
«Beide?«
«Ja. Deshalb war für sie als Dreijährige Schluß mit den Rennen. Und ich habe den Eindruck, daß es seitdem schlimmer geworden ist.«
«Jemand hat gemeint, >Gleaner< lahmt.«
Henry Thrace warf mir einen resignierten Blick zu.»Er hat seit neuestem Arthritis. In dieser verdammten Stadt läßt sich aber auch gar nichts geheimhalten. «Auf seinem Schreibtisch schrillte ein Wecker los. Er griff danach und stellte ihn ab.»Wird leider Zeit für mich. «Er gähnte.»Um diese Jahreszeit komme ich kaum noch aus den Kleidern. «Er nahm einen batteriebetriebenen Rasierer aus einem der Schubfächer und ging seinen Bart an.
«Ist das alles, Sid?«
«Ja«, sagte ich,»herzlichen Dank.«
Chico schloß die Autotür, und wir fuhren los, stadtwärts.
«Herzfehler«, sagte er.
«Herzfehler.«
«Ne richtige Epidemie, was?«
«Fragen wir mal Brothersmith, den Tierarzt.«
Chico nannte mir die Adresse: Middleton Road.
«Ja, ich weiß. Das war die Praxis vom alten Follett. Er war unser Tierarzt, früher, als ich noch hier war.«
Chico grinste.»Komisch, sich dich als kleinen, rotznasi-gen Lehrling vorzustellen, der vom Pferdemeister rumgescheucht wird.«
«Und mit Frostbeulen.«
«Gibt dir fast etwas Menschliches.«
Ich hatte fünf Jahre in Newmarket zugebracht, von meinem 16. bis zum 21. Lebensjahr. Lernte reiten, Rennen reiten, leben. Ich hatte einen guten Lehrer gehabt, und da ich tagtäglich seine Frau, seinen Lebensstil und seine administrativen Fähigkeiten vor Augen hatte, verwandelte sich der Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der ich gewesen war, langsam in ein etwas kosmopolitischeres Wesen. Er brachte mir bei, mit dem Geld, das ich bald in größerem Stile zu verdienen begann, umzugehen, ohne daß es mir den Kopf verdrehte. Und als er mich dann schließlich ins Dasein entließ, merkte ich, daß er mir zu jenem Status verholfen hatte, den man allen Zöglingen seines Stalles zuerkannte. Ich hatte das Glück gehabt, bei einem solchen Lehrmeister in die Schule gehen zu dürfen, und das Glück, sehr lange in einem Beruf ganz oben sein zu können, den ich liebte. Und wenn mich mein Glück eines Tages verlassen hatte, dann war das eben Pech und nicht zu ändern.
«Weckt Erinnerungen, wie?«
«Ja.«
Wir fuhren an der weiten Fläche der Limekilns und an der Rennbahn vorbei Richtung Stadt. Es waren nicht viele Pferde zu sehen — nur in der Ferne ein spätes Lot, das von der Morgenarbeit zurückkehrte. Ich steuerte das Auto um vertraute Ecken und brachte es vor der Praxis des Tierarztes zum Stehen.
Mr. Brothersmith war nicht da. Wenn es dringend sei, sei er in einem Stall an der Bury Road zu finden, wo er nach einem Pferd schaue. Sonst sei er — wahrscheinlich — zum Lunch wieder zurück, also in etwa einer halben Stunde. Wir bedankten uns und setzten uns ins Auto, um auf ihn zu warten.
«Wir haben noch einen Auftrag bekommen«, sagte ich.»Syndikate überprüfen.«
«Ich dachte, das macht der Jockey Club immer selbst.«
«Ja, tut er auch. Unser Auftrag lautet genauer, den Mann vom Jockey Club zu überprüfen, der die Syndikate überprüft.«
Chico brauchte ein Weilchen, bis er das verdaut hatte.»Ganz schön knifflig, was?«
«Und ohne daß er was merkt.«
«Ach ja?«
Ich nickte.»Es ist der Ex-Superintendent Eddy Keith.«
Chicos Unterkiefer fiel herab.»Du machst Witze.«
«Nein.«
«Aber das ist doch ein Bulle. Der Bulle vom Jockey Club.«
Ich berichtete von Lucas Wainwrights Zweifeln, und Chico meinte, Lucas Wainwright müsse da was in den falschen Hals bekommen haben. Ich wies freundlich darauf hin, daß wir eben das ja herausfinden sollten.
«Und wie machen wir das?«
«Ich weiß es nicht. Was meinst du?«
«Du bist doch angeblich der Kopf dieses Unternehmens.«
Ein schlammbespritzter Range Rover bog in Brothers-miths Garageneinfahrt ein. Wie ein Mann entstiegen Chico und ich unserem Scimitar und gingen auf den in Tweed gekleideten Mann zu, der aus seinem Geländewagen kletterte.
«Mr. Brothersmith?«
«Ja? Was ist los?«
Er war jung und gehetzt und blickte ständig über seine Schulter, als säße ihm etwas im Nacken. Die Zeit vielleicht, dachte ich. Oder der Zeitmangel.
«Könnten wir Sie wohl mal kurz sprechen?«fragte ich.»Das ist Chico Barnes, und ich bin Sid Halley. Nur ein paar Fragen.«
Er registrierte den Namen, und sein Blick senkte sich sofort auf meine Hände und blieb schließlich an meiner Linken hängen.
«Sind Sie nicht der Mann mit der myoelektrischen Prothese?«
«Äh… ja«, sagte ich.
«Dann kommen Sie mal rein. Dürfte ich sie mir mal ansehen?«
Er drehte sich um und strebte dem Seiteneingang des Hauses zu. Ich stand bewegungslos da und wünschte, wir wären woanders.
«Los, Sid«, sagte Chico und ging ihm nach. Dann blieb er stehen und wandte sich zu mir um.»Nun tu ihm schon den Gefallen, dann hilft er uns vielleicht auch.«
Bezahlung in Naturalien, dachte ich — und der Preis gefiel mir gar nicht. Ich folgte Chico nur höchst unwillig in das, was sich als Brothersmiths Behandlungsraum herausstellte.
Er richtete in nüchtern-klinischem Ton eine Menge Fragen an mich, und ich beantwortete sie ihm ganz unpersönlich, wie ich es im orthopädischen Versorgungszentrum gelernt hatte.
«Können Sie das Gelenk auch drehen?«fragte er schließlich.
«Ja, ein wenig. «Ich führte es ihm vor.»Da ist so eine Art Pfanne drin, die genau auf meinen Armstumpf paßt, und eine zusätzliche Elektrode leitet die Drehimpulse weiter.«
Im Grunde wollte er, daß ich die Hand abnahm und sie ihm richtig zeigte, aber das hätte ich nie getan, und ihm war wohl klar, daß es keinen Zweck haben würde, mich darum zu bitten.
«Sie liegt am Ellbogen sehr eng an«, sagte er und fuhr mit dem Finger leicht über den Rand.
«Damit sie nicht abfällt.«
Er nickte.»Ist es leicht, sie anzulegen und wieder abzunehmen?«
«Talkumpuder«, sagte ich nur.
Chicos Mund ging auf und schloß sich wieder, als er meinen warnenden Blick auffing — und er sagte Brother-smith nicht, daß das Abnehmen der Prothese oft eine ganz entschieden unangenehme Sache war.
«Denken Sie daran, einem Pferd so ein Ding anzupassen?«fragte Chico.
Brothersmith hob sein immer noch gehetzt wirkendes Gesicht und antwortete ihm in vollem Ernst:»Technisch scheint das durchaus möglich zu sein, aber es ist fraglich, ob man ein Pferd so trainieren kann, daß es die Elektroden aktiviert. Und die Kosten ließen sich wohl nur schwer rechtfertigen.«
«War nur ein Scherz«, sagte Chico schwach.
«So? Verstehe. Aber das hat es durchaus schon gegeben, daß man einem Pferd eine Prothese angepaßt hat. Ich hab neulich von einer sehr wertvollen Zuchtstute gelesen, der man mit Erfolg ein künstliches Vorderbein angemessen hat. Sie wurde danach gedeckt und brachte ein gesundes Fohlen zur Welt.«»Aha«, sagte Chico.»Das ist übrigens auch der Grund unseres Kommens. Eine Zuchtstute. Nur, daß sie eingegangen ist.«