«Aber George hat die Sicherheitsmaßnahmen für >Tri-Nitro< verdoppelt«, sagte ich.
«Das weiß ich. Kommen Sie mir doch nicht damit.«
Ich meinte zögernd:»Normalerweise wird er >Tri-Nitro< vor dem Rennen doch noch mal ordentlich rannehmen. Wahrscheinlich am Samstagmorgen.«
«Ja, wahrscheinlich. Wieso? Warum fragen Sie?«
«Na ja. «Ich hielt inne, fragte mich, ob es klug war, eine abenteuerliche Theorie zu äußern, die man nicht überprüft hatte, und kam zu dem Schluß, daß es so oder so keine Möglichkeit gab, sie zu überprüfen.
«Reden Sie weiter«, sagte sie scharf.»Was wollten Sie eben sagen?«
«Sie könnten vielleicht… äh… dafür sorgen, daß er zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen trifft, wenn das Pferd seine letzten Trainingsrunden absolviert. «Ich machte eine Pause und fuhr dann fort:»Den Sattel genau untersuchen… solche Sachen.«
Rosemary sagte heftig:»Was meinen Sie damit? Um Himmels willen, reden Sie schon und schleichen Sie nicht wie die Katze um den heißen Brei.«
«Viele Rennen sind schon verlorengegangen, weil das Abschlußtraining zu hart und zu kurz vor dem Rennen war.«
«Ja doch«, sagte sie ungeduldig.»Das weiß jeder. Aber so etwas würde George nie machen.«
«Und wenn der Sattel mit Blei vollgepackt wäre? Und ein Dreijähriger dann zu schärfstem Galopp angetrieben würde und dabei fünfzig Pfund totes Gewicht mitschleppen müßte? Und kurz darauf unter größtem Druck bei den Guineas starten und sein Herz überanstrengen würde?«
«Großer Gott«, sagte sie. Und dann noch einmaclass="underline" »Großer Gott!«
«Ich will damit nicht behaupten, daß so etwas bei >Glea-ner< oder >Zingaloo< passiert wäre, nur, daß die entfernte Möglichkeit besteht. Und wenn es etwas Derartiges wäre… dann müßte jemand vom Stall die Finger im Spiel haben.«
Sie zitterte jetzt wieder.
«Sie müssen unbedingt weitermachen«, sagte sie.»Bleiben Sie dran. Ich habe Ihnen auch Geld mitgebracht. «Sie steckte die Hand in die Tasche ihres Regenmantels und zog ein kleines, braunes Kuvert daraus hervor.»Es ist in bar. Ich kann Ihnen leider keinen Scheck geben.«
«Ich habe mir das doch noch gar nicht verdient«, sagte ich.
«Doch, doch, nehmen Sie’s nur. «Sie ließ nicht locker, und so nahm ich den Umschlag an mich und steckte ihn ungeöffnet ein.
«Lassen Sie mich doch mal mit George reden«, sagte ich.
«Nein, bloß nicht, er würde rasend werden. Ich werde das machen… ich meine, ich werde ihn warnen, was das Abschlußtraining betrifft. Er glaubt, ich spinne, aber wenn ich ihm lange genug damit in den Ohren liege, wird er es schon beachten. «Sie blickte auf die Uhr, und ihre Erregung wurde noch stärker.»Ich muß zurück. Ich habe gesagt, ich wollte einen Spaziergang machen. Das tue ich sonst nie. Ich muß nach Hause, sonst fangen sie noch an, sich über meine Abwesenheit zu wundern.«»Wer wundert sich?«
«George natürlich.«
«Weiß er immer genau, wo Sie gerade stecken?«
Wir lenkten unsere Schritte mit erhöhter Geschwindigkeit zum Tor zurück. Rosemary sah ganz so aus, als wolle sie jeden Augenblick zu laufen anfangen.
«Wir unterhalten uns viel miteinander, und er erkundigt sich immer, wo ich gewesen bin… Er ist keineswegs mißtrauisch… nein, das ist nur so eine alte Angewohnheit. Wir sind eben immer zusammen. Sie wissen ja selbst, wie es im Hause eines Rennpferdtrainers zugeht. Die Besitzer tauchen meist zu den unmöglichsten Zeiten auf, und deshalb ist es George lieb, wenn ich da bin.«
Wir erreichten unsere Autos. Sie verabschiedete sich unsicher und fuhr in großer Eile davon. Chico, der im Scimitar gewartet hatte, meinte:»Sehr still hier. Muß sogar den Geistern langweilig werden.«
Ich stieg ein und warf ihm Rosemarys Umschlag in den Schoß.
«Zähl das«, sagte ich und ließ den Motor an.»Sieh nach, wie unsere Geschäfte stehen.«
Er riß das Kuvert auf, zog ein säuberliches Bündel von Banknoten höheren Nennwerts heraus und befeuchtete sich die Finger.
«Mann!«sagte er, als er fertig war.»Sie muß durchgedreht sein.«
«Sie will, daß wir weitermachen.«
«Dann weißt du ja wohl auch, was das hier ist, Sid«, sagte er und wedelte mit dem Bündel Scheine.»Ein Köder, damit du Schuldgefühle kriegst und bei der Stange bleibst, wenn du hinschmeißen willst.«
«Jedenfalls funktioniert^.«:
Wir investierten ein wenig von Rosemarys Motivationshilfe in eine Übernachtung und einen Kneipenbummel durch Newmarket — Chico zog durch die Pubs, in denen die Stallburschen verkehrten, und ich durch die, die von den Trainern bevorzugt wurden. Es war Dienstagabend, und so ging es überall recht ruhig zu. Ich erfuhr nichts sonderlich Interessantes und trank mehr als genug Whisky — und Chico kam mit nicht viel mehr als einem Schluckauf zurück.
«Schon mal was von Inky Poole gehört?«fragte er.
«Ist das ein Schlager?«
«Nein, ein Arbeitsjockey. Und was ist ein Arbeitsjok-key? Ein Arbeitsjockey, Chico, mein Sohn, ist ein Jockey, der mit einem Pferd auf der Trainingsbahn arbeitet.«
«Du hast einen sitzen«, bemerkte ich.
«Ach was. Was ist ein Arbeitsjockey?«
«Das hast du gerade erklärt. Taugt zwar nicht für Rennen, ist aber daheim im Stall der beste Reiter.«
«Inky Poole«, sagte er,»ist Arbeitsjockey bei George Caspar. Inky Poole dreht auf der heimischen Bahn die scharfen Trainingsrunden mit >Tri-Nitro<. Hast du nicht gesagt, ich soll rausfinden, unter wem >Tri-Nitro< seine Trainingsarbeit absolviert?«
«Ja, das habe ich«, sagte ich.»Und du hast doch einen in der Krone.«
«Inky Poole, Inky Poole«, sagte er fröhlich.
«Hast du mit ihm gesprochen?«
«Nee, kenn ihn nich’. Paar von den Stallburschen ham’s mir erzählt. George Caspars Arbeitsjockey. Inky Poole.«
Ein Fernglas um den Hals gehängt, begab ich mich am nächsten Morgen um sieben Uhr dreißig nach Warren Hill, um mir dort die Lots bei der Morgenarbeit anzuse-hen. Es kam mir vor, als sei es schon lange her, daß ich selbst eine dieser auf dem Pferderücken kauernden Gestalten in Pullover und Kappe gewesen war — mit drei Pferden zum Ausmisten und Versorgen und einem Bett in der Gemeinschaftsunterkunft, wo in der Küche ewig regennasse Breeches auf einem Trockenständer hingen. Erfrorene Finger und zu selten ein Bad, die Ohren voller obszöner Worte und nie eine Möglichkeit, auch mal allein zu sein.
Als ich sechzehn war, hatte mir das alles ziemlichen Spaß gemacht, vor allem wegen der Pferde. Wunderschöne, herrliche Geschöpfe, deren Reaktionen und Instinkte sich von denen des Menschen unterschieden wie Öl von Wasser und sich auch dann nicht mit ihnen verbanden, wenn die beiden in Berührung kamen. Der Einblick in ihre Wahrnehmung und ihr Wesen war für mich wie der Blick durch eine sich öffnende Tür gewesen, wie eine kaum verstandene und nur halb gelernte Fremdsprache, deren vollkommene Beherrschung immer wieder auf entnervende Weise dadurch verhindert wurde, daß man nicht den richtigen Gehör- oder Geruchssinn, keine ausreichenden telepathischen Fähigkeiten hatte.
Das Gefühl des Einsseins mit dem Pferd, das ich manchmal in der Hitze eines Rennens verspürt hatte, war ihr Geschenk an ein unterlegenes Geschöpf und mein leidenschaftlicher Siegeswille vielleicht mein Geschenk an sie gewesen. Der Drang nach vorn, an die Spitze, war ihnen eingeboren — sie brauchten nichts anderes, als daß man ihnen zeigte, wohin und wann sie loslaufen mußten. Es ließe sich wohl mit einigem Recht sagen, daß ich — wie die meisten Jockeys, die Hindernisrennen reiten — den Pferden jenseits der Grenzen des menschlichen Verstandes geholfen, sie in ihrem ureigensten Wollen unterstützt hatte.