«Ich habe Sie vielleicht nicht mit allen Tatsachen vertraut gemacht«, sagte er schließlich.
«Dann holen Sie es doch bitte nach.«
«Ich habe schon vor einiger Zeit jemand anders auf die Überprüfung von zweien dieser Syndikate angesetzt. Vor sechs Monaten. «Er spielte mit ein paar Büroklammern herum, sah nicht mehr in meine Richtung.»Noch bevor Eddy sie überprüft hat.«
«Und mit welchem Ergebnis?«
«Ah, ja. «Er räusperte sich.»Der Mann… sein Name ist Mason… wir haben seinen Bericht nie bekommen, weil er auf offener Straße angegriffen wurde, bevor er ihn schreiben konnte.«
Auf der Straße angegriffen.»Was für eine Art von Angriff war das denn?«fragte ich.»Und wer hat ihn angegriffen?«
Er schüttelte den Kopf.»Niemand weiß, wer es gewesen ist. Er wurde von einem Passanten auf dem Gehweg gefunden, und der hat die Polizei verständigt.«
«Hm… Haben Sie ihn befragt, diesen Mason?«Aber ich erriet schon wenn nicht die ganze, so doch einen Teil der Antwort.
«Er hat sich, äh, nie so richtig davon erholt«, sagte Lucas bekümmert.»Man hatte ihm allem Anschein nach mehrfach gegen den Kopf getreten. Und in den Leib. Er hat schwere Gehirnverletzungen davongetragen. Er liegt noch immer in einem Pflegeheim, wird da wohl auch bleiben müssen. Er vegetiert nur noch… und ist blind.«
Ich biß auf das Ende des Bleistifts, mit dem ich mir Notizen gemacht hatte.»Ist er beraubt worden?«fragte ich dann.
«Seine Brieftasche fehlte. Seine Uhr aber nicht.«
«Es könnte also ein einfacher Raubüberfall gewesen sein?«»Ja… nur daß die Polizei es als versuchten Mord ansieht. Weil er so oft und so gezielt getreten wurde.«
Er lehnte sich im Stuhl zurück, als sei er von einer schweren Last befreit. Ehrenhaftes Verhalten unter Gentlemen. der Ehre war Genüge getan.
«Na schön«, sagte ich.»Welche beiden Syndikate hat er überprüft?«
«Die ersten beiden, die Sie da vor sich liegen haben.«
«Glauben Sie denn, daß von den Mitgliedern, von den unerwünschten Personen, einige von der Sorte sind, die sich mit Fußtritten von Problemen befreit?«
«Das könnte schon sein«, antwortete er unglücklich.
«Und gehe ich nun«, fragte ich vorsichtig,»der möglichen Bestechlichkeit von Eddy Keith oder dem halben Mord an Mason nach?«
Nach einer kurzen Pause antwortete er:»Vielleicht bei-dem.«
Wir schwiegen lange. Schließlich sagte ich:»Es ist Ihnen doch klar, daß Sie dadurch, daß Sie mir beim Rennen Nachrichten zugeschickt, sich mit mir im Restaurant getroffen und mich nun hierher gebeten haben, kaum jemand im Zweifel darüber gelassen haben, daß ich für Sie arbeite?«
«Aber das könnte doch alles mögliche sein.«
Ich erwiderte düster:»Nicht mehr, wenn ich erst bei den Syndikaten vor der Tür stehe.«
«Ich hätte vollstes Verständnis dafür«, sagte er,»wenn Sie es angesichts dessen, was ich Ihnen gerade mitgeteilt habe, vorzögen… äh…«
Ich auch, dachte ich. Ich hätte Verständnis dafür, wenn mir nicht daran gelegen wäre, den Schädel eingetreten zu bekommen. Aber es stimmte ebenfalls, was ich zu Jenny gesagt hatte — man glaubte nicht, daß es einem selbst auch passieren könnte. Und das ist immer ein Irrtum, hatte sie geantwortet.
Ich seufzte.»Sie erzählen mir besser noch ein bißchen was von Mason. Wo er hinging und mit wem er sich traf. Alles, was Ihnen dazu einfällt.«
«Das ist praktisch gar nichts. Er ist ganz normal von hier weggegangen, und das nächste, was wir von ihm hörten, war, daß er überfallen worden war. Die Polizei konnte nicht ermitteln, wo er gewesen war, und die Leute von den Syndikaten schworen Stein und Bein, ihn nie gesehen zu haben. Der Fall ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber nach sechs Monaten hat er keinerlei Priorität mehr.«
Wir unterhielten uns noch eine Weile darüber, und dann verbrachte ich noch eine Stunde mit dem Aktenstudium. Ich verließ das Gebäude des Jockey Club um viertel vor sechs und wollte in meine Wohnung fahren — aber dort kam ich nie an.
Kapitel 7
Ich fuhr im Taxi nach Hause und bezahlte den Fahrer vor der Eingangstür des Wohnhauses, das heißt nicht genau davor, denn dort parkte ein dunkles Auto, und das mitten im absoluten Halteverbot.
Ich beachtete den Wagen jedoch kaum, was sich als Fehler erwies, denn als ich auf seiner Höhe war und mich der Haustür zuwandte, gingen die Türen auf der Gehsteigseite auf und spuckten Scherereien der übelsten Sorte aus.
Ich wurde von zwei Männern in dunkler Kleidung gepackt. Der eine versetzte mir mit etwas Hartem einen betäubenden Schlag auf den Kopf, während mir der andere etwas, was ich später als eine Art Lasso aus dickem Seil erkannte, um Arm und Brust warf und fest zusammenzog. Dann verstauten sie mich gemeinsam auf dem Rücksitz ihres Autos, und der eine band mir zur Abrundung noch ein schwarzes Tuch vor meine halb geschlossenen Augen.
«Schlüssel«, sagte eine Stimme.»Schnell. Es hat uns keiner gesehen.«
Ich fühlte, wie sie in meinen Taschen herumkramten. Ein klirrendes Geräusch zeigte an, daß sie gefunden hatten, was sie suchten. Als ich sozusagen wieder klar sehen konnte, begann ich mich zu wehren, was eine reine Reflexhandlung war, dessenungeachtet aber wiederum ein Fehler.
Das Tuch vor meinen Augen wurde um ein widerwärtig riechendes Stoffknäuel vor Mund und Nase ergänzt. Anästhesierende Dämpfe vernebelten mir die Sinne, und mein letzter Gedanke war, daß sie keine Zeit verloren hatten, falls ich Masons Schicksal teilen sollte.
Als erstes wurde mir bewußt, daß ich auf Stroh lag.
Stroh. Stroh wie in einem Stall. Es raschelte, wenn ich mich zu bewegen versuchte. Das Gehör funktionierte — wie immer — als erstes wieder.
Ich hatte mir im Laufe der Jahre bei Stürzen schon etliche Gehirnerschütterungen zugezogen. Eine Weile dachte ich wirklich, ich wäre vom Pferd gefallen. Ich konnte mich nur nicht daran erinnern, von welchem und wo.
Komisch.
Die gar nicht willkommene Orientierung war ganz plötzlich wieder da. Ich hatte an keinem Rennen teilgenommen. Ich hatte ja nur eine Hand. Ich war am hellichten Tage auf einer Straße Londons entführt worden. Ich lag auf dem Rücken, lag irgendwo auf Stroh, die Augen verbunden, ein Seil um Brust und Arme geschlungen, oberhalb der Ellbogen, so daß die Oberarme am Leib festgeschnürt waren. Ich lag auf dem Knoten. Ich wußte nicht, warum ich hier war… und sah der Zukunft nicht mit der allergrößten Zuversicht entgegen.
Mist, Mist, verdammter Mist!
Meine Füße waren an irgendeinem nicht zu bewegenden Gegenstand festgebunden. Es war stockdunkel, sogar an den Rändern meiner Augenbinde. Ich setzte mich auf und versuchte, mich wenigstens teilweise zu befreien. Eine Heidenmühe und nicht der geringste Erfolg.
Ewigkeiten später waren draußen Schritte auf Kiesgrund hörbar, dann knarrte eine Holztür, und plötzlich schimmerte an den Seiten Licht durch die Binde.
«Nun hören Sie schon auf damit, Mr. Halley«, sagte eine Stimme.»Sie kriegen diese Knoten mit einer Hand nie und nimmer auf.«
Ich stellte meine Versuche ein. Es hatte wirklich keinen Zweck weiterzumachen.
«Hat ein bißchen was von einem Overkill«, sagte der Mann genüßlich.»Fesseln und Betäubungsmittel und Gummiknüppel und Augenbinde. Na ja, ich hab ihnen natürlich gesagt, sie sollten vorsichtig sein und sich außer Reichweite dieses Blecharms da halten. Ein Bursche, den ich kenne, weiß sehr häßliche Geschichten davon zu erzählen, wie Sie ihm mal mit diesem Ding, mit dem er nicht gerechnet hatte, eine verpaßt haben.«