Ich hörte das Klicken, als er den Hahn spannte. Ein Schuß aus einer Waffe dieses Kalibers würde mir den größten Teil des Arms abreißen.
Ich fühlte mich halb ohnmächtig und schwitzte am ganzen Leibe.
Was immer die Leute sagen mochten — ich wußte sehr wohl, was Angst war. Ich hatte keine Angst vor Pferden, vor Rennen, vor Stürzen oder vor ganz normalen Schmerzen, sondern vor Erniedrigung und Zurückweisung, vor Hilflosigkeit und Versagen. Davor fürchtete ich mich.
Aber alle Furcht, die ich in meinem Leben schon verspürt hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was ich in dieser alles auflösenden, das Denken zersetzenden, grauenvollen Minute empfand. Sie zerbrach mich. Überflutete mich. Reduzierte mich auf einen Morast von Angst, ein Wimmern in der Seele. Und instinktiv und verzweifelt versuchte ich, es mir nicht anmerken zu lassen.
Er beobachtete mich bewegungslos ungezählte, stille, immer bedrängender werdende Sekunden lang. Ließ mich schmoren. Machte es immer schlimmer.
Am Ende atmete er tief durch und sagte:»Sie sehen, ich könnte Ihnen leicht Ihre Hand wegpusten. Nichts einfacher als das. Ich werd’s aber wahrscheinlich nicht tun. Jedenfalls nicht heute. «Er machte eine Pause.»Hören Sie mir zu?«
Ich nickte kaum wahrnehmbar. Meine Augen konnten vor lauter Gewehr nichts sehen.
Seine Stimme war ruhig, ernst, gab jedem Satz Gewicht.»Sie werden mir zusichern, daß Sie sich zurückziehen. Daß Sie nichts mehr unternehmen, was in irgendeiner Weise gegen mich gerichtet ist. Nie wieder. Sie werden morgen früh nach Frankreich fliegen und bis nach den Guineas dort bleiben. Danach können Sie tun, was Sie wollen. Sollten Sie Ihre Zusicherung jedoch nicht einhalten… nun ja, Sie sind leicht zu finden. Ich werde Sie finden und Ihnen die rechte Hand wegschießen. Mir ist es ernst, und Sie täten gut daran, mir das zu glauben. Irgendwann würde ich Sie erwischen, Sie würden mir nicht entgehen. Verstehen Sie?«
Ich nickte wieder. Ich spürte das Gewehr — es fühlte sich heiß an. Laß es nicht zu, dachte ich, lieber Gott, laß es nicht zu!
«Geben Sie mir Ihr Versprechen. Sagen Sie’s.«
Ich schluckte, was weh tat. Zwang eine Stimme in meine Kehle, leise und heiser.»Ich verspreche es.«
«Sie ziehen sich zurück.«
«Ja.«
«Sie unternehmen nichts mehr gegen mich, nie mehr.«
«Nein.«
«Sie gehen nach Frankreich und bleiben dort bis nach den 2000 Guineas.«
«Ja.«
Wieder trat Stille ein und schien hundert Jahre zu dauern, während ich über mein unversehrtes Handgelenk hinweg auf die dunkle Seite des Mondes blickte.
Schließlich zog er das Gewehr zurück, öffnete den Verschluß und nahm die Patronen heraus. Mir war körperlich übel, und ich hatte mich kaum noch in der Gewalt.
Trevor ließ sich neben mir auf seine nadelgestreiften Knie nieder und betrachtete eingehend, was ich noch an Abwehr in mein bewegungsloses Gesicht und meine ausdruckslosen Augen zu legen vermochte. Ich fühlte, wie mir der verräterische Schweiß über die Backen rann. Er nickte mit grimmiger Befriedigung.
«Ich wußte, daß Sie das nicht ertragen könnten. Nicht auch noch die andere. Das könnte niemand. Es ist gar nicht nötig, Sie umzubringen.«
Er erhob sich wieder und streckte sich, wie um eine innere Anspannung zu lösen. Dann fuhr er mit der Hand in verschiedene Taschen und zog Dinge daraus hervor.
«Hier sind Ihre Schlüssel. Ihr Paß. Ihr Scheckheft. Kreditkarten. «Er legte alles auf einen Strohballen. Zu seinen Kumpeln sagte er:»Bindet ihn los und fahrt ihn zum Flugplatz. Nach Heathrow.«
Kapitel 8
Ich flog nach Paris und blieb gleich dort, wo ich gelandet war, nämlich in einem der Airport-Hotels. Ich verspürte weder den Drang noch den Mut, auch nur einen Schritt weiter zu tun. Ich blieb sechs Tage, verließ mein Zimmer nicht und verbrachte den größten Teil der Zeit damit, von meinem Fenster aus zuzusehen, wie die Flugzeuge starteten und landeten. Ich fühlte mich wie betäubt. Fühlte mich krank. Desorientiert und geschlagen und meiner Wurzeln beraubt. In einen Zustand tiefsten geistigen Elends gestürzt, denn diesmal wußte ich, daß ich wirklich davongelaufen war.
Natürlich konnte ich mir leicht einreden, daß ich gar keine andere Wahl gehabt hatte, als Deansgate die geforderte Zusicherung zu geben. Hätte ich es nicht getan, hätte er mich mit Sicherheit umgebracht. Ich konnte mir — und das tat ich auch — pausenlos sagen, daß es ein Gebot des gesunden Menschenverstandes gewesen war, mich an seine Anweisungen zu halten, aber Tatsache war auch, daß seine Schläger, nachdem sie mich in Heathrow aus dem Wagen geworfen hatten, sofort davongefahren waren und ich aus freien Stücken das Ticket besorgt, in der Abflughalle gewartet und mich dann an Bord des Flugzeuges begeben hatte.
Da war niemand gewesen, der mich mit einem Gewehr dazu gezwungen hätte. Nur die Tatsache, daß ich es, wie Deansgate zutreffend gesagt hatte, nicht ertragen konnte, die andere Hand auch noch zu verlieren. Nicht einmal das Risiko konnte ich ertragen. Die bloße Vorstellung brachte, wie ein konditionierter Reflex, einen Schweißausbruch hervor.
Die Tage vergingen, aber das Gefühl der Auflösung schien nicht nachzulassen, sondern sich im Gegenteil noch zu vertiefen.
Der automatisierte Teil meines Ichs funktionierte weiter wie gewohnt — er lief, sprach, bestellte Kaffee, ging zur Toilette. In jenem Teil aber, auf den es ankam, herrschten Aufruhr und Schmerz und das Gefühl, daß mein ganzes Ich in den wenigen, mein Dasein umwälzenden Minuten auf dem Stroh in der Scheune von Trevor Deansgate buchstäblich zertrümmert worden war.
Das Problem lag nicht zuletzt darin, daß ich meine Schwächen nur allzu gut kannte und wußte, daß mich der Verlust meines Stolzes vor allem deshalb so traf, weil dieser Stolz so groß war.
Die erzwungene Erkenntnis, daß das Bild, das ich bis jetzt von mir gehabt hatte, eine Illusion gewesen war, hatte wie ein psychisches Erdbeben gewirkt, und so war es vielleicht nicht verwunderlich, daß ich mich zerbrochen, im wahrsten Sinne des Wortes in meine Einzelteile zerlegt fühlte.
Ob ich das ertragen konnte, wußte ich auch nicht.
Ich wünschte nur, ich könnte richtig schlafen und ein wenig Ruhe finden.
Als der Mittwoch kam, dachte ich an Newmarket und all die großen Hoffnungen, die sich auf die 2000 Guineas richteten.
Ich dachte an George Caspar, der >Tri-Nitro< der entscheidenden Bewährungsprobe aussetzte, ihn in Topform antreten ließ und zutiefst davon überzeugt war, daß diesmal nichts schiefgehen konnte. Dachte an Rosemary, die jetzt ein einziges Nervenbündel war, die das Pferd unbedingt gewinnen sehen wollte und gleichzeitig wußte, daß es das nicht tun würde. Dachte an Trevor Deansgate, der, von keinem verdächtigt, im verborgenen alles daran setzte, den besten Hengst, den es im ganzen Lande gab, auf irgendeine Weise kaputtzumachen.
Ich hätte ihn daran hindern können, wenn ich es versucht hätte.
Dieser Mittwoch war für mich der schlimmste Tag von allen — der Tag, an dem ich erfahren mußte, was Verzweiflung und Elend und Schuld wirklich sind.
Am sechsten Tag, am Donnerstag, ging ich morgens in die Hotelhalle hinunter und kaufte mir eine englische Zeitung.
Das 2000 Guineas hatte planmäßig stattgefunden.
>Tri-Nitro< war als hoher Favorit an den Start gegangen — und hatte das Rennen als letzter beendet.