«Du hast ja wirklich schwer gearbeitet«, sagte ich.
«Chico und ich haben hier schichtweise Dienst gemacht, Anrufe beantwortet und versucht herauszufinden, wo du abgeblieben bist. Dein Wagen stand ja noch in der Garage, und Chico meinte, du würdest niemals freiwillig irgendwohin gehen, ohne das Ladegerät für deine Armbatterien mitzunehmen.«
«Tja… diesmal doch.«
«Sid.«
«Nein«, sagte ich.»Was wir jetzt brauchen, ist eine Liste von Zeitschriften und Fachblättern, die sich mit antiken Möbeln befassen. Und da versuchen wir es dann noch mal mit den Ms.«
«Das ist aber ein schrecklicher Aufwand«, sagte Charles zweifelnd.»Und selbst wenn wir sie finden, was dann? Der Mann bei Christie’s hatte völlig recht: Selbst wenn wir herausbekommen, wessen Adressenliste er benutzt hat, was bringt uns das? Die Firma oder der Verlag wäre doch gar nicht in der Lage, uns zu sagen, wer von den vielen Leuten, die Zugang zu der Liste hatten, Nicholas Ashe war, zumal er höchstwahrscheinlich gar nicht diesen Namen benutzt hat, wenn er mit ihnen zu tun hatte.«
«Hm«, sagte ich.»Aber es wäre ja auch möglich, daß er inzwischen woanders wieder aktiv geworden ist und sich noch immer der gleichen Liste bedient. Er hat sie ja mitgenommen, als er verschwunden ist. Wenn wir herausfinden können, von wem die Liste stammt, können wir ein paar Leute, die darauf stehen und deren Namen mit den Buchstaben A bis K oder P bis Z anfangen, anrufen und uns bei ihnen erkundigen, ob sie kürzlich auch solche Spendenaufrufe bekommen haben. Wenn ja, dann steht auf denen die Anschrift, an die das Geld geschickt werden soll. Und dort finden wir dann vielleicht unseren Mr. Ashe.«
Charles spitzte den Mund zu einem Pfiff, aber was herauskam, klang eher wie ein Seufzer.
«Wenigstens bist du mit intaktem Verstand nach Hause zurückgekommen«, sagte er.
O Gott, dachte ich, ich zwinge mich zum Denken, um den Abgrund draußen zu halten. Ich bin zersplittert… ich werde nie wieder in Ordnung kommen. Der analytische, rationale Teil meines Hirns mochte unberührt weiterarbeiten, aber das, was man als Seele bezeichnen mußte, war krank, sterbenskrank.
«Und dann ist da das Wachs«, sagte ich. Ich hatte den Zettel noch in der Tasche, den er mir vor einer Woche gegeben hatte.
«Es kann nicht sehr viele Privatkunden geben, die so große Mengen Möbelpolitur in Dosen ohne Aufdruck und kleinen, weißen Schachteln bestellen. Wir könnten die Herstellerfirma bitten, uns zu verständigen, wenn wieder eine derartige Bestellung eingeht. Es besteht immer die Möglichkeit, daß sich Ashe wieder an die gleiche Firma wendet, wenn auch nicht sofort. Er sollte sich der Gefahr eigentlich bewußt sein… aber vielleicht ist er ja dumm.«
Ich wandte mich müde ab. Mir war nach einem Whisky zumute. Ich ging und schenkte mir einen großen ein.
«Du säufst ganz schön, was?«sagte Charles hinter mir in seinem ausfälligsten Ton.
Ich biß die Zähne zusammen und sagte:»Nein. «Abgesehen von Kaffee und Wasser hatte ich seit einer Woche nichts getrunken.
«Dein erster alkoholbedingter Blackout, die vergangenen Tage, wie?«
Ich ließ das Glas unangetastet auf dem Tablett stehen und drehte mich um. Sein Blick war eiskalt, so unfreundlich wie damals, als wir uns kennenlernten.
«Sei nicht so verdammt albern«, sagte ich.
Er hob das Kinn ein ganz klein wenig an.»Ein Funke!«sagte er sarkastisch.»Er hat noch seinen Stolz, wie ich sehe.«
Ich preßte die Lippen zusammen, drehte ihm wieder den Rücken zu und nahm einen sehr großen Schluck von meinem Scotch. Nach einer Weile gelang es mir, mich wieder ein bißchen zu entspannen, und ich sagte:»Auf diese Weise wirst du nichts herausbekommen. Ich kenne dich zu gut. Du benutzt die Kränkungen als Hebel, provozierst die Leute dazu, ihre Deckung zu verlassen. Das hast du bei mir auch schon gemacht. Aber diesmal klappt’s nicht.«
«Wenn ich den richtigen Hebel finde«, sagte er,»benutze ich ihn auch.«
«Möchtest du auch was trinken?«
«Wenn du mich schon fragst, ja.«
Wir saßen uns in unveränderter Kameradschaftlichkeit in unseren Sesseln gegenüber, und ich dachte vage an dies und das und schreckte vor den quälendsten Überlegungen zurück.
«Weißt du«, sagte ich endlich,»wir müssen eigentlich gar nicht mit dieser Adressenliste rumziehen, um herauszufinden, von wem sie stammt. Wir fragen einfach die Leute selbst. Die da.«
Ich zeigte auf den M-Stapel.»Wir fragen einfach ein paar von ihnen, auf welchen Versandlisten sie stehen. Wir brauchten gar nicht viele zu fragen… der gemeinsame Nenner zeigt sich dann schon.«
Als Charles gegangen war, um nach Hause, nach Ayns-ford, zu fahren, wanderte ich ziellos in der Wohnung herum, ohne Schlips und in Hemdsärmeln, und bemühte mich, vernünftig zu sein. Ich sagte mir, daß eigentlich nicht viel passiert war — Trevor Deansgate hatte lediglich eine Menge fürchterlicher Drohungen eingesetzt, um mich dazu zu bringen, etwas zu beenden, womit ich noch gar nicht angefangen hatte. Aber ich konnte die Schuld nicht von mir abwälzen. Sobald er die Maske hatte fallen lassen, sobald ich wußte, daß er irgend etwas im Schilde führte, hätte ich ihn daran hindern können — und hatte es nicht getan.
Wenn er mich nicht so wirkungsvoll aus Newmarket vertrieben hätte, hätte ich wahrscheinlich weiterhin recht unproduktiv im Nebel herumgestochert, nicht einmal sicher, ob es da überhaupt etwas zu entdecken gab. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, in dem >Tri-Nitro< bei den Guineas als letzter ins Ziel gewankt war. Aber dann wäre ich jetzt wenigstens dort, dachte ich, meiner Sache endlich sicher und um Aufklärung bemüht. Dank seiner Drohung war ich es nicht.
Ich konnte mein Nicht-dort-Sein als Klugheit ansehen, als ein Gebot des gesunden Menschenverstandes, als unter den gegebenen Umständen einzig gangbaren Weg. Ich konnte Begründungen anführen und Entschuldigungen. Ich konnte sagen, daß ich nichts getan hätte, was nicht schon vom Jockey Club getan worden war. Aber immer wieder landete ich bei der unübersehbaren Tatsache, daß ich jetzt nicht dort war, weil ich Angst hatte.
Chico kehrte von seinem Judounterricht zurück und machte sich erneut daran, in Erfahrung zu bringen, wo ich gewesen war. Und wieder verriet ich ihm nichts, obwohl ich wußte, daß er mich nicht halb so sehr verachten würde, wie ich mich selbst verachtete.
«Na schön«, sagte er schließlich,»dann behältst du’s eben für dich. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Wo immer du gewesen bist, es war übel. Du brauchst dich doch bloß anzuschauen. Es wird dir nicht bekommen, wenn du das alles so in dich reinfrißt.«
Die Dinge in mich hineinfressen war jedoch eine lebenslange Gewohnheit, eine schon in der Kindheit erlernte Methode der Selbstbehauptung, ein Schutz gegen die Welt — und nicht mehr zu ändern.
Ich brachte immerhin ein halbes Lächeln zustande.»Eröffnest du demnächst eine Praxis in der Harley Street?«fragte ich.
«Schon besser«, sagte er.»Weißt du eigentlich, daß du den ganzen Spaß verpaßt hast? >Tri-Nitro< hat gestern beim Guineas doch irgendwas verabreicht bekommen, und sie stellen jetzt Caspars ganzen Stall auf den Kopf. Steht alles irgendwo hier im Sporting Life. Der Admiral hat’s mitgebracht. Hast du’s gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
«Unsere gute Rosemary hatte also doch kein Rad ab, oder? Was meinst du, wie die das geschafft haben?«
«Die?«sagte ich.
«Wer immer es gewesen ist.«
«Ich weiß es nicht.«
«Ich hab mir das Abschlußtraining am Samstagmorgen angesehen«, berichtete er.»Ja, ja, ich weiß, du hast mir das Telegramm geschickt, daß ich abreisen sollte, aber ich hatte da am Freitagabend eine wirklich tolle Braut aufgerissen, und deshalb blieb ich noch. Eine Nacht mehr machte auch keinen Unterschied. und außerdem war es die Tippse von George Caspar.«