Wo denn diese Wettfahrt am Montagnachmittag stattfinde?
Reitturnier, Ballonwettfahrt, Schaukeln und Karussells und was das Herz begehre würden beim Maifest in High-alane Park in Wiltshire geboten. Und John Viking werde auch dort sein, garantiert.
Ich dankte meinem Gesprächspartner für seine Auskünfte und legte auf, wobei mir durch den Kopf ging, daß ich den Maifeiertag komplett vergessen hatte. Offizielle Feiertage waren für mich — wie für jeden im Pferderennsport tätigen Menschen — seit jeher Arbeitstage gewesen, an denen ich zur Freizeitgestaltung der Öffentlichkeit beitrug.
Deshalb nahm ich diese Tage zumeist gar nicht als besondere wahr.
Chico traf mit einer Doppelportion Fish-and-Chips in einer dieser neumodischen, hygienischen Pergamentpapiertüten ein, die den Dampf nicht abziehen und die Pommes frites knatschig werden lassen.
«Wußtest du, daß Montag Maifeiertag ist?«fragte ich ihn.
«Schließlich veranstalte ich ein Judoturnier für die kleinen Scheißer, oder?«
Er kippte das Mittagessen auf zwei Teller, und wir verzehrten es, im wesentlichen unter Zuhilfenahme der Finger.
«Du bist also wieder zum Leben erwacht, wie ich sehe«, sagte er.
«Das ist nur vorübergehend.«
«Dann erledigen wir wohl besser ein paar Sachen, solange du noch unter uns weilst.«
«Die Syndikate«, sagte ich und erzählte ihm von dem unglücklichen Mason, der ebenfalls auf sie angesetzt worden war und dem man das Gehirn kaputtgetreten hatte.
Chico streute Salz auf seine Pommes frites.»Wir sollten uns also vorsehen, nicht wahr?«
«Fangen wir heute nachmittag an?«
«Klar doch. «Er hielt nachdenklich inne, leckte sich die Finger ab.»Wir kriegen kein Honorar für diesen Job, war’s nicht so?«
«Nicht direkt.«
«Warum machen wir dann eigentlich nicht diese Untersuchungen für die Versicherungen? Nette, ruhige Befragungen, festes Honorar.«
«Ich habe Lucas Wainwright versprochen, mich vordringlich um die Syndikate zu kümmern.«
Er zuckte die Achseln.»Du bist der Chef. Aber das ist mit deiner Frau und Rosemary, die ja ihr Geld zurückgekriegt hat, schon der dritte Job, den wir gratis machen.«
«Wir werden das später wieder ausgleichen.«
«Dann machst du also weiter?«
Ich beantwortete die Frage nicht sofort. Abgesehen davon, daß ich mir nicht sicher war, ob ich sie überhaupt beantworten wollte, wußte ich auch nicht, ob ich es konnte. In den zurückliegenden Monaten waren Chico und ich immer wieder an irgendwelche Schlägertypen geraten, die versucht hatten, uns an unserer Arbeit zu hindern. Wir verfügten nicht über den Schutz, den wir als Angehörige des Sicherheitsdienstes der Rennbahnen oder als Polizisten genossen hätten, sondern mußten uns selbst verteidigen. Wir hatten die blauen Flecken und Beulen immer als Teil unseres Jobs angesehen — so wie ich früher die Folgen meiner Stürze oder Chico die unsanften Mattenwürfe. Was aber, wenn sich alles das durch Trevor Deansgate geändert hatte? Und das nicht nur für eine einzige, schreckliche Woche, sondern für sehr viel länger? Für immer?
«Sid!«sagte Chico laut.»Komm wieder zu dir.«
Ich schluckte.»Ja… äh… wir kümmern uns um die Syndikate. Dann sehen wir weiter. «Dann würde ich’s wissen, dachte ich. Tief in mir drinnen würde ich’s wissen, ob es so war oder nicht. Wenn ich keine Tigerkäfige mehr betreten konnte, waren wir erledigt. Einer allein war nicht genug — es mußten beide sein. Wenn ich es nicht mehr konnte… könnte ich mir auch gleich einen Strick nehmen.
Das erste Syndikat auf der Liste von Lucas Wainwright bestand aus acht Leuten, von denen drei eingetragene Besitzer waren. Als ihr Sprecher fungierte Philip Friarly. Eingetragene Besitzer waren Leute, die den Aufsichtsgremien genehm waren, die ihre Beiträge zahlten und sich an die Regeln hielten, die keinem Schwierigkeiten machten und die die eigentlichen Säulen dieser ganzen Industrie waren.
Syndikate stellten eine der Möglichkeiten dar, mehr Leute unmittelbar am Rennsport zu beteiligen, was gut für den Sport war, und die Trainingskosten aufzuteilen, was gut für die Besitzer war. Es gab Syndikate aus Millionären, Bergarbeitern, Rockgitarristen, Stammgästen von Pubs. Von der Hausfrau bis zum Bestattungsunternehmer konnte jeder Mitglied eines Syndikats werden — Eddy Keith hätte nur prüfen müssen, ob alle, die auf der jeweiligen Mitgliederliste standen, auch das waren, was sie zu sein behaupteten.
«Wir interessieren uns nicht für die registrierten Besitzer«, sagte ich,»sondern für die anderen.«
Wir waren auf dem Weg nach Tunbridge Wells und fuhren durch die Grafschaft Kent. Tunbridge Wells — das war ein durch und durch ehrbarer Ort. Wohnstätte pensionierter Obristen und Bridge spielender Damen. Rangierte in der nationalen Verbrechensstatistik unter» ferner liefen«. Gleichwohl war es der Wohnort eines gewissen Peter Rammileese, der nach Aussagen des Informanten von Lucas Wainwright die eigentlich treibende Kraft hinter den vier als suspekt angesehenen Syndikaten war, obwohl sein Name auf keiner der Listen stand.
«Mason ist in den Straßen von Tunbridge Wells zusammengeschlagen und dann liegengelassen worden, weil sie ihn wohl für tot hielten«, sagte ich in eher beiläufigem Ton.
«Das erzählst du mir jetzt!«»Möchtest du umkehren, Chico?«fragte ich.
«Hast du ’ne Vorahnung oder irgend so was?«
«Nein«, sagte ich nach einer Weile und fuhr ein bißchen sehr schnell um eine ziemlich scharfe Kurve.
«Hör mal, Sid«, meinte er,»wir fahren wohl besser nicht nach Tunbridge Wells. Wir kriegen doch unweigerlich eins drauf, bei diesem Spaßvergnügen.«
«Und was sollen wir deiner Meinung nach machen?«
Er schwieg.
«Wir müssen hin«, sagte ich.
«Ja.«
«Wir müssen halt rausfinden, wonach Mason gefragt hat, und dann nicht danach fragen.«
«Dieser Rammileese«, sagte Chico,»was ist das für einer?«
«Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, aber von ihm gehört. Ein Bauer, der sich mit krummen Pferdegeschäften eine goldene Nase verdient hat. Der Jockey Club will ihn nicht als Besitzer registrieren, und die meisten Rennbahnen verwehren ihm den Zutritt. Er versucht’s mit Bestechung, bei allen, vom Obersteward bis zu den Stallburschen, und wenn Bestechung nichts fruchtet, dann droht er.«
«Ist ja reizend.«
«Vor nicht allzu langer Zeit haben zwei Jockeys und ein Trainer ihre Lizenz verloren, weil sie Bestechungsgelder von ihm angenommen haben. Einer der Jockeys wurde von seinem Stall gefeuert und ist so am Ende, daß er vor den Rennbahnen rumlungert und die Leute anbettelt.«
«Ist das der, mit dem ich dich vor kurzem hab reden sehen?«»Genau.«
«Und wieviel hast du ihm gegeben?«
«Das geht dich nichts an.«
«Du bist schnell weichzukriegen, Sid.«
«Ich hätte auch leicht in seine Lage kommen können«, sagte ich.
«Na klar. Ich seh’s richtig vor mir, wie du dich von einem krummen Pferdehändler schmieren läßt. Die wahrscheinlichste Sache der Welt.«
«Wie dem auch sei, wir müssen jedenfalls nicht herausfinden, ob Peter Rammileese vier Rennpferde manipuliert, was er mit Sicherheit tut, sondern ob Eddy Keith das weiß und schweigt.«
«Gut. «Wir fuhren ein Stück weiter in das ländliche Kent hinein. Nach einer Weile fragte Chico:»Weißt du eigentlich, warum wir im großen und ganzen so erfolgreich waren, seit wir in diesem Job zusammenarbeiten?«
«Warum denn?«
«Weil die Gangster dich alle kennen. Ich meine, sie kennen dich vom Sehen, die meisten jedenfalls. Und wenn sie dich in ihrem Revier rumschnüffeln sehen, kriegen sie das Flattern und fangen an, so blöde Sachen zu machen wie ihre Schläger auf uns zu hetzen. Und dadurch verraten sie sich, und wir kriegen mit, was sie treiben, und das wäre uns nicht gelungen, wenn sie sich nicht gerührt hätten.«