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Mit einer Hand war ich ein unabhängiger Mensch. Ohne Hände…

O Gott, dachte ich. Denk nicht daran. An sich ist nichts weder gut noch böse; das Denken macht es erst dazu. Allerdings hatte Hamlet nicht die gleichen Probleme wie ich.

Ich überstand die Nacht und den nächsten Morgen und auch den Nachmittag, aber gegen sechs Uhr gab ich auf, setzte mich ins Auto und fuhr nach Aynsford.

Falls Jenny da war, überlegte ich, als ich den Wagen hinter dem Haus vor der Küche zum Stehen brachte, würde ich einfach auf dem Absatz kehrtmachen und nach London zurückkehren. Dann hätte mir die Fahrerei wenigstens die Zeit vertrieben. Ihr Auto war aber nicht zu sehen, und so betrat ich durch den Seiteneingang und einen langen Flur das Haus.

Charles saß in dem kleinen Wohnzimmer, das er als Offiziersmesse zu bezeichnen pflegte, war allein und ordnete seine vielgeliebte Sammlung von Angelfliegen.

Er blickte auf. Keine Überraschung. Keine freudige Begrüßung. Kein Getue. Und das, obwohl ich noch nie ohne Einladung hier erschienen war.

«Hallo«, sagte er lediglich.

«Hallo.«

Ich stand da, und er sah mich an und wartete.

«Ich brauchte Gesellschaft«, gestand ich.

Er begutachtete eine Trockenfliege.»Hast du Sachen für die Nacht mit?«

Ich nickte.

Er deutete auf das Tablett mit den Getränken.»Bedien dich. Und gib mir einen Pink Gin, sei so gut. Eis ist in der Küche.«

Ich machte seinen Drink zurecht, dann meinen, und ließ mich in einem Sessel nieder.

«Willst du’s mir sagen?«fragte er.

«Nein.«

Er lächelte.»Also Abendessen? Und Schach.«

Wir aßen zusammen zu Abend und spielten zwei Partien. Er gewann die erste leicht und meinte, ich solle besser aufpassen. Die zweite endete nach anderthalb Stunden remis.»Schon besser«, sagte er.

Der Friede, den ich allein nicht hatte finden können, kehrte in der Gesellschaft von Charles langsam wieder, obwohl ich durchaus wußte, daß dies mehr der Entspannt-heit unseres persönlichen Umgangs und der Zeitlosigkeit seines riesigen, alten Hauses zuzuschreiben war als einer wirklichen Überwindung der Zerstörungen in mir. In jedem Falle schlief ich zum ersten Mal seit zehn Tagen wieder etliche Stunden tief durch.

Beim Frühstück besprachen wir den vor uns liegenden Tag. Er wollte zum Jagdrennen nach Towcester, fünfundvierzig Minuten in nördlicher Richtung gelegen, um dort als ehrenamtlicher Steward zu fungieren, eine Aufgabe, die ihm großen Spaß machte. Ich erzählte ihm von John Viking und der Ballonwettfahrt, ferner von unseren Besuchen bei den M-Leuten und von Antiques for All, und er lächelte mit der ihm eigenen Mischung von Befriedigung und Belustigung, als sei ich ein Wesen, das er höchstpersönlich erschaffen hatte und das allmählich seinen Er-Wartungen zu entsprechen begann. Schließlich war er es ja auch gewesen, der mich nach dem Unfall dazu animiert hatte, Detektiv zu werden. Jedesmal wenn ich einen Erfolg verbuchen konnte, sah er das als sein ureigenstes Verdienst an.

«Hat dir Mrs. Cross von dem Anruf berichtet?«fragte er und bestrich sich eine Scheibe Toast mit Butter. Mrs. Cross war seine Haushälterin, ruhig, tüchtig und freundlich.

«Was für ein Anruf?«

«Jemand hat heute morgen um sieben hier angerufen und gefragt, ob du vielleicht da wärst. Mrs. Cross hat ihm gesagt, du schläfst noch und ob sie dir etwas ausrichten könne, aber der Anrufer sagte, er würde sich später noch mal melden.«

«War’s Chico? Vielleicht hat er mich in meiner Wohnung nicht erreicht und sich gedacht, daß ich hier draußen bin.«»Mrs. Cross sagte, einen Namen habe er nicht genannt.«

Ich zuckte die Achseln und griff nach der Kaffeekanne.»Es kann nichts Dringendes gewesen sein, sonst hätte er Mrs. Cross wohl gebeten, mich zu wecken.«

Charles lächelte.»Mrs. Cross schläft mit Lockenwicklern und Gesichtsmaske. Sie würde sich dir nie und nimmer morgens früh um sieben zeigen, außer vielleicht bei einem Erdbeben. Sie hält dich übrigens für einen reizenden jungen Mann. Das sagt sie mir jedes Mal, wenn du herkommst.«

«Ach du liebe Güte!«

«Kommst du heute abend wieder her?«fragte er.

«Ich weiß es noch nicht.«

Er faltete seine Serviette zusammen, blickte darauf hinab.

«Ich bin froh, daß du gestern gekommen bist.«

Ich sah ihn an.»Ja«, sagte ich.»Gut, du möchtest, daß ich das sage, also tu ich’s. Und ich meine es auch. «Ich hielt inne, suchte nach den schlichtesten Worten, die ihm zu verstehen geben könnten, was ich für ihn empfand. Fand sie. Sagte sie.»Hier ist mein Zuhause.«

Er sah schnell auf, und ich lächelte schief, machte mich über mich selbst lustig, über ihn, über die ganze gottverdammte Welt.

Highalane Park war ein alter Herrensitz, der sich voller Unbehagen mit dem Plastikzeitalter abfand. Das Anwesen selbst präsentierte sich wie eine echauffierte Jungfer nur ein paarmal im Jahr der breiteren Öffentlichkeit, der Park dagegen konnte jederzeit für Veranstaltungen oder Festlichkeiten, wie etwa der aus Anlaß des Maifeiertages, angemietet werden.

Man hatte sich keine besondere Mühe gegeben, durch eine entsprechende Ausschilderung auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen und Vorbeifahrende anzulocken. Keine Fahnen, kein Tamtam, keine riesengroßen, schon von weitem lesbaren Plakate — alles eher schüchtern, ja zaghaft. Angesichts dessen war die Menschenmenge, die zum Festplatz strömte, von beachtlicher Größe. Als ich an der Reihe war, zahlte ich das Eintrittsgeld und holperte dann über das Gras, um mein Auto gehorsam auf dem eigens abgesperrten Parkplatz abzustellen. Andere Autos folgten und halfen, die säuberlichen Reihen zu vervollständigen.

Ein paar Reiter bewegten sich geschäftig im Gelände herum, während die Karussells, die auf der einen Seite des Festplatzes aufgebaut worden waren, bewegungslos dastanden. Von Ballons keine Spur. Ich stieg aus dem Auto, schloß es ab und dachte, daß halb zwei vielleicht noch etwas früh für bedeutendere Aktivitäten sei. Wie man sich täuschen kann!

Eine Stimme hinter mir sagte:»Ist das der Mann?«

Ich drehte mich um und sah zwei Menschen durch die enge Lücke zwischen meinem und dem daneben geparkten Auto auf mich zukommen, einen Mann, der mir unbekannt, und einen Jungen, der mir bekannt war.

«Ja«, sagte der Junge erfreut.»Hallo!«

«Hallo, Mark«, erwiderte ich.»Wie geht’s denn deiner Mama?«

«Ich hab Daddy erzählt, daß Sie gekommen sind. «Er sah zu dem Mann neben sich auf.

«So?«Ich dachte, seine Anwesenheit hier in Highalane Park sei der reinste Zufall, aber das war sie nicht.

«Er hat Sie mir beschrieben«, sagte der Mann.»Diese Hand und wie Sie mit den Pferden umzugehen wußten…

mir war da gleich klar, von wem er sprach. «Seine Stimme und sein Gesicht waren hart und wachsam, verrieten etwas, was mir inzwischen recht vertraut war: Schuldbewußtsein, das sich mit Unannehmlichkeiten konfrontiert sah.»Ich mag das ganz und gar nicht, wenn Sie da auf meinem Anwesen rumschnüffeln.«

«Sie waren nicht da«, sagte ich milde.

«So ist es, ich war nicht da. Und dieser Knirps hier hat Sie sich selbst überlassen.«

Er war etwa vierzig, ein drahtiger Bursche, dem die bösen Absichten nur allzu deutlich anzusehen waren.

«Ich habe auch Ihr Auto wieder erkannt«, sagte Mark voller Stolz.»Papa sagt, ich bin ganz schön clever.«

«Kinder haben eine gute Beobachtungsgabe«, meinte sein Vater mit häßlichem Behagen.

«Wir haben gewartet, bis Sie da aus so einem großen Haus rausgekommen sind, und dann sind wir Ihnen die ganze Strecke bis hierher nachgefahren. «Er strahlte, forderte mich auf, den Spaß an seinem Spielchen mit ihm zu teilen.»Das dort ist unser Auto, das neben Ihrem. «Er klopfte auf das Blech des kastanienbraunen Daimlers, der dort geparkt stand.