«Da drin ist ein Barograph, vollgeklebt mit pompösen roten Siegeln. Das macht die Wettkampfleitung vor dem Start. Das Gerät zeigt jede Veränderung des Luftdrucks an. Ist höchst empfindlich. Unsere ganze Reise erscheint darauf wie eine lange Kette von Berggipfeln. Am Boden aber ist die Spur der Nadel ganz gleichmäßig und gerade. Sie sagt den Schiedsrichtern genau, wann man gestartet und wann gelandet ist. Alles klar?«
«Alles klar.«
«Okay, also runter mit uns.«
Er langte nach oben, löste eine am Rahmen des Brenners festgebundene rote Kordel und zog daran.»Man kann damit eine Klappe oben auf dem Ballon öffnen«, erklärte er.»Läßt die heiße Luft raus.«
Seine Vorstellung von einem Sinkflug war typisch für ihn. Die Nadel des Höhenmessers drehte sich rasend schnell, wie der Zeiger einer Uhr mit gebrochener Feder, und der Steiggeschwindigkeitsmesser zeigte tausend Fuß pro Minute — abwärts. Ihm schien das nichts anzuhaben, aber mir wurde leicht übel, und die Ohren taten mir weh. Schlucken machte die Sache ein bißchen erträglicher, aber eben nur ein bißchen. Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf die Karte und versuchte festzustellen, wohin wir fuhren. Der Ärmelkanal lag wie ein großer, grauer Teppich zu unserer Rechten, und wenn es auch ganz unglaublich zu sein schien, so trieben wir doch, wie ich’s auch drehen und wenden mochte, direkt auf Beachy Head zu.
«Ja«, bestätigte John Viking beiläufig.»Müssen halt sehen, daß wir nicht vom Kliff gepustet werden. Vielleicht ist’s sogar besser, auf dem Strand ein Stück dahinter zu landen…«Er sah auf die Uhr.»Noch zehn Minuten. Wir sind noch immer tausend Fuß hoch… das ist schon in Ordnung. es könnte der Strand werden.«
«Nicht das Meer«, sagte ich beschwörend.
«Wieso nicht? Vielleicht müssen wir sogar.«
«Na ja«, sagte ich,»das hier…«Ich hob den linken Arm.»In diesem handförmigen Stück Plastik steckt eine Menge High-Tech. Eine starke Zange im Daumen und den beiden ersten Fingern. Eine Menge Präzisionsteile und Transistoren und Schaltkreise. Das ins Meer zu tauchen wäre so, als ließe man einen Radioapparat ins Wasser fallen. Die Hand wäre total hin. Und es würde mich zweitausend Pfund kosten, mir eine neue zu besorgen.«
Er war erstaunt.»Sie machen Witze!«
«Nein, keineswegs.«
«Dann lassen wir Sie wohl besser nicht naß werden. Und im übrigen glaube ich jetzt, wo wir so weit unten sind, nicht mehr, daß wir so weit nach Süden wie Beachy Head kommen. Wahrscheinlich weiter östlich davon. «Er hielt inne und sah zweifelnd auf meine linke Hand.»Es wird eine harte Landung werden. Das Flüssiggas ist wegen der großen Höhe sehr kalt. und der Brenner arbeitet dann nicht so gut. Es braucht Zeit, um genügend Luft für eine sanftere Landung warm zu machen.«
Eine sanftere Landung brauchte Zeit… zuviel Zeit,»Los, gewinnen Sie das Rennen«, sagte ich. Das reine Glück ließ sein Gesicht erstrahlen.»Wird gemacht«, sagte er entschieden.»Welcher Ort ist das da unmittelbar vor uns?«
Ich sah auf der Karte nach.»Eastbourne.«
Er blickte auf die Uhr.»Fünf Minuten. «Er sah auf den Höhenmesser, dann auf Eastbourne, auf das wir uns schnell hinabsenkten.»Zweitausend Fuß. Bißchen kitzlig, da auf den Dächern zu landen. Und hier unten ist nicht viel Wind… Aber wenn ich den Brenner noch mal laufen lasse, könnte es passieren, daß wir die Zeit überschreiten… Nein, kein Brenner.«
Tausend Fuß pro Minute, rechnete ich, das waren elf oder zwölf Meilen pro Stunde. Ich war jahrelang sehr oft mit doppelter Geschwindigkeit auf dem Boden aufgeschlagen… allerdings nicht in einem Korb und nicht auf einem Boden, der möglicherweise mit Ziegelsteinmauern verbaut war. Wir fuhren jetzt seitlich am Stadtzentrum vorbei, hatten überall Häuser unter uns. Wir verloren schnell an Höhe.»Noch drei Minuten«, sagte er.
Vor uns, unmittelbar am anderen Ende der Stadt, lag wieder das Meer, und einen Augenblick sah es ganz so aus, als würden wir am Ende doch darin landen. John Viking aber wußte es besser.
«Festhalten!«rief er.»Es ist soweit.«
Er zog kräftig an der roten, nach oben in den Korb hineinführenden Schnur. Irgendwo hoch über uns wurde die Öffnung, durch die die heiße Luft entwich, noch weiter aufgerissen, die Tragkraft des Ballons schwand, und der bebaute Teil von Eastbourne kam mit einem Ruck auf uns zu.
Wir schabten über die Giebel grauer Schieferdächer, schossen schräg über eine Straße und eine Rasenfläche hinab und krachten auf eine breite Betonpromenade, die sieben Meter von den Wellen entfernt am Strand entlanglief.
«Nicht aussteigen! Nicht aussteigen!«rief John Viking mir zu. Der Korb kippte zur Seite und fing an, über den
Beton zu schurren, gezogen von der noch immer halb aufgeblasenen Stoffmasse.
«Ohne unser Gewicht kann er immer noch wegfliegen.«
Da ich wieder zwischen den Gasflaschen eingeklemmt war, war seine Anweisung überflüssig. Der Korb ruckte und schlingerte noch ein paarmal hin und her, und ich mit ihm, und John Viking fluchte und zerrte an seiner roten Kordel — und hatte endlich soviel heiße Luft abgelassen, daß wir zum Stillstand kamen.
Er sah auf die Uhr, und seine blauen Augen leuchteten triumphierend.
«Wir haben’s geschafft. Fünf Uhr neunundzwanzig. Das war ein verdammt gutes Rennen. Das beste überhaupt. Was machen Sie am nächsten Samstag?«
Ich fuhr mit der Bahn nach Aynsford zurück, was eine Ewigkeit dauerte, und als mich Charles am Bahnhof von Oxford abholte, war es schon kurz vor Mitternacht.
«Du hast die Ballonwettfahrt mitgemacht?«wiederholte er ungläubig.»Und hat es Spaß gemacht?«
«Großen.«
«Dein Auto steht noch in Highalane Park?«
«Das kann bis morgen warten«, gähnte ich.»Übrigens hat Nicholas Ashe jetzt einen richtigen Namen. Er heißt Norris Abbot. Die gleichen Initialen, dieser Blödmann.«
«Willst du’s der Polizei mitteilen?«
«Wir sehen erst mal, ob wir ihn finden können.«
Er warf mir einen Seitenblick zu.»Jenny ist heute abend zurückgekommen. Nach deinem Anruf.«
«O nein!«
«Ich wußte wirklich nichts davon.«
Ich nahm an, daß ich ihm Glauben schenkte. Ich hoffte, sie würde vor unserer Ankunft zu Bett gegangen sein, aber dem war nicht so. Sie saß auf dem brokatenen Sofa im Wohnzimmer und sah streitsüchtig aus.
«Ich mag es ganz und gar nicht, daß du so oft herkommst«, sagte sie.
Ein Stich mitten ins Herz von meiner schönen Frau.
Charles sagte besänftigend:»Sid ist hier immer willkommen.«
«Abgelegte Ehemänner sollten soviel Stolz besitzen, nicht dauernd um ihre Schwiegerväter herumzuscharwenzeln, die sich das nur gefallen lassen, weil sie Mitleid mit ihnen haben.«
«Du bist ja eifersüchtig!«sagte ich überrascht.
Sie stand schnell auf, war so wütend, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
«Wie kannst du es wagen!«schrie sie.»Er ergreift immer deine Partei. Er hält dich für so verdammt wunderbar. Weil er dich nicht so gut kennt wie ich, nicht weiß, wie stur du bist und gemein. und immer meinst, du wärst im Recht.«
«Ich gehe zu Bett«, sagte ich.
«Und ein Feigling bist du außerdem«, zischte sie erbost.
«Läufst schon vor ein paar schlichten Wahrheiten davon.«
«Gute Nacht, Charles«, sagte ich.»Gute Nacht, Jenny. Schlaf, gut, meine Liebe, und träum was Hübsches.«
«Du…«:, stieß sie hervor.»Du… ich hasse dich, Sid.«
Ich verließ das Wohnzimmer ohne ein weiteres Wort und ging nach oben in das Schlafzimmer, das ich als das meine ansah — das, in dem ich immer schlief, wenn ich jetzt nach Aynsford kam.
Du brauchst mich nicht zu hassen, Jenny, dachte ich unglücklich. Ich hasse mich schon selbst.
Charles fuhr mich am nächsten Morgen nach Wiltshire, wo ich mein Auto abholte, das noch auf dem gleichen Platz stand, auf dem ich es abgestellt hatte, nur jetzt inmitten einer riesigen, völlig leeren Rasenfläche. Kein Peter Rammi-leese war zu sehen, keine Schläger lauerten im Hinterhalt. Alles klar für eine ereignislose Rückkehr nach London.