Wir spürten den leichten, durch das Mauerwerk übertragenen Stoß, als die Tür im Stockwerk unter uns zugezogen und abgeschlossen wurde. Chico hob fragend die Augenbrauen, ich nickte, und er machte sich mit einem Bündel Dietriche über das Problem her. Es entstand ein leise kratzendes Geräusch, als er sich in den Mechanismus hineinfummelte, dann folgte ein wenig Kraftaufwand und schließlich der Blick der Befriedigung, als der metallene Riegel in die Tür zurückglitt.
Ohne die Tür hinter uns abzuschließen, gingen wir hinein und befanden uns im vertrauten Hauptquartier des britischen Reitsports. Riesige, teppichbelegte Flächen, bequeme Sessel, gediegenes Mobiliar aus massivem, poliertem Holz und der Geruch erkalteten Zigarrenrauchs.
Die Sicherheitsabteilung war in einem separaten Flur mit kleineren Büroräumen untergebracht, wo wir sehr leicht zu Eddy Keith hineingelangten.
Keine der inneren Türen schien abgeschlossen zu sein, und ich nahm an, daß es da wirklich nicht sehr viel zu stehlen gab, wenn man von elektrischen Schreibmaschinen und ähnlichen Nichtigkeiten absah. Eddy Keiths Aktenschränke ließen sich alle ohne die geringsten Schwierigkeiten aufziehen, ebenso die Schubfächer seines Schreibtisches.
Wir saßen in der strahlenden Abendsonne und lasen die Berichte über die Syndikate, von denen mir Jacksy berichtet hatte. Elf Pferde, deren Namen ich mir, gleich, nachdem er in Watford aus dem Wagen gestiegen war, notiert hatte, um sie nicht zu vergessen. Elf Syndikate, von Eddy ganz offensichtlich überprüft und zugelassen, und die beiden eingetragenen Besitzer, die Kumpel von Rammileese, unweigerlich auf allen Mitgliedslisten. Und wie im Falle der vier, denen Philip Friarly vorstand, fand sich nichts in den Unterlagen, womit sich irgend etwas hätte beweisen lassen. Sie waren sehr sorgfältig, ja, peinlich korrekt angelegt worden — und forderten einen regelrecht zur Überprüfung auf.
Eins war seltsam — alle vier Friarly-Akten fehlten.
Wir durchsuchten den Schreibtisch. Darin verwahrte Eddy ein paar persönliche Dinge — einen batteriebetriebenen
Rasierapparat, Tabletten gegen Verdauungsstörungen, einen Kamm und ungefähr sechzehn Zündholzbriefchen, alle von Spielclubs. Ferner fanden sich einfaches Briefpapier, Schreibgeräte, ein Taschenrechner, ein Terminkalender. Dort waren lediglich die Besprechungen der Rennleitungen eingetragen, an denen er von Amts wegen teilnehmen mußte.
Ich sah auf die Uhr. Viertel vor acht. Chico nickte und fing an, die Akten säuberlich in die Schränke zurückzustellen. Ziemlich enttäuschend, das Ganze, dachte ich. Absolute Fehlanzeige.
Als wir schon fertig zum Aufbruch waren, warf ich noch schnell einen Blick in ein Fach, auf dem» Personal «stand und das schmale Aktenordner mit den Unterlagen aller derzeitigen Mitarbeiter und Versorgungsempfänger des Jockey Club enthielt. Ich suchte nach der Akte von Mason, aber irgend jemand hatte auch die an sich genommen.
«Kommst du?«fragte Chico.
Ich nickte bedauernd. Wir verließen Eddys Büro so, wie wir es vorgefunden hatten, und kehrten zur Tür und ins Treppenhaus zurück. Nichts rührte sich. Das Hauptquartier des britischen Reitsports stand Eindringlingen weit offen, die nun mit leeren Händen wieder abziehen mußten.
Kapitel 14
Aus verschiedenen Gründen niedergeschlagen, fuhr ich am Freitag relativ langsam nach Newmarket.
Der Tag war heiß, und glaubte man dem Wetterbericht, so entwickelte sich gerade eine jener Hitzewellen, wie man sie oft im Mai erleben konnte — Verheißungen eines schönen Sommers, die dann nur selten in Erfüllung gingen. Ich fuhr mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, hatte das Seitenfenster heruntergekurbelt und beschloß, nach Hawaii zu fliegen, um mich dort ein Weilchen an den Strand zu legen — ein recht ausgedehntes Weilchen, wenn’s nach mir ging.
Martin England stand, als ich bei ihm eintraf, auf dem Hof vor seinen Ställen. Auch er war in Hemdsärmeln und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
«Sid!«sagte er, anscheinend wirklich erfreut.»Das ist ja großartig. Ich wollte gerade meinen Abendrundgang machen. Hast du sehr gut abgepaßt.«
Wir gingen von Box zu Box, dem üblichen Ritual folgend, bei dem der Trainer nach jedem Pferd und seinem Gesundheitszustand sieht, während der Gast Bewunderung und Komplimente äußert und sich hütet, auf Schwachstellen hinzuweisen. Martins Pferde waren mittelmäßig bis gut — so wie er, wie die Mehrzahl der Trainer, auf deren Schultern der Rennsport in erster Linie ruhte und denen die meisten Jockeys Lohn und Arbeit verdankten.
«Ist schon ’ne ganze Weile her, daß du für mich geritten bist«, sagte er, meine Gedanken erratend.
«Zehn Jahre… vielleicht auch mehr.«
«Was wiegst du jetzt, Sid?«
«Etwa dreiundsechzig, vierundsechzig Kilo, ohne Klamotten.«
Weniger als zu dem Zeitpunkt, wo ich die Rennreiterei hatte aufgeben müssen.
«Und recht fit, was?«
«Ich denke, so wie immer«, sagte ich.
Er nickte, und wir gingen von der Seite des Hofes, auf der die Stutfohlen standen, hinüber zur anderen, zu den Hengsten. Er hatte ein gutes Lot von Zweijährigen beisammen, und es freute ihn, als ich ihm das sagte.
«Das hier ist >Flotilla<«, sagte er, zur nächsten Box weitergehend.»Schon dreijährig. Läuft am nächsten Mittwoch beim Dante in York… und wenn das hinhaut, dann auch beim Derby.«
«Er sieht gut aus«, sagte ich.
Martin spendierte seiner Hoffnung auf Ruhm eine Mohrrübe. Auf seinem freundlichen, nicht mehr ganz jugendlichen Gesicht lag Stolz — nicht auf sich selbst, sondern auf das glänzende Fell und das ruhige Auge und die durchtrainierte Muskulatur des prächtigen vierbeinigen Geschöpfes vor ihm. Ich strich dem Pferd über den Hals, klopfte ihm auf die kastanienbraune Schulter und befühlte seine schlanken, harten Vorderläufe.
«Ist wirklich in großartiger Verfassung«, meinte ich.»Sollte dir wohl Ehre machen.«
Er nickte mit einem unter dem Stolz sichtbar werdenden, durchaus normalen Anflug von Besorgnis, und wir gingen weiter, die Reihe der Boxen entlang, klopften Hälse und
Kruppen, unterhielten uns und waren glücklich und zufrieden. Vielleicht war’s das, was mir wirklich fehlte, dachte ich. Vierzig Pferde und harte Arbeit und die alltägliche Routine. Planung und Verwaltung und Papierkram. Die Freude daran, ein Pferd zum Sieger zu machen, und die Traurigkeit, wenn es verlor. Ein erfülltes, befriedigendes Leben an der frischen Luft, das Dasein eines Geschäftsmannes im Sattel.
Ich dachte daran, was Chico und ich nun schon seit so vielen Monaten machten. Ganoven jagen, kleine und große. Ein bißchen von dem Schmutz aufwischen, der in der Rennsportindustrie anfiel. Hin und wieder mal eins verpaßt kriegen. Uns mit all unserem Grips durch Minenfelder tasten und uns mit Leuten abgeben, die mit Kanonen drohten.
Ich käme wohl kaum in Verruf, wenn ich das alles aufgäbe und statt dessen Pferde trainierte. Eine sehr viel normalere Existenz für einen Ex-Jockey, würden alle denken. Eine vernünftige, ordentliche Entscheidung, wenn man allmählich in die Jahre kam. Nur ich… und Trevor Deansgate… nur wir würden wissen, warum ich mich so entschieden hatte. Ich würde mit diesem Wissen sehr alt werden können.
Ich mochte aber nicht.
Am nächsten Morgen ging ich, mit Reithose, Reitstiefeln und Jerseyhemd bekleidet, um halb acht hinunter in den Hof. Obwohl es noch einigermaßen früh am Morgen war, war es doch schon recht warm, und die allgemeine Geschäftigkeit, die Geräusche und der Stallgeruch um mich her hoben meine am Boden liegenden Lebensgeister und ließen sie so etwa in Kniehöhe schweben.
Martin, eine Liste in der Hand, rief mir einen Gutenmorgengruß zu, und ich ging zu ihm, um zu sehen, welches