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Mein Mund wurde plötzlich ganz trocken.

«Sind Sie noch dran?«

«Ja«, sagte ich.

«Dann berichte ich Ihnen wohl besser gleich, daß >Glea-ner< soeben eingegangen ist.«

«Wann?«fragte ich und kam mir sehr dumm vor.»Ah… wie?«Mein Herz schlug plötzlich mindestens doppelt so schnell. Wie war das mit Überreaktionen? dachte ich und spürte, wie mich die Angst schmerzhaft durchzuckte.

«Eine Stute, die er decken sollte, wurde rossig, und da haben wir die beiden zusammengebracht«, sagte er.»Heute morgen. Vor vielleicht einer Stunde. Die Hitze hat ihn stark schwitzen lassen. Ist ja auch ziemlich heiß in der Deckstation, wenn da die Sonne draufbrennt. Na ja, er hat die Stute gedeckt, ist auch wieder runtergekommen, hat dann aber plötzlich zu schwanken angefangen, ist zu Boden gegangen und praktisch sofort verendet.«

Ich zwang mich zum Sprechen.»Wo ist er jetzt?«

«Noch in der Deckstation. Wir brauchen sie heute morgen nicht mehr, deshalb hab ich ihn erst mal da liegen lassen. Ich habe versucht, beim Jockey Club anzurufen, aber es ist ja Samstag, und Lucas Wainwright ist nicht da, und als mir meine Assistentin dann erzählte, daß Sie hier in Newmarket wären.«

«Ja«, sagte ich und atmete einmal tief durch.»Eine Obduktion. Sie wären doch einverstanden, oder?«

«Sehr wichtig, würde ich sagen. Von wegen der Versicherung und so.«

«Ich werde versuchen, Ken Armadale zu erreichen«, sagte ich.

«Vom Equine Research Establishment. Ich kenne ihn… wäre er Ihnen recht?«

«Wüßte keinen Besseren.«

«Ich rufe Sie wieder an.«

«Gut«, sagte er und legte auf.

Ich stand da, hatte Martins Telefonhörer in der Hand und sah in düstere Fernen. Das ist zu früh, dachte ich. Viel zu früh.

«Was ist denn?«fragte Martin.

«Gerade ist ein Pferd, über das ich Erkundigungen eingezogen habe, verendet.«- Allmächtiger Gott! — »Darf ich dein Telefon noch mal benutzen?«fragte ich.

«Aber bitte.«

Ken Armadale meinte, er sei gerade bei der Gartenarbeit und würde viel lieber ein totes Pferd aufschneiden. Ich erbot mich, ihn abzuholen, und er erwiderte, daß er mich erwarte. Meine Hand, stellte ich flüchtig fest, zitterte jetzt.

Ich rief Henry Thrace wieder an und sagte ihm Bescheid. Dankte Martin für seine große Gastfreundschaft. Bugsierte meinen Koffer und mich selbst in mein Auto und holte Ken Armadale von seinem stattlichen, neugebauten Haus am südlichen Stadtrand von Newmarket ab.

«Wonach halte ich Ausschau?«fragte er.

«Herz, denke ich.«

Er nickte. Er war ein kräftiger, dunkelhaariger Mann, etwa Mitte dreißig und in der veterinärmedizinischen Forschung tätig. Ich hatte schon mehrfach mit ihm zu tun gehabt, oft genug jedenfalls, um mich mit ihm zu verstehen und ihm zu vertrauen — und soweit ich es beurteilen konnte, ging es ihm mit mir nicht anders. Eine berufsbedingte Freundschaft, die bis zu einem Bier im Pub, aber nicht bis zu Weihnachtskarten reichte, jene Art von Beziehung, die unverändert blieb und sich im Bedarfsfalle leicht reaktivieren ließ.

«Irgendeine Besonderheit?«erkundigte er sich weiter.

«Ja… nur weiß ich nicht, was für eine.«

«Das klingt mysteriös.«

«Warten wir mal ab, was Sie finden.«

>Gleaner<, dachte ich. Wenn es drei Pferde gab, um die ich mich ganz bestimmt nicht kümmern durfte, dann waren das >Gleaner<, >Zingaloo< und >Tri-Nitro<. Ich wünschte mir, ich hätte Lucas Wainwright nicht gebeten, diese Briefe für mich zu schreiben, den einen an Henry Thrace, den anderen an George Caspar. Sollten diese Pferde eingehen, so bitte ich Sie, mich davon zu unterrichten… aber doch nicht so bald schon, nicht so entsetzlich schnell.

Ich fuhr auf den Hof von Henry Thrace und brachte das Auto mit einem scharfen Ruck zum Stehen. Er kam aus dem Haus, um uns zu begrüßen, und dann gingen wir zusammen zur Deckstation hinüber. Wie die meisten Baulichkeiten dieser Art bestand auch diese nur aus vier mit einer Doppeltür versehenen Wänden, etwa drei Meter hoch, darüber eine Fensterreihe und dann das Dach. Der überdachten Reitbahn von Peter Rammileese sehr ähnlich, dachte ich, nur kleiner.

War es draußen schon heiß, so hier drinnen erst recht. Das tote Pferd lag an der Stelle, an der es auf dem sägemehlbestreuten Boden zusammengebrochen war — ein trauriger, brauner Haufen mit milchig-grauen Augen.

«Ich hab den Abdecker angerufen«, sagte Ken.»Die Jungs sind gleich da.«

Henry Thrace nickte. Es war unmöglich, die Obduktion an Ort und Stelle durchzuführen, da der Blutgeruch noch tagelang in der Luft hängen und alle Pferde in Unruhe versetzen würde, die hier hereingebracht wurden. Wir warteten also die kurze Zeit, bis der Lastwagen mit der Seilwinde eintraf, und als der Kadaver verladen war, folgten wir der Fuhre bis zur Abdeckerei, wo die Verluste der Ställe von Newmarket zu Hundefutter verarbeitet wurden. Klein und hygienisch, alles sehr sauber.

Ken Armadale öffnete die Tasche, die er mitgebracht hatte, und gab mir einen abwaschbaren Nylonoverall zum Schutz von Hemd und Hose. Der Pferdekadaver lag jetzt in einem Raum mit weiß gekalkten Wänden und Betonfußboden. Im Boden Rinnen und ein Abfluß. Ken drehte einen Hahn auf, so daß Wasser aus einem neben dem Pferd liegenden Schlauch lief, und zog sich dann lange Gummihandschuhe an.

«Alles bereit?«sagte er.

Ich nickte, und er machte den ersten langen Schnitt. Wie schon bei früheren Gelegenheiten, war es auch hier der Geruch, den ich an den nun folgenden zehn Minuten am wenigsten mochte. Ken dagegen schien ihn gar nicht wahrzunehmen und überprüfte mit methodischer Sorgfalt die inneren Organe. Nachdem er den Brustkorb geöffnet hatte, entnahm er ihm Lunge und Herz und trug die gesamte blutige Masse zu dem Tisch, der unter dem einzigen Fenster des Raumes stand.

«Das ist seltsam«, sagte er nach einer Weile.

«Was denn?«

«Sehen Sie mal.«

Ich trat neben ihn und besah mir die Stelle, auf die er zeigte, aber ich hatte nicht seine Kenntnisse und so sah ich nur einen blutbedeckten Gewebeklumpen mit hart aussehenden Knorpelwülsten darin.

«Sein Herz?«fragte ich.

«Genau. Schauen Sie sich mal die Klappen an…«Er wandte mir das Gesicht zu, die Stirn gerunzelt.»Er ist an etwas gestorben, was Pferde eigentlich gar nicht kriegen. «Er dachte über das Gesagte nach.»Ein Jammer, daß wir keine Blutprobe entnehmen konnten, bevor er verendet ist.«

«Bei Henry Thrace steht noch ein Pferd, das die gleiche Geschichte hat«, sagte ich.»Von dem können Sie Ihre Blutprobe bekommen.«

Er hatte sich über das Herz gebeugt, richtete sich jetzt aber wieder auf und sah mich groß an.

«Sie erzählen mir wohl besser mal, was hier gespielt wird, Sid«, meinte er.»Und das vielleicht draußen, wo wir ein bißchen frische Luft atmen können.«

Wir gingen hinaus, und da wurde mir gleich wieder besser. Er stand da und hörte mir zu, die Handschuhe und die ganze Vorderseite seines Overalls blutbeschmiert, während ich mit dem im hinteren Teil meines Kopfes sitzenden Entsetzen rang und völlig ohne Gefühl und Ausdruck allein aus dem vorderen sprach.

«Es sind… oder waren… vier«, sagte ich.»Vier, von denen ich weiß. Alle vier Spitzenpferde, galten den ganzen Winter lang als Favoriten für die Guineas und das Derby. Erste Klasse, absolute Spitze. Alle aus ein und demselben Stall. Sie waren alle in der Woche vor den Guineas in Topform, sahen großartig aus. Sie gingen alle als hohe Favoriten an den Start und versagten kläglich. Sie litten alle an einer leichten Virusinfektion, die sich aber nicht entwickelte. Und bei allen stellte man hinterher Herzgeräusche fest.«