Ken sah immer finsterer drein.»Fahren Sie fort.«
«Da war >Bethesda<, die vor zwei Jahren in den 1000 Guineas lief. Sie kam danach in ein Gestüt und ging beim Fohlen ein. Herzversagen.«
Ken holte tief Luft.
«Dann dieser hier«, fuhr ich fort.»>Gleaner<. War im vergangenen Jahr der Favorit der 2000 Guineas. Er bekam danach einen echten Herzschaden und dazu noch Arthritis. Das andere Pferd, das hier bei Henry Thrace steht, ging topfit an den Start und konnte sich hinterher vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten.«
Ken nickte.»Und welches ist das vierte?«
Ich blickte zum Himmel empor. Blau und klar. Ich bringe mich selbst um, dachte ich. Dann sah ich ihn wieder an und sagte:»Das ist >Tri-Nitro<.«»Sid!«Er war schockiert.»Das ist doch erst ganze zehn Tage her.«
«Um was handelt es sich denn nun?«fragte ich.»Was stimmt mit ihnen nicht?«
«Ich müßte noch ein paar Tests machen, um ganz sicher zu sein«, erwiderte er.»Aber die Symptome, die Sie mir beschrieben haben, sind sehr typisch, und bei den Herzklappen gibt’s kein Vertun. Das Pferd ist an Rotlauf eingegangen, eine Erkrankung, die eigentlich nur bei Schweinen auftritt.«
Ken sagte:»Wir müssen das Herz als Beweismittel aufheben.«
«Ja«, stimmte ich zu.
Lieber Gott…
«Würden Sie mir bitte mal einen von den Plastiksäcken da bringen?«sagte er.»Halten Sie ihn auf. «Er legte das Herz hinein.»Wir fahren nachher am besten gleich noch ins Institut. Ich meine… ich weiß, daß ich da irgendwo einen Artikel rumliegen habe, in dem es um Schweinerotlauf bei Pferden geht. Wir könnten da mal reinschauen, wenn Sie wollen.«
«Selbstverständlich«, sagte ich.
Er schälte sich aus seinem blutverschmierten Overall.»Hitze und Erschöpfung, das hat den Burschen hier geschafft. Eine tödliche Verbindung bei einem Herzen in diesem Zustand. Sonst hätte er vielleicht noch jahrelang weitergelebt.«
Welche Ironie, dachte ich bitter.
Er verstaute alles wieder in seiner Tasche, und wir fuhren zu Henry Thrace zurück. Eine Blutprobe von >Zinga-loo<? Aber klar doch, sagte er. Ken zapfte dem Pferd, wie mir schien, so viel Blut ab, daß man ganze Landstriche damit hätte überfluten können, aber was war für ein solches Tier schon ein Liter! Wir nahmen von Henry noch dankbar einen wiederbelebenden Whisky an und brachten dann unsere Trophäen ins Equine Research Establishment an der Bury Road.
Kens Arbeitszimmer lag neben einem großen Laborraum, wo er den Plastikbeutel mit >Gleaners< Herz mit zum Ausguß nahm um, wie er mir sagte, das noch darin enthaltene Blut herauszuspülen.
«Jetzt schauen Sie sich’s noch mal an«, sagte er, als er fertig war.
Diesmal konnte ich deutlich sehen, wovon er gesprochen hatte. An den Rändern der Herzklappen waren überall kleine, knötchenartige Auswüchse zu erkennen, cremig weiß, an Blumenkohlsprossen erinnernd.
«Diese Wucherungen«, sagte er,»hindern die Klappen daran, sich richtig zu schließen. Machen das Herz ungefähr so wirkungsvoll wie eine lecke Pumpe.«
«Ja, das kann man sehen.«
«Ich leg das in den Tiefkühlschrank und sehe dann mal die Fachzeitschriften nach diesem Artikel durch.«
Während er mit der angekündigten Suche beschäftigt war, saß ich auf einem harten Stuhl in seinem zweckmäßig eingerichteten Arbeitszimmer. Ich betrachtete meine Finger. Bog und streckte sie wieder. Das alles darf gar nicht wahr sein, dachte ich. Vor drei Tagen erst hatte ich Trevor Deansgate in Chester getroffen. Wenn Sie Ihr Versprechen nicht halten, werde ich meine Ankündigung wahr machen.
«Hier ist’s ja!«rief Ken aus und strich eine aufgeschlagene Zeitschrift glatt.»Soll ich Ihnen die relevanten Stellen vorlesen?«
Ich nickte.
«Schweinerotlauf trat — im Jahre 1938 — bei einem Pferd in Gestalt der vegetativen Endocarditis auf, bei Schweinen die chronische Form der Krankheit. «Er sah auf.»Das sind diese blumenkohlartigen Gewächse.«
«Aha.«
Er las weiter.»Im Jahr 1944 trat plötzlich eine Mutationsform des Schweinerotlauf-Erregers auf, und zwar im Labor einer auf die Herstellung von Antiseren spezialisierten Firma, und führte bei den für die Gewinnung von Serum benutzten Pferden zu akuter Endocarditis.«
«Übersetzen Sie mir das«, sagte ich.
Er lächelte.»Damals pflegte man noch Pferde zu benutzen, um Vakzine, also Impfstoffe, zu gewinnen. Man injiziert dem Pferd die Schweinekrankheit, wartet, bis es Antikörper entwickelt, und extrahiert dann das Serum. Mit diesem Serum impft man dann gesunde Schweine und verhindert so, daß sie an Rotlauf erkranken. Das gleiche Verfahren wie bei den Impfstoffen, die beim Menschen eingesetzt werden, also gegen Pocken und so weiter. Standardmethode.«
«Okay«, sagte ich.»Lesen Sie weiter.«
«Was nun geschah, war, daß die Pferde, statt Antikörper zu entwickeln, selbst erkrankten.«
«Aber wie konnte das denn geschehen?«
«Das wird hier nicht ausgeführt. Man müßte die betreffende pharmazeutische Firma befragen, bei der es sich, wie ich sehe, um Tierson in Cambridge handelt. Die würden Ihnen das wohl erklären können, wenn Sie danach fragten. Ich kenne da auch jemanden, falls Sie eine Empfehlung brauchen.«
«Das ist doch schon so lange her«, sagte ich.
«Mein lieber Freund, Erreger sterben nicht. Die sind wie Zeitbomben, warten nur drauf, daß sich irgendein Hohlkopf leichtfertige Spielereien erlaubt. Manche Labors halten sich solche virulenten Stämme jahrzehntelang, Sie würden staunen.«
Er blickte wieder in die Zeitschrift und sagte dann:»Sie lesen die nächsten Abschnitte besser selbst. Sieht so aus, als seien sie einigermaßen verständlich formuliert. «Er schob mir die Zeitschrift über den Tisch zu, und ich las ab der Stelle, auf die er mit dem Finger zeigte.
1. 24–48 Stunden nach der intramuskulären Injektion der reinen Kultur setzt die Entzündung einer oder mehrerer Herzklappen ein. Zu diesem Zeitpunkt sind außer einem leichten Temperaturanstieg und gelegentlicher Beschleunigung des Pulsschlages keine weiteren Symptome feststellbar, es sei denn, das Pferd wird sehr großen Belastungen ausgesetzt, in welchem Falle es zu einer Störung der Blutzufuhr zur Lunge und zu aurikularer Fibrillation kommt. Beides verursacht einen schweren Erschöpfungszustand, der erst nach 2–3 Stunden Ruhe überwunden wird.
2. Zwischen dem zweiten und dem sechsten Tag erhöhen sich Temperatur und Anzahl der weißen Blutkörperchen, das Pferd ist kraftlos und frißt nicht. Es kann dies leicht als» Virusinfektion «fehldiagnostiziert werden. Eine genauere Untersuchung mit dem Stethoskop ergibt jedoch, daß zunehmend stärker werdende Herzgeräusche vorhanden sind. Nach ungefähr zehn Tagen wird, wenn das Pferd keinen größeren Beanspruchungen ausgesetzt wird, als sie Schritt oder leichter Trab darstellen, die Temperatur wieder normal, und es hat den Anschein, als habe sich das Tier wieder erholt. Das Herzgeräusch ist aber nach wie vor da, weshalb es erforderlich ist, auch weiterhin auf jedes schnelle Arbeiten zu verzichten, da dies zu schweren Atembeschwerden führt.
3. Während der folgenden Monate entwickeln sich an den Herzklappen Wucherungen, und es kann zudem zu Arthritis in einigen Gelenken, vor allem der Extremitäten, kommen. Der Zustand ist von Dauer und verschlechtert sich fortlaufend, und der Tod kann sehr plötzlich nach größeren Anstrengungen oder bei sehr heißem Wetter eintreten, manchmal Jahre nach der auslösenden Infektion.
Ich sah auf.»Genau das ist’s doch, oder nicht?«sagte ich.
«Paßt wie die Faust aufs Auge.«
Ich sagte nachdenklich:»Eine intramuskuläre Injektion der reinen Kultur… das schließt doch wohl jeden Unfall oder Zufall vollkommen aus?«