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«Absolut«, sagte er.

«George Caspar hat seinen Stall in diesem Jahr mit Alarmglocken und Wachen und Hunden so total dichtgemacht, daß da niemand mit einer Spritze voller lebender Krankheitserreger auch nur in die Nähe von >Tri-Nitro< hätte kommen können.«

Er lächelte.»Man braucht dazu keine Riesenspritze. Kommen Sie mit ins Labor, ich zeig’s Ihnen.«

Ich folgte ihm, und wir gingen zu einem der Schränke mit Schiebetüren, die eine ganze Wand einnahmen. Er öffnete ihn und zog ein Schubfach heraus, in dem sich viele kleine Einwegpackungen aus Plastik befanden.

Er riß eine auf und schüttete den Inhalt auf seine Handfläche — eine Injektionsnadel, die an einer Plastikkapsel von der Größe einer Erbse saß. Das Ganze sah aus wie ein winziger Pfeil mit einem kleinen Bällchen am einen Ende, beides zusammen etwa so lang wie ein kleiner Finger.

Er nahm die Kapsel auf und drückte sie zusammen.»Halten Sie das jetzt in eine Flüssigkeit, dann können Sie etwa einen halben Teelöffel davon aufsaugen. Und man braucht nicht mal soviel reine Kultur, um eine Erkrankung herbeizuführen.«

«Man könnte das Ding also durchaus so in der Hand verstecken, daß es niemand sieht«, sagte ich.

Er nickte.»Und dann dem Pferd einfach einen Klaps geben. Geht ruckzuck. Ich benutze diese Dinger manchmal bei Pferden, die vor einer Spritze scheuen. «Er zeigte mir, wie’s gemacht wurde, hielt die Nadel so zwischen Daumen und Zeigefinger, daß sie nach unten zeigte.»Rein mit der Nadel und drücken«, sagte er.

«Könnten Sie mir eine davon überlassen?«

«Gewiß doch, gern«, erwiderte er und gab mir eine Pak-kung.

Ich steckte die Packung ein. Lieber Gott im Himmel!

Ken sagte langsam:»Wir könnten im übrigen vielleicht noch etwas für >Tri-Nitro< tun.«

«Was heißt das?«

Er überlegte kurz, blickte auf die große Flasche mit dem Blut von >Zingaloo<, die auf dem Abtropfbrett neben dem Ausguß stand.

«Vielleicht gelingt es uns, ein Antibiotikum zu finden, das die Krankheit heilt.«

«Ist es dafür nicht schon zu spät?«fragte ich.

«Zu spät für >Zingaloo<, ja. Aber ich glaube nicht, daß sich diese Wucherungen sofort entwickeln. Angenommen, >Tri-Nitro< wurde infiziert… na, sagen wir mal.«»Sagen wir mal vor haargenau zwei Wochen, nach dem Abschlußtraining.«

Er sah mich belustigt an.»Schön, sagen wir also vor zwei Wochen. Sein Herz hat schon Probleme, aber die Wucherungen haben noch nicht zu wachsen angefangen. Wenn er das richtige Antibiotikum bald bekommt, wäre eine vollständige Ausheilung vorstellbar.«

«Sie meinen, er würde wieder voll einsatzfähig?«

«Sehe nicht, was dagegen spräche.«

«Worauf warten Sie dann noch?«sagte ich.

Kapitel 15

Ich verbrachte den größten Teil des Sonntags an der See, fuhr von Newmarket nach Nordosten und an die ausgedehnten, fast menschenleeren Strande Norfolks. Nur, um irgendwohin zu fahren, etwas zu tun, mir die Zeit zu vertreiben.

Obwohl die Sonne schien, bewirkte der von der Nordsee her wehende Wind, daß sich nur wenige Mutige an den Strand verirrten. Ein paar kleinere Häuflein hockten hinter Windschutzwänden aus Segeltuch und beobachteten ihre unverzagten Kinder, die Sandburgen bauten.

Ich saß in einer Mulde in den Dünen, von Büscheln rauhen Seegrases umgeben. Ich ließ mich von der Sonne bescheinen und beobachtete die auf den Strand laufenden Wellen. Später ging ich am Strand spazieren, zertrat die von Würmern aufgeworfenen Sandhügel. Oder ich stand da und blickte aufs Meer hinaus, wobei ich den linken Oberarm abstützte und das Gewicht des Apparates weiter unten spürte, das nicht übermäßig groß war, aber immer gegenwärtig.

Einsame Orte hatten mir schon oft geholfen, mich zu entspannen und zu erholen, aber an diesem Tag wollte das nicht gelingen. Die Dämonen begleiteten mich. Der Preis des Stolzes… und der Sicherheit. Wenn du nur nicht immer soviel von dir verlangen würdest, hatte Charles einmal gesagt, könntest du es viel leichter haben. Das stimmte aber eigentlich nicht. Man war, wie man war. Oder zumindest war man, wie man war, bis jemand daherkam und einen kaputtmachte.

In Newmarket gab es den Spruch, daß man ein Niesen auf den Limekilns noch auf der zwei Meilen entfernten Rennbahn hören könne. Daß ich bei der Obduktion von >Gleaner< dabeigewesen war, würde George Caspar innerhalb von vierundzwanzig Stunden erfahren. Und Trevor Deansgate ebenfalls, mit absoluter Sicherheit. Ich konnte mich immer noch davonmachen. Dachte ich. Es war noch nicht zu spät. Reisen. An anderen Stränden, unter anderen Himmeln spazierengehen. Ich konnte immer noch dem Grauen entfliehen, das er in mir wachrief. Ich konnte immer noch… weglaufen.

Ich kehrte der Küste den Rücken und fuhr wie betäubt nach Cambridge. Übernachtete dort im» University Arms Hotel «und suchte am Montagmorgen die pharmazeutische Firma namens Tierson auf. Ich fragte dort nach einem Mr. Livingston, der etwa sechzig, gräulich und hager war. Wenn er sprach, machte sein Mund kleine, knabbernde Bewegungen. Sieht zwar aus wie ein vertrockneter alter Kauz, hatte Ken Armadale gemeint, hat aber einen blitzgescheiten Kopf.

«Mr. Halley, nicht wahr?«sagte Livingston und schüttelte mir am Empfang die Hand.»Mr. Armadale hat mich angerufen und mir erklärt, was Sie wünschen. Ich glaube, ich kann Ihnen da helfen, ja, das kann ich wohl. Kommen Sie, kommen Sie nur, hier entlang.«

Er ging mit kleinen Schritten vor mir her und sah sich immer wieder nach mir um, um sich zu vergewissern, daß ich ihm noch folgte. Das schien eine Vorsichtsmaßnahme zu sein, die ich einem häufigeren Verschwinden von Besuchern verdankte, handelte es sich bei dem Werksgelände doch um ein wahres Labyrinth offensichtlich wahllos zusammengefügter gläserner Gänge, Labors und kleiner Gärten.

«Das alles hier ist halt gewachsen«, sagte er, als ich eine entsprechende Bemerkung machte.»Aber da sind wir schon. «Er führte mich in ein großes Labor, durch dessen gläserne Wände man auf der einen Seite einen weiteren Gang, auf der zweiten einen Garten und auf der dritten ein weiteres Labor sehen konnte.

«Das ist unsere Versuchsabteilung«, sagte er und wies mit ausladender Handbewegung auf die beiden Laborräume.»Die meisten unserer Laboratorien dienen der kommerziellen Herstellung von Impfstoffen, aber hier drin basteln wir an neuen herum.«

«Und lassen alte wieder auferstehen?«fragte ich.

Er sah mich scharf an.»Ich muß doch sehr bitten. Ich dachte, Sie seien gekommen, um Informationen einzuholen, und nicht, um uns der Fahrlässigkeit zu bezichtigen.«

«Tut mir leid«, sagte ich beschwichtigend.»Da haben Sie völlig recht.«

«Na gut, dann stellen Sie Ihre Fragen.«

«Äh, ja. Wie ist es gekommen, daß die Pferde, die hier in den vierziger Jahren zur Gewinnung von Serum benutzt wurden, an Schweinerotlauf erkrankt sind?«

«Hm«, sagte er.»Kurz, bündig, zur Sache. Wir haben darüber einen Artikel veröffentlicht, nicht wahr? Vor meiner Zeit, versteht sich. Aber ich habe davon erfahren. Ja. Nun, es ist möglich. Es ist möglich, ist geschehen. Hätte es aber nicht dürfen. Reine Unachtsamkeit, verstehen Sie? Ich hasse Unachtsamkeit. Hasse sie.«

Kein Fehler, schoß es mir durch den Kopf. Bei dieser Art von Geschäft konnte Unachtsamkeit ja schließlich tödliche Folgen haben.

«Wissen Sie irgend etwas darüber, wie die Herstellung des Rotlauf-Antiserums funktioniert?«erkundigte er sich.

«So gut wie nichts.«

«Aha«, sagte er.»Dann werde ich’s Ihnen erklären wie einem Kind. Recht so?«

«Sehr«, sagte ich.

Er warf mir erneut einen strengen Blick zu, in dem diesmal aber auch Amüsiertheit lag.

«Man injiziert einem Pferd lebende Krankheitserreger. Können Sie mir folgen? Ich spreche jetzt von der Vergangenheit, als man noch mit Pferden arbeitete. Wir benutzen schon seit den fünfziger Jahren keine Pferde mehr, wir nicht und auch nicht Burroughs Wellcome oder Bayer in Deutschland. Das gehört der Vergangenheit an, verstehen Sie?«