«Ja«, sagte ich.
«Das Blut des Pferdes entwickelt Antikörper, um den Erreger zu bekämpfen. Das Pferd erkrankt nicht, weil das eine Krankheit ist, die Schweine bekommen, Pferde jedoch nicht.«
«Das könnte wirklich auch ein Kind verstehen«, sagte ich.
«Sehr schön. Nun kommt es vor, daß die verwendeten Erreger an Wirksamkeit verlieren, und um sie wieder virulent zu machen, läßt man sie durch Tauben gehen.«
«Durch Tauben gehen?«sagte ich, um größte Höflichkeit bemüht.
Er hob die Augenbrauen.»Übliches Verfahren. Man läßt einen schwachen Stamm durch Tauben gehen, um ihm seine Virulenz wiederzugeben.«
«Aber natürlich«, sagte ich.
Der spöttische Unterton in meiner Stimme ließ ihn auffahren.
«Mr. Halley«, sagte er vorwurfsvoll,»liegt Ihnen nun daran, das alles zu erfahren, oder nicht?«»Doch, durchaus«, sagte ich demütig.
«Also bitte. Nun, der virulente Stamm wurde den Tauben wieder entnommen und in Glasschälchen getan, in denen sich ein Nährboden aus Blut befand. «Er unterbrach sich, bedachte das Ausmaß meiner Ignoranz.»Lassen Sie es mich so sagen. Die lebenden, virulenten Erreger wurden von den Tauben in kleine Glasschälchen mit Blut transferiert, wo sie sich dann vermehrten, bis die Menge groß genug war, um sie einem Pferd zu injizieren.«
«Alles klar«, sagte ich.»Das verstehe ich.«
«Schön. «Er nickte.»Nun handelte es sich bei dem Blut in den Schälchen um Rinderblut.«
«Aha«, sagte ich.
«Aber auf Grund einer dummen Unachtsamkeit eines Mitarbeiters wurden diese Schälchen eines Tages mit Pferdeblut gefüllt. Das führte dann zu einem mutierten Stamm des Krankheitserregers. «Er schwieg eine Weile.»Mutationen sind Veränderungen, die plötzlich und ohne erkennbaren Grund auftreten, überall in der Natur.«
«Aha«, sagte ich wieder.
«Niemandem war klar, was da passiert war«, fuhr er fort.»Bis der mutierte Stamm den Serumpferden injiziert wurde und sie alle an Schweinerotlauf erkrankten. Der mutierte Stamm erwies sich als bemerkenswert konstant. Die Inkubationszeit betrug immer vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden, und stets kam es zu Endocarditis… also zu einer Entzündung der Herzklappen.«
Ein jüngerer Mann in offenem, weißem Kittel betrat den Raum nebenan, und ich sah mit halber Aufmerksamkeit zu, wie er dort herumzuwerkeln begann.
«Was wurde aus diesem mutierten Stamm?«fragte ich.
Livingstons Lippen knabberten und knabberten, aber schließlich sagte er doch:»Wir haben wahrscheinlich einen Teil davon aufbewahrt, möchte ich annehmen, so quasi als Kuriosität. Aber natürlich ist er inzwischen stark geschwächt, und um die volle Virulenz wiederherzustellen, müßte man ihn.«
«Ja«, sagte ich.»Man müßte ihn durch Tauben gehen lassen.«
Er fand das keineswegs komisch.»Sehr richtig.«
«Und diese ganze Durch-Tauben-Schicker ei und Übertragerei auf Nährböden. welches Maß an Kenntnissen ist dazu erforderlich?«
Er sah mich erstaunt an.»Ich könnte das ohne weiteres machen.«
Ich nicht. Für alle Injektionen, die ich bisher machen mußte, hatten mir immer kleine, säuberlich in Schachteln verpackte Ampullen zur Verfügung gestanden.
Der Mann im Nebenraum öffnete Schranktüren, suchte ganz offensichtlich nach irgend etwas.
«Könnte es außer hier bei Ihnen sonst noch irgendwo auf der Welt etwas von diesem mutierten Stamm geben? Ich meine, hat die Firma mal was davon abgegeben?«erkundigte ich mich.
Die Lippen spitzten sich, die Augenbrauen gingen nach oben.
«Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte Mr. Livingston. Er sah durch die Glasscheiben und winkte dem Mann nebenan zu.
«Da müßten Sie Barry Shummuck fragen. Der weiß das vielleicht. Mutierte Stämme sind sein Fach.«
Shummuck, Shummuck… den Namen kenne ich doch, dachte ich. Ich… großer Gott!
Der Schock traf mich wie ein Blitz und nahm mir fast den Atem. Ich kannte in der Tat jemanden nur allzu gut, dessen richtiger Name Shummuck war.
Ich schluckte und mich fröstelte.»Erzählen Sie mir mehr von Ihrem Mr. Shummuck«, sagte ich.
Livingston war der geborene Plauderer und sah auch nichts Verkehrtes darin. Er zuckte die Achseln.»Er hat sich hocharbeiten müssen. Die Ochsentour. Man hört ihm das auch noch an. War ziemlich verbiestert. Die Welt schuldete ihm etwas, so in der Art. Hinweise auf Studentendemos. Seit neuestem ist er ruhiger geworden. Und was seine Arbeit angeht, da ist er gut.«
«Sie mögen ihn nicht, wie?«fragte ich.
Er fuhr erschrocken hoch.»Das habe ich nicht gesagt.«
Wohl aber sein Gesicht und seine Stimme. Ich fragte aber nur:»Was hat er für einen Akzent?«
«Nördlich, würde ich sagen. Ich weiß es nicht genau. Wieso?«
Barry Shummuck sah niemandem ähnlich, den ich kannte. Ich fragte langsam:»Wissen Sie, ob er… einen Bruder hat?«
Livingstons Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an.
«Ja doch, hat er. Komische Geschichte, der ist Buchmacher. «Er dachte nach.»Sein Name… irgendwas wie Terry. Nein, nicht Terry… Trevor heißt er. Sie kommen manchmal zusammen her, die beiden. ein Herz und eine Seele.«
Barry Shummuck gab seine Suchaktion auf und wandte sich zur Tür.
«Würden Sie gern seine Bekanntschaft machen?«fragte Mr. Livingston.
Ich schüttelte — sprachlos — den Kopf. In einem Gebäude voller virulenter Krankheitserreger, mit denen er umzuge-hen verstand und ich nicht, dem Bruder von Trevor Deansgate vorgestellt zu werden, war das letzte, was ich wollte.
Shummuck trat durch die Tür hinaus auf den Korridor mit den gläsernen Wänden und wandte sich in unsere Richtung.
O nein! dachte ich.
Er kam zielstrebig den Gang entlang und stieß die Tür des Labors auf, in dem wir standen. Steckte Kopf und Schultern herein.
«Morgen, Mr. Livingston«, rief er.»Haben Sie irgendwo meine Schachtel mit den Dias gesehen?«
Der Grundton seiner Stimme war der gleiche — selbstbewußt und ein klein wenig abweisend. Der Akzent Manchester, aber viel stärker. Ich verbarg den linken Arm halb hinter dem Rücken und wünschte inständig, daß er wieder gehen möge.
«Nein«, sagte Mr. Livingston mit einem Anflug von Freude.
«Aber Barry, haben Sie gerade.«
Livingston und ich standen vor einem Arbeitstisch, auf dem sich eine Reihe Metallständer und etliche leere Glasgefäße befanden. Ich drehte mich nach links, den Arm noch hinter dem Rücken, und warf mit der Rechten ungeschickt einen der Ständer und zwei Gläser um.
Das Klirren klang schlimmer, als es war. Livingstons Lippen spitzten sich zu einem überrascht-verärgerten Knabbern, dann stellte er die umgefallenen Gläser wieder auf. Ich griff nach dem metallenen Ständer, der recht schwer war und genügen mußte.
Ich drehte mich wieder der Tür zu.
Sie schloß sich gerade, und Barry Shummuck schritt mit wehendem Kittel durch den Flur davon.
Ich atmete langsam und zittrig durch die Nase aus und stellte den Ständer behutsam ans Ende der Reihe zurück.
«Er ist weg«, sagte Mr. Livingston.»Wie schade.«
Ich fuhr nach Newmarket und ins Equine Research Establishment zu Ken Armadale zurück.
Ich fragte mich, wie lange der geschwätzige Mr. Livingston wohl brauchen würde, um Barry Shummuck von dem Besuch eines Herrn namens Halley zu erzählen, der sich für Schweinerotlauf bei Pferden interessiert hatte.
Mir war ein bißchen übel — und das anhaltend.
«Er ist gegen alle gewöhnlichen Antibiotika resistent gemacht worden«, sagte Ken Armadale.»Saubere Arbeit.«
«Wie meinen Sie das?«
«Man kann doch nie sicher sein, daß das Pferd nicht sofort eine Spritze kriegt, wenn es erhöhte Temperatur hat, und wenn der Erreger dann von jedem x-beliebigen Antibiotikum abgetötet würde, könnte sich die Krankheit gar nicht erst entwickeln.«