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Ein winziger Fisch sprang neben ihm ins Sonnenlicht hinauf und schnappte nach einem Insekt. Wasserringe breiteten sich über ihm aus. Er stieg aus den Schlingpflanzen. Das Wasser um ihn herum funkelte im Glanz der Morgensonne, als er sich verwandelte. Er watete aus dem Wasser und blieb stehen, in die Stille hineinzulauschen.

Sie schien lautlos aus Regionen jenseits der bekannten Welt hereinzuströmen. Der sanfte Morgenwind schien fremd, sprach eine Sprache, die er nie gelernt hatte. Er erinnerte sich der wilden Stimmen von der Ebene der Winde, die mit tausend Namen und Erinnerungen über Ymris geklungen hatten. Doch die Stimmen des Hinterlands schienen noch älter zu sein, die Stimmen eines uralten Geschlechts von Winden, die ihm nichts mitteilten außer ihrer Namenlosigkeit. Lange stand er da und atmete ihre Einsamkeit, bis er spürte, daß sie ihn zu etwas zu formen begannen, das so namenlos war wie sie selbst.

Er flüsterte Rendels Namen. Blinden Auges wandte er sich um, während sich seine Gedanken zu einem harten Knoten der Angst zusammenballten. Er fragte sich, ob sie noch lebte, ob überhaupt noch jemand in Lungold am Leben war. Er überlegte, ob er in die Stadt zurückkehren sollte. In wilder Ohnmacht schlug er mit den Fäusten gegen einen Baumstamm, während er an sie dachte. Der Baum erzitterte unter seiner quälenden Ungewißheit; eine Krähe flatterte krächzend aus seinen Ästen auf. Er hob den Kopf, stand reglos wie ein witterndes Tier. Die beschaulich lächelnden Wasser des Sees begannen zu sieden und zu brodeln, hievten Gestalten aus ihren Tiefen. Fragend pulste das Blut durch seine Adern. Er öffnete seinen Geist dem Geist des Hinterlandes. Mehrere Meilen entfernt gesellte er sich zu einer großen Herde von Elchen, die langsam in nördlicher Richtung zum Thul hinzogen.

Er blieb bei ihnen. Er beschloß, sie am Thul zu verlassen und dem Fluß in östlicher Richtung zu folgen, bis er die Gestaltwandler abgeschüttelt hatte, dann nach Lungold zurückzukehren. Zwei Tage später, als die langsam dahinziehende Herde sich dem Fluß näherte, trennte er sich von ihr, wanderte ostwärts am Flußufer entlang. Doch ein Teil der Herde folgte ihm. Wieder wechselte er die Gestalt und flog durch die Nacht in südlicher Richtung davon. Doch Schatten brachen aus der Finsternis, umkreisten ihn und drängten ihn nach Norden ab, über den Thul hinweg, weiter nach Norden zum Weißen See, noch weiter nach Norden, zum Erlenstern-Berg.

Die Erkenntnis erfüllte ihn mit Wut und Entsetzen. An den Ufern des Weißen Sees stellte er sich zum Kampf. In seiner wahren Gestalt erwartete er sie, und die Sterne auf seinem Schwertheft sandten ihnen über das Hinterland hinweg blutrote Lichtsignale entgegen. Doch seine Herausforderung wurde nicht angenommen. Der heiße Nachmittag war still; das Wasser des riesigen Sees lag glatt und schimmernd wie getriebenes Silber. Er suchte und konnte nicht einmal ihren Geist finden. Als schließlich die sich neigende Sonne lange Schatten über den See zog, begann er, ein Gefühl von Freiheit zu atmen. Er steckte sein Schwert in die Scheide und kroch in die Gestalt eines Wolfes. Und da sah er sie. Still wie die Luft rundum standen sie vor ihm, aus den Schleiern von Licht und Dunkelheit gewoben.

Er entzündete eine Flamme der ersterbenden Sonne in seinem Schwertheft und ließ sie die Klinge hinunterbrennen. Dann löste er sich selbst in Schatten auf, füllte seinen Geist mit Finsternis. Er griff an, um zu töten, und doch wußte er, erschöpft und hoffnungslos, wie er war, daß er sie halb herausforderte, ihn zu töten. Er erschlug zwei Gestaltwandler, ehe er erkannte, daß sie es ihm in grausamem Hohn erlaubt hatten. Sie weigerten sich, zu kämpfen; sie weigerten sich, ihn nach Süden ziehen zu lassen.

Wieder nahm er die Gestalt des Wolfes an, trabte am See entlang nach Norden in die Wälder. Eine riesige Herde von Wölfen zog sich hinter ihm zusammen. Und wieder fuhr er herum und stürzte sich auf sie. Knurrend, fauchend, schnappend kämpften sie mit ihm, bis er, während er sich mit einem mächtigen Wolf, dessen Zähne sich in seinem Arm verbissen hatten, im Farnkraut wälzte, wußte, daß die Tiere echt waren. Mit einem Blitzstrahl von Energie schleuderte er den Wolf von sich fort und umgab sich mit einem flammenden Lichtkreis. Rastlos umdrängten sie ihn in der Abenddämmerung, nicht gewiß, was er war, in den Nasen den Geruch des Blutes von seiner verletzten Schulter. Und während er sie anstarrte, überkam ihn plötzlich das Verlangen, über seinen Irrtum zu lachen. Doch etwas, das weit bitterer war als Gelächter, stieg in seiner Kehle auf. Eine Zeitlang konnte er nicht denken. Er konnte nur in die sternlose Nacht hineinblicken, die sich über das Ödland senkte, und die scharfe Ausdünstung von hundert Wölfen riechen, die ihn umkreisten. Mit einer unbestimmten Vorstellung von einem Angriff auf die Gestaltwandler hockte er sich schließlich nieder, hielt die Augen der Wölfe fest, zog ihren Geist in seine Gewalt. Doch etwas zerschnitt das Band. Die Wölfe verloren sich in der Nacht und ließen ihn allein zurück.

Er konnte nicht fliegen; sein Arm brannte und wurde langsam steif. Der Hauch von Einsamkeit, der vom kalten, sich verfinsternden Wasser aufstieg, überwältigte ihn. Er ließ das Feuer, das ihn umgab, ausgehen. Gefangen zwischen den Gestaltwandlern und dem schwarzen Entsetzen des Erlenstern-Bergs, konnte er sich nicht regen. Fröstelnd stand er im dunklen Wind, während die Nacht sich aus Steinen der Erinnerung um ihn herum aufbaute.

Der leichte Flügelschlag eines fremden Geistes berührte seinen Geist und sein Herz. Er merkte, daß er sich wieder bewegen konnte, als wäre ein Bann gebrochen worden. Die Stimme des Windes veränderte sich; sie erfüllte die schwarze Nacht mit einem Flüstern, das ihm aus allen Richtungen Rendels Namen zuwehte.

Einen Moment lang hielt seine Erkenntnis ihrer Nähe an. Doch er spürte, während er sich niederbeugte, um im Farnkraut ein Feuer zu entzünden, daß sie überall um ihn herum sein konnte, in den mächtigen Bäumen, die neben ihm zum Himmel aufragten, in den Flammen, die aus den welken Blättern emporzüngelten, um sein Gesicht zu wärmen. Er riß die Ärmel seines Kittels ab, wusch die Wunde an seinem Arm und verband sie. Dann legte er sich neben dem Feuer nieder, starrte in die Flammen und versuchte, die Gestaltwandler und ihre Absichten zu begreifen. Er merkte plötzlich, daß brennende Tränen über sein Gesicht liefen, weil Rendel am Leben war, weil sie bei ihm war. Er hob den Arm und erstickte das Feuer unter einer Handvoll Erde. Er verbarg sich unter einem trügerischen Schleier von Dunkelheit und brach wieder auf, wanderte wieder nordwärts, dem endlosen Ufer des Weißen Sees folgend.

Die Gestaltwandler ließen sich nicht wieder sehen, und er erreichte schließlich die brodelnden weißen Wasser des Flusses Cwill, dort, wo er schäumend aus der nördlichsten Spitze des Sees hervorbrach. Von hier aus konnte er den Rücken des Isig-Passes sehen, das ferne, gewellte Vorgebirge, die kahlen Gipfel des Berges Isig und des Erlenstern-Bergs. Und hier machte er noch einmal einen verzweifelten Versuch, sich die Freiheit zu erringen. Er ließ sich in die unbändige Strömung des Cwill fallen, ließ sich von ihr herumwirbeln, bald als Fisch, bald als dürrer Ast eines Baumes, ließ sich durch tiefe, strudelnde Wasser gleiten, Stromschnellen und donnernde Wasserfälle hinunter, bis er alles Zeitgefühl und alle Orientierung verlor. Die Strömung jagte ihn durch endlose Strudel und Stromschnellen, bis sie ihn schließlich in ein sanftes, grünes Becken hineinspie. Er kreiselte noch eine Weile, ein Stück wasserdurchtränkten Holzes, und dann zog ihn die sanfte Strömung zum Ufer hin, in ein wirres Geflecht welker Blätter und dürrer Äste. Er zog sich schließlich hoch, eine nasse, glitschige Bisamratte, und suchte sich seinen Weg über das Gitterwerk von Ästen zum Ufer.

Draußen in den Schatten wechselte er wieder die Gestalt. Er war nicht so weit östlich gekommen, wie er geglaubt hatte. In abendliche Schatten getaucht, stand der Erlenstern-Berg massig und starr in der Ferne. Doch er war jetzt näher an Isig, das wußte er; wenn er es sicher erreichen konnte, dann konnte er sich auf endlose Zeit im Gewirr der unterirdischen Gänge auf dem Grund des Berges verborgen halten. Er wartete, bis die Nacht hereinbrach, ehe er wieder aufbrach. In der Gestalt eines Bären dann trottete er in die Dunkelheit hinein, den Sternen entgegen, die über dem Berg Isig funkelten.