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Er folgte ihnen, bis sie beim Morgengrauen verblichen. Dann kam er, ohne es zu merken, von seinem Weg ab. Die Bäume rückten näher zusammen um ihn herum und verwehrten ihm den Blick auf den Berg; undurchdringliches Unterholz und Dornengebüsch zwangen ihn, immer wieder abzuschwenken. Jäh senkte sich das Land abwärts; er folgte einem ausgetrockneten Flußbett durch eine Schlucht und glaubte, er wanderte nordwärts. Doch als der Graben wieder in ebenem Gelände mündete, sah er vor sich den Erlenstern-Berg. Wieder nahm er Kurs nach Osten. Mit dem Wind flüsternd, umdrängten ihn die Bäume; Dickicht und Unterholz versperrten ihm den Weg, zwangen ihn, die Richtung zu ändern, bis er, als er durch einen seichten Fluß watete, durch eine Lücke in den Bäumen vor ihm wieder den Erlenstern-Berg sah.

In der Mitte des Flusses blieb er stehen. Die Sonne hing tief im Westen, flackerte wie eine heiße Fackel am Himmel. Ihm war heiß unter dem zottigen Bärenfell, und er war hungrig. Er hörte das Summen von Bienen und schnupperte in die Luft, in der Hoffnung, Honig zu riechen. Ein Fisch glitt im seichten Wasser wie ein Pfeil an ihm vorüber; er schlug nach ihm und fehlte. Ein undeutliches leises Grollen in den Tiefen des Bärengehirns schärfte sich zu Sprache. Im Wasser fuhr er zurück, während sein Kopf von einer Seite auf die andere schwankte, und krauste die Schnauze, als könnte er die Gestalten riechen, die sich um ihn herum geformt hatten und ihn von Isig wegdrängen wollten.

Er spürte, wie sich in ihm etwas aufstaute, und blies es frei: ein tiefes, brennendes Brüllen, das die Stille zerriß und von den Hügeln und Felskaminen zu ihm zurückprallte. In Habichtgestalt dann brannte er einen goldenen Pfad hoch in den Himmel hinein, bis das Hinterland sich endlos unter ihm dehnte, schoß auf den Berg Isig zu.

Die Gestaltwandler lösten sich aus den Bäumen und flogen ihm nach. Eine Zeitlang jagte er ihnen in einem betäubenden Tosen von Geschwindigkeit voraus, dem fernen grünen Berg zu. Doch als die Sonne unterging, kamen sie ihm näher. Sie waren von namenloser Gestalt. Ihre Schwingen waren aus dem Rot und dem Gold der untergehenden Sonne; ihre Augen und Klauen waren aus Feuer. Ihre scharfen Schnäbel waren knochenweiß. Sie holten ihn ein und umringten ihn, stürzten sich hackend und pickend auf ihn, bis seine Flügel zerfleddert waren und seine Brust mit Blut befleckt. Er schwankte in der Luft; sie stürzten sich auf ihn, nahmen ihm mit ihren Schwingen die Sicht, bis er einen einzigen durchdringenden, verzweifelten Schrei ausstieß und sich vom Berg Isig abwandte.

Die ganze Nacht flog er unter ihren brennenden Augen. Beim Morgengrauen sah er vor sich die steilen Felswände des Erlenstern-Berges. Da nahm er mitten in der Luft seine eigene Gestalt an und ließ sich einfach abstürzen. Die Luft schlug ihn mit harten Fäusten, die Wälder kamen ihm wirbelnd entgegen. Ehe er den Boden erreichte, schoß es wie ein Blitzschlag durch seinen Geist, dann stürzte er kreiselnd in die Finsternis.

Als er erwachte, umgab ihn undurchdringliche Dunkelheit. Es roch nach feuchtem Stein. In weiter Ferne konnte er schwach das ewige Rieseln von Wasser hören. Er erkannte es plötzlich, und seine Hände verkrampften sich. Er lag mit dem Rücken auf kaltem, nacktem Stein. Jeder Knochen und jeder Muskel in seinem Körper schmerzten, und seine Haut war aufgerissen und zerschrammt von scharfen Krallen. Die Stille des Berges hockte wie ein Nachtmahr auf seiner Brust. Seine Muskeln spannten sich; er lauschte fiebrig, blind, wartete auf eine Stimme, die nicht kam, während Erinnerungen wie riesige, unförmige Tiere über ihm auf und ab wanderten. Er begann, die Finsternis mit seinem Geist zu trinken; sein Körper schien mit ihr zu verschmelzen. Von Panik gepackt setzte er sich auf, die Augen weit aufgerissen, und spähte angestrengt ins Nichts. Irgendwo in der sternenlosen Nacht seines Geistes fand er eine Erinnerung an Licht und Feuer. Er entzündete sie in seiner Handfläche, speiste die Flamme, bis er die riesige, öde Kammer aus kahlem Stein sehen konnte, die ihn umgab; das Gefängnis, wo er das schrecklichste Jahr seines Lebens verbracht hatte.

Seine Lippen öffneten sich. Ein Wort steckte wie ein Edelstein in seiner Kehle. In endloser Vielfalt glitzerte die Flamme ihn an, von Mauern aus Eis und Feuer, aus Gold, aus Himmelsblau, das von windzerfetzten Silberstreifen durchzogen war wie die Nacht über dem Hinterland. Das Innere des Berges war aus dem Gestein, aus dem die Städte der Erdherren erbaut waren, und er konnte die erstarrten Spalten sehen, wo Steinquader herausgehauen worden waren.

Langsam stand er auf. Aus tausend Facetten, die in den Farben von Edelsteinen blitzten, starrte ihm sein eigenes Gesicht entgegen. Die Kammer war von einer ungeheuren Größe; er speiste die Flamme mit dem Feuer ihrer Spiegelbilder, bis sie höher stand als sein Kopf, doch noch immer konnte er nicht mehr sehen als ein Gewölbe aus Dunkelheit, in dem unbestimmt ein Netzwerk reinen Goldes schimmerte.

Das Wasser, dessen ewige, immer gleiche Stimme er gehört hatte, hatte auf seinem Weg in unergründliche Tiefen eine diamantweiße Rinne in eine Steinmauer hineingeweint. Er schwenkte die Flamme; ihr Licht ergoß sich über einen See, der so still war, daß er aus Dunkelheit gemeißelt schien. Die Gestade des unendlich weiten Sees waren aus massivem Stein; die Mauer, die ihn auf einer Seite umschloß, glitzerte wie reiner Rauhreif.

Er kniete nieder und berührte das Wasser. Ringe verschmolzen auf seiner dunklen Fläche langsam mit Ringen. Die Spiralkreise des Turmes der Winde fielen ihm plötzlich ein. Seine Kehle zog sich zusammen, brannte vor Durst, und er beugte sich zum See hinunter, um mit der freien Hand Wasser zu schöpfen. Er spülte einen Schluck hinunter und hustete krampfhaft. Es schmeckte bitter und ätzend nach Mineralien.

»Morgon!«

Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich. In der Hocke schwang er herum und begegnete Ghisteslohms Blick.

In seinen Augen flackerte rastlos eine Kraft, die nicht seine eigene war. Soviel sah Morgon, ehe die Finsternis die Flamme in seiner Hand verschluckte und ihn wieder blind machte.

»Der Gründer selber«, flüsterte er, »ist also auch besessen.«

Lautlos stand er auf und versuchte, ohne in der Bewegung innezuhalten, durch den schimmernden Spalt von Morgenröte jenseits der gesplitterten Türen in den Thronsaal des Erhabenen zu treten. Statt dessen trat er über den Rand eines Abgrunds. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte schreiend ins Nichts. Er schlug am Ufer des Sees auf, klammerte sich an den Steinen zu Ghisteslohms Füßen fest.

Er ließ seinen Kopf auf den Unterarm sinken, während er zu denken versuchte. Er haschte nach dem Geist einer Fledermaus, die in einem geheimen Eckchen schlief, doch der Zauberer packte ihn, ehe e,r die Gestalt wechseln konnte.

»Es gibt kein Entkommen.« Die Stimme hatte sich verändert; sie war langsam, leise, als lauschte der Gründer einer anderen Stimme nach, die unter ihr mitschwang, oder einem fernen, unruhigen Atem von Gezeiten. »Sternenträger, Ihr werdet nichts tun. Ihr werdet nichts tun als warten.«

»Warten«, flüsterte er. »Worauf? Auf den Tod?« Er brach ab, als das Wort unstet zwischen den beiden Bedeutungen hinund herschoß, die es in seinem Geist hatte. »Diesmal gibt es kein Harfenspiel, um mich am Leben zu erhalten.« Er hob den Kopf, und wieder spähten seine Augen angestrengt in die Dunkelheit. »Oder erwartet Ihr den Erhabenen? Da könnt Ihr warten, bis ich hier zu Stein werde wie die Kinder der Erdherren, denn der Erhabene hat kein Interesse an mir.«

»Das bezweifle ich.«

»Ihr! Ihr existiert ja kaum noch. Ihr besitzt nicht mehr die Fähigkeit zu zweifeln. Selbst die Geister der Toten von An haben mehr Willenskraft als Ihr. Ich kann nicht einmal sagen, ob Ihr schon tot seid oder vielleicht tief in Eurem Inneren noch lebendig, so wie die Zauberer sich irgendwie unter der Gewalt Eurer Macht am Leben hielten.« Seine Stimme wurde ein wenig leiser. »Ich könnte für Euch kämpfen. Selbst das würde ich für die Freiheit tun.«