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»Ich könnte mich wohl daran gewöhnen, in der Einöde zu leben«, flüsterte sie. »Es ist so kalt hier, und nichts wächst hier — aber die Winde und dein Harfenspiel sind wunderbar.«

Er senkte den Kopf. Er legte seine Arme um sie und zog ihre Kapuze ein Stück nach hinten, so daß er ihre Wange an der seinen fühlen konnte. Etwas berührte sein Herz, schmerzhafte Kälte, die er erst jetzt endlich spürte, oder vielleicht ein schmerzhaftes Erwachen von Wärme.

»Du hörtest die Stimmen der Gestaltwandler im Erlenstern-Berg«, sagte er stockend. »Du weißt, was sie sind. Sie kennen alle Sprachen. Sie sind Erdherren, die nach Jahrtausenden noch immer mit dem Erhabenen im Krieg liegen. Und ich bin der Köder für ihre Fallen. Das ist der Grund, weshalb sie mich niemals töten. Sie wollen ihn haben. Wenn sie ihn zerstören, dann werden sie das Reich zerstören. Wenn sie mich nicht finden, dann werden sie vielleicht auch ihn nicht finden.«

Sie wollte etwas sagen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. Seine Stimme, die langsam wieder in Gang kam, klang jetzt härter.

»Du weißt, was ich in dem Berg getan habe. Ich war so erfüllt von Zorn, daß ich hätte morden können, und ich verwandelte mich in Wind, um es zu tun. Einer, der solche Kräfte besitzt, hat nirgends im Reich einen Platz. Was soll ich mit diesen Kräften anfangen? Ich bin der Sternenträger. Ich bin das Versprechen, das von den Toten gegeben wurde, einen Krieg zu führen, der älter ist als die Namen der Königreiche. Mir wurden bei meiner Geburt Kräfte mitgegeben, die mich in meiner eigenen Welt namenlos machen. Und mir wurde auch das ganze schreckliche Verlangen mitgegeben, diese Kräfte zu gebrauchen.«

»Und deshalb kamst du hierher in die Einöde, wo du keinen Grund hattest, sie zu gebrauchen.«

»Ja.«

Sie schob eine Hand unter seine Kapuze, und ihre Finger streichelten seine Stirn und seine vernarbte Wange.

»Morgon«, sagte sie leise, »ich glaube, wenn du sie anwenden wolltest, würdest du es tun. Wenn ich dir einen Grund dafür fände. Du hast mir Grund gegeben, in Lungold und in den Weiten des Hinterlands meine eigenen Kräfte zu gebrauchen. Ich liebe dich, und ich werde für dich kämpfen. Oder mit dir hier in der Einöde sitzen, bis du zu Schnee wirst. Wenn der Ruf der Landherrscher, all jener, die dich lieben, dich nicht dazu bewegen kann, diesen Ort zu verlassen, was dann? Was hat dich in der Dunkelheit des Erlenstern-Bergs verletzt?«

Er schwieg. Die Winde stürzten tosend aus der Nacht und stießen auf das Feuer herab. Sie hatten keine Gesichter, keine Sprache, die er verstehen konnte.

»Der Erhabene kann meinen Namen so wenig sprechen«, flüsterte er, die Augen in die Winde gerichtet, »wie ein Brocken Granit. Wir sind in irgendeiner Weise aneinander gebunden, das weiß ich. Mein Leben ist ihm wert, aber er weiß nicht einmal, was es ist. Ich bin der Sternenträger. Ich will ihm mein Leben geben. Aber nichts sonst. Keine Hoffnung, keine Gerechtigkeit, keine Teilnahme. Diese Worte sind die Worte von Menschen. Hier in der Einöde bin ich für niemanden eine Bedrohung. So bin ich sicher, und so ist der Erhabene sicher, und so bleibt das Reich unerschüttert von Kräften, die zu gebrauchen zu gefährlich ist.«

»Das Reich ist schon erschüttert. Die Landherrscher setzen mehr Hoffnung in dich als in den Erhabenen. Mit dir können sie sprechen.«

»Wenn ich mich in eine Waffe verwandelte, die für die Erdherren kämpft, würdest nicht einmal du mich wiedererkennen.«

»Vielleicht. Du hast mir einmal eine Rätselgeschichte erzählt, als ich vor meinen eigenen Kräften Angst hattql. Über die Frau aus Herun, die ein dunkles, erschreckendes Tip r, dem sie keinen Namen geben konnte, in ihr Haus brachte. Du hast mir nie gesagt, wie die Geschichte endet.«

Er blickte auf. »Sie ist vor Angst gestorben.«

»Und das Tier? Was war es?«

»Das weiß niemand. Es klagte sieben Tage und sieben Nächte lang an ihrem Grab. Seine Stimme war so voll von Liebe und Schmerz, daß keiner, der sie hörte, schlafen oder essen konnte. Und dann starb es auch.«

Sie hob den Kopf. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Ihm fiel plötzlich ein Augenblick aus einer toten Vergangenheit ein: Er saß in einer kleinen steinernen Kammer in Caithnard und studierte Rätselgeschichten und spürte, wie sein Herz bei den unerwarteten Wendungen, die sie nahmen, vor Freude sprang oder vor Entsetzen oder Schmerz kalt wurde.

»Diese Geschichte hat mit mir nichts zu tun«, fügte er hinzu.

»Nein, wahrscheinlich nicht. Du mußt es wissen.«

Er hüllte sich wieder in Schweigen. Sie drückte ihren Kopf in die Höhle seiner Schulter, und sein Arm umschlang sie. Er legte seine Wange auf ihr Haar.

»Ich bin müde«, sagte er einfach. »Ich habe zu viele Rätsel gelöst. Die Erdherren begannen vor den Ursprüngen unserer Geschichte einen Krieg, einen Krieg, der ihre eigenen Kinder tötete. Wenn ich gegen sie kämpfen und siegen könnte, dann würde ich das tun, um des Reiches willen; aber ich glaube, ich würde nur mich selbst und den Erhabenen töten. Und deshalb tue ich das einzige, was mir vernünftig erscheint. Nichts.«

Lange antwortete sie ihm nicht. Er hielt sie ruhig im Arm, während das Feuer ihren Umhang mit silbernem Schimmer überspülte.

»Morgon«, sagte sie schließlich leise, »ein Rätsel gibt es noch, das du vielleicht lösen solltest. Du hast allen Trug von Ghisteslohm abgestreift; du hast den Gestaltwandlern ihren Namen gegeben; du hast den Erhabenen aus seinem Schweigen erweckt. Aber eines gibt es, dem du noch keinen Namen gegeben hast, und es will nicht sterben.«

Ihre Stimme zitterte. Er spürte plötzlich durch den dicken Pelz hindurch den Schlag ihres Herzens.

»Was?« Das Wort war ein Flüstern, das sie nicht gehört haben konnte, aber sie antwortete ihm.

»In Lungold, als ich die Gestalt einer Krähe angenommen hatte, sprach ich mit Yrth. Ich wußte damals noch nicht, daß er blind ist. Auf meiner Suche nach dir war ich in Isig, und dort fand ich ihn wieder. Seine Augen haben die Farbe von lichtgetränktem Wasser. Er sagte mir, daß Ghisteslohm ihn während der Zerstörung von Lungold blendete. Und ich stellte das nicht in Frage. Er ist ein großer, sanfter, steinalter Mann, und Danans Enkelkinder folgten ihm durch den ganzen Berg, wäh-rend er unter den Steinen und zwischen den Bäumen nach dir suchte. Eines Abends brachte Bere eine Harfe, die er selbst ge-macht hatte, in den Saal und bat Yrth, auf ihr zu spielen. Er lachte ein wenig und sagte, wenn er auch einst als der Harfner von Lungold bekannt gewesen wäre, so hätte er doch seit sie-ben Jahrhunderten keine Harfe mehr angerührt. Doch er spielte ein wenig. Und, Morgon, ich kannte dieses Harfen-spiel. Es war das gleiche stockende, zaghafte Zupfen, das dich verfolgte, als wir auf der Handelsstraße reisten, und das dich in Ghisteslohms Gewalt lockte.«

Er hob ihr Gesicht zwischen seinen Händen. Jetzt auf einmal spürte er den Wind, der eisige Kälte in all seine Knochen fegte.

»Was sagst du mir da?«

»Ich weiß es nicht. Aber wie viele blinde Harfner, die nicht auf einer Harfe spielen können, kann es auf der Welt geben?«

Er sog einen Hauch Windes ein; wie eisiges Feuer rann er durch ihn hindurch.

»Er ist tot.«

»Dann ruft er dich aus seinem Grab zum Kampf. Yrth hat an jenem Abend auf der Harfe gespielt, damit ich das Rätsel seines Harfenspiels zu dir bringen würde, ganz gleich, wo im Reich du dich aufhieltest.«

»Weißt du das mit Sicherheit?«

»Nein. Aber ich weiß, daß er dich finden möchte. Und noch etwas weiß ich: Wenn es ein Harfner namens Thod war, der mit dir, wie Yrth es tat, auf der Handelsstraße reiste, dann waren seine Rätsel so fein gesponnen, daß sie selbst Ghisteslohm blendeten. Und selbst dich — den Rätselmeister von Hed. Ich denke, du solltest ihm einen Namen geben. Denn er spielt sein eigenes, geheimes, tödliches Spiel, und es mag sein, daß er der einzige in diesem Reich ist, der wirklich weiß, was er tut.«