»Das war gut von dir.«
»Morgon, er bat mich darum. Ich hatte so viele Fragen an ihn, aber ich konnte sie ihm nicht stellen. Plötzlich waren sie wie weggeblasen — bis er ging. Ich glaube, ich studiere die Zauberkunst. Die Zauberer wissen mehr kleine Verwünschungen und Bannsprüche als selbst die Hexen. Bist du dir eigentlich darüber im klaren, was du tust? Abgesehen davon, daß du dich halb umbringst?«
»Ich tue das, was du mir geraten hast. Ich trage einen Rätselkampf aus.«
Er stand auf, ganz plötzlich von einem überwältigenden Hungergefühl gepackt. Doch er fand nur Wein. Er spülte einen Becher voll hinunter, während Rendel zur Tür ging, mit einem der Bergleute sprach, die dort Wache standen.
Er goß sich noch einen Becher Wein ein und sagte, als sie zurückkehrte: »Ich habe dir ja gesagt, daß ich alles tun würde, was er von mir verlangt. Das war immer so.« Schweigend blickte er sie an und fügte dann hinzu: »Ich weiß nicht, vielleicht habe ich schon verloren. Ich werde nach Osterland reisen und Har um das gleiche bitten. Das Wissen um sein Landrecht. Und dann nach Herun, wenn ich noch am Leben bin. Und dann nach Ymris.«
»In ganz Ymris wimmelt es von Erdherren.«
»Bis dahin werde ich auch denken wie ein Erdherr. Und bis dahin wird vielleicht der Erhabene endlich sein Schweigen brechen und mich entweder dafür verdammen, daß ich nach seiner Macht gegriffen habe, oder mir erklären, was, in Hels Namen, ich eigentlich tue.« Er leerte den zweiten Becher Wein und sagte dann heftig zu ihr: »Ich kann allein auf die Lehrsätze der Rätselkunst vertrauen. Der Weise kennt seinen eigenen Namen. Mein Name ist der Name der Macht. Und so suche ich, ihn zu erlangen. Erscheint dir das falsch? Es macht mir Angst. Aber dennoch strecke ich die Arme aus.«
Sie schien so unsicher, wie er sich fühlte, doch sie erwiderte nur ruhig: »Wenn es jemals falsch erscheint, dann bin ich da, es dir zu sagen.«
Spät am Abend saß er mit Yrth und Danan allein im Saal des Königs. Alle anderen Mitglieder des Haushalts waren zu Bett gegangen. Sie saßen nah dem Feuer; Morgon, der die alten, verwitterten Gesichter des Königs und des Zauberers betrachtete, spürte die Liebe beider zu dem mächtigen Berg. Auf Yrths Bitte hatte er seine Harfe aus der Luft genommen. Die Hände des Zauberers glitten von Saite zu Saite und lauschten jedem einzelnen Ton nach. Doch er spielte nicht auf dem Instrument.
»Ich muß bald nach Osterland aufbrechen«, bemerkte Morgon zu Danan, »um von Har zu erbitten, was ich von Euch erbat.«
Danan sah Yrth an. »Werdet Ihr ihn begleiten?«
Der Zauberer nickte. Seine hellen Augen trafen die von Morgon wie durch Zufall.
»Wie wollt Ihr dorthin reisen?« fragte er.
»Wir werden wahrscheinlich fliegen. Ihr versteht die Krähengestalt.«
»Drei Krähen über den toten Feldern von Osterland.« Er zupfte sachte eine Saite. »Nun ist in Yrye beim Wolfskönig. Sie war hier, während Ihr schlieft, um uns Nachricht zu bringen. Sie war in den Drei Teilen gewesen, um Talies bei der Suche nach Euch zu helfen. Mathom von An versammelt ein gewaltiges Heer von Lebendigen und Toten, um den Streitkräften von Ymris zu Hilfe zu eilen. Er sagt, er hätte keine Lust, zu Hause zu sitzen und auf das Unvermeidliche zu warten.«
Danan richtete sich auf.
»Sagt er das?« Er lehnte sich vor, die bärenstarken Hände verschränkt. »Ich habe vor, meine Bergleute mit Schwertern, Äxten und Pickeln zu rüsten — mit allen Waffen, die wir haben — und sie nach Süden zu führen. In Kyrth und Kraal liegen Schiffe von mir, die Waffen und Rüstungen nach Ymris bringen sollen. Ich könnte auch ein Heer auf ihnen befördern.«
»Ihr —« begann Morgon, und die Stimme versagte ihm. »Ihr könnt Isig nicht verlassen.«
»Ich habe es noch nie getan«, bekannte der König, »aber ich werde Euch nicht allein kämpfen lassen. Und wenn Ymris fällt, so wird auch Isig früher oder später fallen. Ymris ist das Bollwerk des Reiches.«
»Aber, Danan, Ihr seid kein Krieger.«
»Ihr auch nicht«, entgegnete Danan unwiderlegbar.
»Wie wollt Ihr mit Pickeln gegen die Erdherren antreten?«
»Wir haben es hier auch getan. Und wir werden es in Ymris tun. Ihr habt nur eine Aufgabe, so scheint es. Den Erhabenen zu finden, ehe es ihnen gelingt.«
»Ich versuche es mit allen Kräften. Ich habe jede Bindung des Landrechts in Isig erforscht, und es schien ihn überhaupt nicht zu kümmern. Es ist beinahe so, als täte ich genau das, was er will.«
Seine Worte vibrierten auf eine seltsame Art und Weise durch seinen Geist. Doch Yrth riß ihn aus seinen Gedanken, indem er ein wenig unsicher nach seinem Weinbecher griff. Morgon reichte ihn ihm, ehe er ihn umstoßen konnte.
»Ihr gebraucht gar nicht unsere Augen.«
»Nein. Manchmal sehe ich im Dunkeln klarer. Mein Geist greift aus, der Welt um mich herum Gestalt zu geben, aber geringe Entfernungen zu schätzen, ist nicht so einfach.« Er reichte Morgon die gestirnte Harfe zurück. »Selbst nach all den Jahren weiß ich noch genau, welchen Gebirgsbach, welches Wispern von Feuer, welchen Vogelruf ich in jede Saite band.«
»Ich würde Euch gern auf ihr spielen hören«, sagte Morgon.
Der Zauberer schüttelte ruhig den Kopf.
»Nein, Ihr würdet das gewiß nicht gern hören. Ich spiele dieser Tage sehr schlecht, wie Danan Euch sagen könnte.« Er wandte sich Danan Isig zu. »Wenn Ihr wirklich nach Ymris wollt, dann solltet Ihr bald aufbrechen. Wir befinden uns an der Schwelle des Winters, und gerade zu einer solchen Zeit wird man Euch vielleicht dringend brauchen. Die Krieger von Ymris mögen den Schnee nicht, doch den Erdherren würde er überhaupt nichts ausmachen. Sie und das Wetter werden erbarmungslose Gegner sein.«
»Nun«, meinte Danan nach kurzem Schweigen, »entweder bekämpfe ich sie im Winter von Ymris, oder ich bekämpfe sie in meinem eigenen Haus. Ich werde gleich morgen anfangen, Leute und Schiffe zusammenzuholen. Ash lasse ich hier. Das wird ihm nicht passen, aber er ist mein Landerbe, und es wäre unsinnig, unserer beider Leben in Ymris aufs Spiel zu setzen.«
»Er wird an Eurer Stelle gehen wollen«, bemerkte Yrth.
»Ja, ich weiß.« Seine Stimme war ruhig, doch Morgon spürte die Kraft, die sich in ihr ausdrückte, die unbeugsame Kraft von Stein, der vielleicht ein einziges Mal während seines Daseins donnernd in Bewegung geraten würde. »Er wird bleiben. Ich bin alt, und wenn ich sterbe. Die mächtigen, verwitterten, alten Bäume richten den schwersten Schaden an, wenn sie fallen.«
Morgons Hände schlössen sich fest um die Armlehnen seines Sessels.
»Danan«, bat er, »geht nicht. Es ist nicht notwendig, daß Ihr Euer Leben aufs Spiel setzt. In unserem Geist seid Ihr mit den ersten Jahren des Reiches verbunden. Wenn Ihr umkommt, wird in uns allen ein Stückchen Hoffnung sterben.«
»Doch, es ist notwendig, daß ich an diesem Kampf teilnehme. Ich kämpfe für all jene Dinge, die mir kostbar sind. Isig. Die Menschen, die in ihm wohnen und an das Leben dieses Berges gebunden sind. Und ich kämpfe auch für Euch.«
»Gut«, erwiderte er leise. »Gut. Ich werde den Erhabenen finden, und wenn ich so lange mit aller Gewalt an seiner Macht rütteln muß, bis er sich aus seinem Versteck hervorwagt, um mir Einhalt zu gebieten.«
Als er wieder in die Turmstube hinaufkam, sprach er noch lange mit Rendel. Er lag neben ihr auf den weichen Fellen am Feuer. Sie hörte ihm schweigend zu, während er ihr von seinen Absichten und Danans Kriegsplänen erzählte und ihr die Neuigkeiten mitteilte, die Nun über Rendels Vater nach Isig gebracht hatte.
»Es würde mich interessieren«, sagte sie, während ihre Finger die Haare des Schaffells zwirbelten, »ob in Anuin das Dach eingestürzt ist von dem Gebrüll, das es bei dieser Entscheidung gegeben hat.«
»Er hätte die Entscheidung nicht getroffen, wenn er den Krieg nicht für unvermeidbar hielte.«