»Na ja. Er hat den Krieg schon vor langer Zeit kommen sehen mit seinen Krähenaugen.« Sie seufzte. »Da reiten sie nun nach Ymris, Rood auf der einen Seite, Duac auf der anderen, und den ganzen Weg werden sie sich unentwegt in den Haaren liegen.«
Sie brach ab, ihre Augen ins Feuer gerichtet, und er sah die Sehnsucht in ihrem Gesicht. Er streichelte ihre Wange.
»Rendel, willst du für eine Weile nach Hause zurückkehren, und sie zu sehen? Du könntest in ein paar Tagen dort sein, wenn du fliegst, und mich dann irgendwo treffen — in Herun vielleicht.«
»Nein.«
»Ich hab’ dich in Staub und Hitze die Handelsstraße hinuntergeschleppt; ich hab’ dir zugesetzt, bis du endlich bereit warst, die Gestalt zu wandeln; ich habe dich Ghisteslohm in die Hände geliefert; und dann ließ ich dich allein zurück, den Erdherren preisgegeben, während ich floh —«
»Morgon.«
»Und danach, nachdem du dich deiner eigenen Kräfte bemächtigt hattest und mir durch das ganze Hinterland bis zum Erlenstern-Berg gefolgt warst, floh ich wiederum und verkroch mich in der Einöde, ohne dir auch nur ein Wort zu sagen, so daß du den ganzen Norden nach mir absuchen mußtest. Dann bringst du mich zurück, und ich rede kaum ein Wort mit dir. Wie, in Hels Namen, kannst du mich überhaupt noch ertragen?«
Sie lächelte. »Ich weiß nicht. Manchmal frage ich mich das auch. Dann streichelst du mein Gesicht und liest meine Gedanken. Deine Augen kennen mich. Das ist der Grund, weshalb ich dir über das ganze Reich folge, barfuß oder halb erfroren, bald die Sonne verfluchend oder den Wind, oder auch mich selbst, weil ich so töricht bin, einen Mann zu lieben, der nicht einmal ein Bett besitzt, in das ich mich des Nachts verkriechen kann. Und manchmal verfluche ich auch dich, weil du meinen Namen auf eine Weise ausgesprochen hast, wie nie ein anderer Mann im Reich ihn aussprechen wird, und immer werde ich ihn so hören wollen bis zum Tag, an dem ich sterbe. Wie«, fügte sie hinzu, während er sie stumm anblickte, »kann ich dich also verlassen?«
Er legte sein Gesicht an das ihre, so daß ihre Stirnen und Wangenknochen einander berührten, und blickte ihr tief in die goldenen Bernsteinaugen. Er sah das Lächeln, das sich in ihnen spiegelte. Sie legte ihre Arme um ihn, küßte das Grübchen an seinem Halsansatz, dann sein Herz. Danach schob sie ihre Hand zwischen ihre Münder. Er murmelte einen Protest gegen ihre Handfläche.
»Ich möchte reden«, sagte sie.
Mit einem tiefen Atemzug setzte er sich auf und warf noch ein Holzscheit ins Feuer.
»Gut.«
»Morgon, was willst du tun, wenn dieser Zauberer mit seinen Harfenhänden dich wieder verrät? Wenn du ihm den Erhabenen findest und dann zu spät erkennst, daß er einen Geist hat, der noch geheimnisvollere Wege geht als der Ghisteslohms?«
»Ich weiß bereits, daß das so ist.« Grüblerisch starrte er vor sich hin, die Arme um seine angezogenen Knie gelegt. »Genau über diese Frage habe ich unaufhörlich nachgedacht. Hast du in Lungold gesehen, ob er geistige Kräfte einsetzte?«
»Ja. Er schützte die Händler, während sie kämpften.«
»Dann ist er kein Erdherr; ihre Kräfte sind gefesselt.«
»Er ist ein Zauberer.«
»Oder etwas anderes, wofür wir keinen Namen haben — das ist es, was ich fürchte.« Er hob den Kopf. »Er hat nicht einmal versucht, Danan davon abzubringen, seine Bergleute nach Ymris zu führen. Sie sind keine Krieger; sie werden niedergemetzelt werden. Und Danan verdient es nicht, auf einem Schlachtfeld zu sterben. Er sagte mir einmal, wenn es für ihn Zeit wäre, die Welt zu verlassen, dann wollte er ein Baum werden, im Angesicht der Sonne und der Sterne. Aber er und Yrth kennen einander seit Jahrhunderten. Vielleicht wußte Yrth, daß es sinnlos gewesen wäre, mit einem Stein zu streiten.«
»Wenn es Yrth ist. Können wir uns denn selbst dessen sicher sein?«
»Ja. Er trug Sorge, es mich wissen zu lassen. Er spielte meine Harfe.«
Still ließ sie ihre Finger seinen Rücken hinauf- und hinuntergleiten.
»Nun«, meinte sie leise, »dann können wir ihm vielleicht trauen.«
»Ich habe es versucht«, flüsterte er. Ihre Hand wurde ruhig. Sie streckte sich wieder neben ihm aus und lauschte dem Knistern des brennenden Fichtenholzes. Er legte einen Arm über seine Augen. »Ich werde scheitern. Ich konnte nie einen Streit mit ihm gewinnen. Ich konnte ihn nicht einmal töten. Alles, was ich tun kann, ist warten, bis er sich zu erkennen gibt, und da ist es dann vielleicht schon zu spät.«
Sie erwiderte etwas darauf. Doch er hörte nicht, was es war, denn im Dunkel seines Geistes regte sich etwas, das er noch nicht bestimmen konnte. Zunächst fühlte es sich an wie eine geistige Berührung, der er keinen Einhalt gebieten konnte. Da ließ er sie zu und suchte sie zu erforschen, und es wurde ein verschwommenes Geräusch daraus. Seine Lippen öffneten sich; die Luft kam hastig aus seinen Lungen. Das verschwommene Geräusch schwoll zu einem Heulen an wie das Heulen des Meeres, das Piers und Boote und Fischerhäuser zertrümmert, sich dann zu einer riesigen Flutwelle auftürmt, die über Felsen hinwegspült, um das Getreide auf den Feldern auszureißen, Bäume umzustürzen, während es tosend durch die Nacht tobt und die Schreie von Menschen und Tieren ertränkt. Ohne sich dessen bewußt zu sein, sprang er auf und gab den Schrei zurück, den er im Geist des Landherrschers von Hed hörte.
»Nein!«
Er hörte Stimmengewirr. Er konnte nichts sehen in der wirbelnden schwarzen Flut. Sein Körper schien von den Adern des Landrechts durchpulst. Er spürte, wie die grausame Flutwelle zurückwich, aufgeplatzte Getreidesäcke, Schafe und Schweine, Bierfässer, die zerschmetterten Mauern von Scheunen und Häusern, Zaunpfosten, Suppentöpfe, Eggen und schreiende Kinder mit sich riß. Jemand packte ihn und rief wieder und wieder seinen Namen. Entsetzen, Verzweiflung, hilfloser Zorn schüttelten ihn. Ein Geist suchte den seinen zu fassen, doch er war in Hed, tausend Meilen entfernt. Dann schlug ihm eine Hand schmerzhaft ins Gesicht, so daß er nach rückwärts taumelte, heraus aus den grauenvollen Bildern.
Yrths blinde Augen blickten ihn an. Eine glühende Welle der Wut auf die unverständliche Ungerechtigkeit des Zauberers schoß mit solcher Heftigkeit in ihm auf, daß er nicht einmal sprechen konnte. Er ballte die Faust und holte aus. Yrth war weit kräftiger, als er erwartet hatte; der Schlag riß ihm selbst fast den Arm aus der Schulter und ließ die Haut über seinen Knöcheln aufplatzen. Es war, als hätte er gegen Stein oder gegen Holz geschlagen. Yrth machte ein leicht erstauntes Gesicht, waberte in der Luft, ehe er vielleicht gestürzt wäre, und löste sich auf. Einen Augenblick später erschien er wieder und hockte sich am Feuer nieder, die Hand auf eine blutende Wange gedrückt.
Zwei Wächter an der Tür und Rendel hatten denselben Ausdruck auf ihren Gesichtern. Und sie schienen wie in Eis erstarrt.
Morgon schnappte nach Luft. Die plötzliche Wut war verraucht.
»Sie greifen Hed an. Ich muß hin«, sagte er.
»Nein.«
»Das Meer stieg bis über die Felsen. Ich hörte — ich hörte ihre Stimmen, Eliards Stimme. Wenn er tot ist — ich schwöre es, wenn er tot ist —, wenn Ihr mich nicht geschlagen hättet, dann wüßte ich es jetzt! Ich war in seinem Geist. Tol — Tol ist zerstört worden. Alles. Alle.« Er sah Rendel an. »Ich bin zurück, sobald ich kann.«
»Ich komme mit«, flüsterte sie.
»Nein.«
»Doch.«
»Morgon«, mischte sich Yrth ein. »Sie werden Euch töten.«
»Tristan!« Seine Hände verkrampften sich. Er schluckte einen Kloß hinunter, der ihm die Kehle zuschnürte. »Ich weiß nicht, ob sie lebt!«
Er schloß die Augen und ließ seinen Geist durch die dunkle, regennasse Nacht fliegen, über die weiten Wälder, so weit die Kraft seines Geistes reichte. Doch ein Bild formte sich in seinem Geist, zog ihn zurück, und Morgon öffnete die Augen und starrte auf die feurig schimmernden Wände des Turms.