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«Mach weiter so, Richard!«rief plötzlich eine Stimme.

Ich zog sachte an der Bremsleine, kurvte ein wenig und grinste ihnen dann zu. Fünf Gleitschirmflieger in Seide und Spinngewebe kreisten dicht nebeneinander über dem Abgrund, und keiner von ihnen wagte es, sich in den Windsog gleiten zu lassen, der sie in den Himmel hochheben konnte. Ich mußte ihnen Mut machen.»Jede Menge Aufwind!«rief ich zurück.

Dann packte mich eine leichte Böe und trug mich von der schlanken Luftsäule weg. Der Aufwind ließ nach.

Von meiner Augenhöhe aus gesehen schwebten die Flieger vom Berggipfel jetzt über mir, und ich sank langsam abwärts und versuchte, erneut in den Aufwind zu gleiten. Nördlich von mir flog Ceejay in engen Spiralen und verlor ebenso an Höhe. Seitlich von mir tauchte der Berghang weg, und es blieb nur noch der Schlund unter mir — kein Aufwind mehr, der mich trug.

Vor zwei Jahren hätte ich gedacht, daß eine solche Situation meinen Adrenalinspiegel hochjagen würde — allein, eine halbe Meile über der Erde, vor dem Absturz nur bewahrt durch unzählige schmale Schnüre, die an einem Stückchen Stoff befestigt waren. Jetzt war es ein sanfter, träger Traum vom Fliegen: kein dröhnender Motor, kein Glas-und-Stahl-Kokon um mich herum, nur das leise Seufzen des bunten Gleitschirms, der über mir durch die Luft schwebte.

Ein Rabe erschien dicht neben mir, er hielt einen Sicherheitsabstand, der zwischen Furcht und Interesse lag. Die schwarzen Augen blickten neugierig, der Kopf war leicht gebogen, ein Maisfresser, vom Regenbogen fasziniert.

Ich lehnte mich in die Gurte zurück wie ein Kind in einer hochschwingenden Schaukel und beobachtete den Berghang über mir. Die Suche nach dem Aufwind war beendet. Davon hatte ich schon als Kind auf der Wiese mit meinem Papierdrachen geträumt: Schneller zu sein als der Adler war ein Teil des Traumes, aber so gleichmäßig wie die Schmetterlinge — eine weiche, liebliche Freundschaft mit dem blauen Himmel.

Unter uns drehte sich das Heufeld, das wir als Landezone benutzten, und daneben standen Menschen am Straßenrand, die angehalten hatten, um die Gleitschirme zu beobachten. Als ich mich in einer Höhe von hundert

Fuß der Grasfläche näherte, zählte ich fünf Autos, und ein sechster Wagen hielt gerade an. Es kam mir fremdartig vor, daß Menschen mich beobachteten, während ich zu meinem eigenen Vergnügen die Lüfte unsicher machte. Sieht man von den Luftfahrtshows ab, habe ich mich immer unsichtbar gefühlt, wenn ich flog.

Zehn Minuten, nachdem ich in den Himmel geglitten war, verließ ich ihn wieder, indem ich die Geschwindigkeit auf Höhe der Grasmarkierung drosselte, und dann berührte erst mein rechter Fuß den Boden, danach der linke. Der Schirm blieb noch einen Moment über meinem Kopf und beschützte mich, bis ich sicher auf der Erde stand. Dann zog ich an den hinteren Leinen, und der Drache verwandelte sich wieder in lockere Seide, die in einer riesigen Wolke aus Farbe um mich herum schwebte und dann langsam in sich zusammenbrach.

Über mir waren Ceejay und die anderen nur noch kleine Punkte, die sich am Himmel festhielten, mit viel Mühe die warmen Luftströmungen suchten und sich von Aufwind zu Aufwind hangelten. Es waren zähere Flieger als ich, und ihr Lohn war, daß sie noch in den Lüften schwebten, während ich schon wieder fest auf der Erde stand.

Ich glättete den Schirm, faltete ihn dann sorgfältig vom Ende zur Mitte hin zusammen, bis das Ganze ein kleines viereckiges Bündel im Heu war. Dann drückte ich noch die Luft heraus und packte alles in meinen Rucksack.

«Soll ich Sie zum Gipfel mitnehmen?«

Eine Stimme ertönte vom Himmel der Paragleiter mit dem schönen Versprechen, um einen beschwerlichen Fußmarsch von weit über einer Stunde herumzukommen.

«Vielen Dank. «Ich drehte mich um und sah einen kleinen, grauhaarigen Mann mit den freundlichen Augen eines College-Lehrers, der mit überkreuzten Armen an seinem Auto lehnte und mich aufmerksam betrachtete.

«Es macht bestimmt Spaß«, sagte er zu mir.»Es sieht von hier unten aus wie ein buntes Feuerwerk.«

«Ein herrliches Vergnügen«, bestätigte ich, packte meine Sachen auf den Rücken und ging zu seinem Wagen.»Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich diese Fahrt mit dem Auto zu würdigen weiß.«

«Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte er lächelnd.»Und ich bin froh, wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann. «Er reichte mir seine Hand.»Mein Name ist Shepherd.«

«Richard«, sagte ich und drückte seine Hand.

Ich hievte den verpackten Gleitschirm auf den Rücksitz und ließ mich auf den Beifahrersitz seines alten, verrosteten Ford, Baujahr 1955, nieder. Ein Buch lag mit dem Rücken nach oben neben mir auf den zerschlissenen Sitzpolstern.

«Fahren Sie links auf den Highway«, sagte ich zu Shepherd.»Dann ist es nur eine Meile bis zur nächsten Ausfahrt.«

Er startete den Motor, fuhr dann gemächlich auf den Highway und nahm die von mir beschriebene Ausfahrt.

«Ein herrlicher Tag, nicht wahr?«bemerkte ich nach einer Weile. Wenn mich schon jemand bis zum Gipfel fuhr, wollte ich ihn nicht die ganze Fahrt über anschweigen.

Er konnte mir nicht antworten, weil er sich auf den Verkehr und die Straße konzentrieren mußte.

Und dann fragte er völlig unvermittelt:»Haben Sie schon einmal jemanden getroffen, der einer Person in einem Ihrer Bücher ähnelt?«

Mein Herz rutschte tiefer. Es ist bestimmt nicht das Ende der Welt, wenn ein Fremder meinen Namen kennt. Wenn man schon eine bekannte Persönlichkeit ist, kann man nie sicher sein, daß der Gegenüber, mit dem man es gerade zu tun hat, noch nie von einem gehört hat. Was

würde als nächstes geschehen? Wenn er ein Holzkopf war, würde ich mir wie ein prächtiger Idiot vorkommen, seinem Geschwätz völlig ausgeliefert.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, daß Shepherd vielleicht ein Bekloppter war und ich am besten daran täte, die Beifahrertür zu öffnen und auf die Straße zu springen. Einen Sekundenbruchteil später beschloß ich, ihm eine Chance zu geben, denn aus dem Wagen springen konnte ich immer noch, wenn es notwendig sein sollte. Außerdem wäre das nicht unbedingt eine Antwort auf seine Frage gewesen.

«Alle Personen in meinen Büchern sind echt«, beantwortete ich seine Frage.»Obwohl ich einige von ihnen noch nicht in der Realität getroffen habe.«

«Existiert Leslie wirklich?«

«Eine häufig gestellte Frage. «Worauf wollte er eigentlich hinaus? Die Unterhaltung hatte ihre anfängliche Naivität verloren.»Sie können hier einbiegen«, sagte ich zu ihm.»Das ist schon die Bergstraße. Sie ist dreckig und stellenweise sehr steil, aber trotzdem sehr leicht zu fahren. Allerdings müssen Sie auf dem Gipfel sehr vorsichtig sein, denn Gleitschirmfliegen macht soviel Spaß, daß Sie leicht von dieser Freude angesteckt werden können, wenn Sie nicht sehr aufpassen und schnell umkehren. Sie werden dann nicht mehr der gleiche Mensch sein wie zuvor.«

Shepherd ignorierte mein Ablenkungsmanöver.»Der Grund, warum ich Sie gefragt habe, ist einfach der, daß ich eine der Personen bin, über die Sie schreiben. Ich war bei Ihnen, als Sie noch ein Junge waren. Ich bin ein lehrender Engel.«

Ich war zutiefst alarmiert.»Genug der Umschreibungen«, sagte ich brüsk.»Jetzt sagen Sie mir, was Sie wollen.«

«Wir sprechen nicht darüber, was ich will, Richard, sondern darüber, was du willst.«

Der Wagen fuhr jetzt so langsam, daß ich hätte hinausspringen können, ohne gleich tot zu sein. Noch hatte er mich keinen gottlosen Antichristen genannt, und er war sicherlich unbewaffnet, deshalb blieb mein erster Eindruck von seiner Liebenswürdigkeit bestehen. Er redete wie ein Verrückter, aber ich mochte den Mann.