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Schöne Bescherung, dachte ich, in meinem Gemüt lauern geladene Raketen auf mich. Eigentlich hatte ich erwartet, daß der kleine Junge mit offenen Armen auf mich zulaufen würde. Aus der Dunkelheit hinein ins helle

Licht, voll mit Fragen und offen für alle Weisheit, die ich angehäuft hatte. Ich schließe die Tür zu einer wunderbaren neuen Freundschaft auf, und ohne Vorwarnung hätte er mich beinahe bei lebendigem Leib geröstet.

Soviel also zum Thema ›Das Kind in uns lieben‹. Zum Glück hat diese Tür ein großes und festes Schloß. Ich werde mich niemals mehr in die Nähe dieses Ortes begeben, geschweige denn die Zeit-Bombe berühren.

Als ich wieder landete, machten sich die anderen Flieger gerade daran, noch einmal zu starten. Wind hin, Wind her, sie wollten fliegen. Sollen sie, dachte ich, und packte meine Ausrüstung in meinen Wagen, startete den Motor und fuhr nach Hause. Während der Fahrt dachte ich über diesen Tag und die ihm innewohnenden Begegnungen nach.

Leslie saß in unserem Pflaumenbaum und winkte mir, als ich ankam. Die Gartenschere hielt sie in der Hand, abgeschnittene Zweige bedeckten den Boden.

«Hallo, Liebling!«rief sie mir zu.»Bist du schön geflogen? Hast du viel Spaß gehabt?«

Meine Frau ist eine liebenswerte und schöne Frau, eine Seelenfreundin, die ich gefunden habe, nachdem ich die Suche eigentlich schon aufgegeben hatte. Abgesehen davon ist sie manchmal aber auch sehr tiefsinnig und geheimnisvoll und herausfordernd. Hast du viel Spaß gehabt? Wie sollte ich diese Frage beantworten?

5

«Ein Flammenwerfer?«Jede vernünftige Frau würde lachen, wenn der Ehemann nach Hause kommen und eine solche Geschichte erzählen würde. Sie rollte sich auf der Couch neben mir zusammen, legte eine Decke über ihre Füße und hielt eine Tasse Tee zwischen den Händen, um sich zu wärmen. Wenn jemand schnell kalte Hände bekommt, so glaubt sie, ist das beste Mittel dagegen, im Frühjahr die Bäume im Garten zu beschneiden.

«Wofür steht der Flammenwerfer?«

«Dafür, daß ich verwirrt bin«, erwiderte ich.»Man möchte jemanden auslöschen. Nicht direkt töten, aber zum größten Teil in Asche versinken lassen.«

«Wenn das passiert, wenn du aufgeregt bist«, fragte sie weiter,»was geschieht dann erst, wenn du völlig den Kopf verlierst?«

«Das kann ich dir sagen, Leslie. Nicht ich, sondern er war nicht nur durcheinander, sondern völlig durchgedreht.«

Und dann erzählte ich ihr nach und nach die ganze Geschichte. Ich habe versucht, die Sache zu bagatellisieren, um Leslie nicht zu erschrecken. Shepherd wurde zum verschrobenen Fanatiker, der irgend etwas in einem Buch gelesen hat, was er jetzt auf mich projizierte. Er hat dann diese Geschichte erfunden, daraus ein grauenvolles Buch gemacht und gehofft, daß ich es für ihn veröffentlichen würde.

War er wirklich ein lehrender Engel? Wir alle sind lehrende Engel, wir alle haben etwas gelernt, an das irgend jemand sich irgendwo erinnert. Ich hätte ihm gleich sagen sollen, daß ich heute nicht meine Schulmütze auf dem Kopf hatte und eigentlich nur auf den Berggipfel gelangen wollte, und das wäre es dann auch gewesen, und vielen Dank für die Fahrt und guten Tag.

Meine Frau konnte die Begegnung mit dem Kind, das ich einmal gewesen, nicht belächeln. Sie hatte seit langem geahnt, daß dieser Junge ein verdrängter Teil meines Ichs war, der gefunden und geliebt werden wollte. In Shepherd hatte sie einen Verbündeten gefunden.

Sie sah mich mit ernstem Gesicht an.»Kannst du dir irgendeinen Grund vorstellen, warum Dickie so extrem reagiert hat?«

«Es war dunkel und kalt da unten, es war eine Zelle, ein Verlies. Vielleicht glaubte er, daß ich ihn dort eingeschlossen hätte und dann weggegangen wäre und ihn allein zurückgelassen hätte…«Ich überlegte einen Moment lang, wie dieses Gefühl wohl sein mußte.»Ich kann mir vorstellen, daß er darüber ein bißchen verärgert war.«

«Verärgert?«Sie runzelte die Stirn.

«Mehr noch. Ich kann mir vorstellen, daß er so wütend war, daß er mich in Stücke schneiden und den Ratten vorwerfen wollte.«

«Hat er nicht recht?«fragte sie nach.»Warst nicht du derjenige, der die Tür zugeschlagen hat?«

Mit einem Seufzer lehnte ich meinen Kopf an ihre Schulter.»Erwartet man von mir vielleicht, daß ich ihn erziehe? Jede Woche sammeln sich mehr Menschen in mir an, die ich einmal gewesen bin, und gesellen sich zu denen, die schon da sind. Morgen werde ich einer von ihnen sein, nämlich ich. Warum soll ich diese Menschenmenge mit mir herumschleppen? Was es da alles zu beachten gibt: ›Vorsicht, wir müssen auf die Gefühle der anderen Rücksicht nehmen! Leute, einigt euch, was wir

als nächstes tun.‹«Sogar in meinen Ohren klang das wie eine Verteidigungsrede.

«Es geht nicht um diese Menschenmenge«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf.»Aber wenn du alles wegschiebst, selbst die Erinnerung an die Kindheit, hast du denn dann noch eine Vergangenheit?«

«Ich habe Erinnerungen«, sagte ich hastig und wußte, daß sie den ungesagten Rest hören konnte: Nur wenige Male habe ich mich an seltene grüne Oasen in der Wüste meiner Kindheit erinnert. Sie sollten ein Wunderland sein, aber sie sind leer, wenn ich zurückblicke — als ob ich hineingefallen wäre, ein Besucher aus der Gegenwart mit einem gefälschten Ausweis.

Leslies Vergangenheit hat ihre eigenen schwarzen Löcher: Pflegeheime hinterließen leere Stellen in ihrem Kopf, die inneren Verletzungen des kleinen Mädchens, die auf Röntgenbildern nicht sichtbar würden, hat sie verdrängt. Dennoch ist ihr tägliches Leben voller Erinnerungen an das Kind, das sie einst gewesen, alte Erfahrung hilft ihr, heute zu entscheiden und morgen zu wählen.

«Einigen wir uns auf zwei Erinnerungen?«

«Einverstanden«, erwiderte sie lächelnd.

«Ich weiß keine mehr.«

Damit wollte sie sich nicht zufrieden geben.»Denk ein wenig nach. Du kannst dich schon erinnern, wenn du nur willst.«

«Ich habe Wolken beobachtet. Ich lag auf dem Rücken, versteckt in einer stillen Ecke hinter dem Haus, wilder Weizen um mich herum. In den Himmel zu blicken war das gleiche wie in einen unendlich tiefen See zu schauen, die Wolken waren schwimmende Inseln.«

«Du hast Wolken beobachtet«, sagte sie zu mir.»Und was hast du danach getan?«

Aber das ist wichtig, dachte ich. Verscheuch nicht die Wolken, der Himmel war mein Fluchtpunkt, er war meine Liebe, er war und blieb meine Zukunft. Sag nicht ›danach‹, der Himmel bedeutet mir alles.

«Der Wasserturm«, sagte ich nach einer Pause.

«Was ist mit dem Wasserturm?«wollte sie wissen.

«Wir lebten in Arizona, als ich klein war. Auf einer Ranch, die einen Wasserturm hatte.«

«Was hat es mit dem Wasserturm auf sich? Warum erinnerst du dich ausgerechnet an ihn?«

«Ich weiß es nicht«, gab ich zurück und kramte in meinen Erinnerungen.»Ich nehme an, weil er das größte Bauwerk in der ganzen Umgebung war.«

«Einverstanden. Und deine nächste Erinnerung.«

Ich schüttelte den Kopf.»Das waren schon zwei.«

Sie wartete noch ein bißchen, als ob sie wenigstens drei Erinnerungen von mir hören wollte, nachdem sie vorher hundert verlangt und nur zwei bekommen hatte.

Mir fiel noch etwas ein.»Ich habe einmal einen ganzen Nachmittag auf einem Baum verbracht, bis es schließlich dunkel wurde. «Das reicht, dachte ich mir, ich habe ihr jetzt mehr erzählt, als ich vorhin versprochen habe.

«Warum warst du auf dem Baum?«fragte sie.

«Ich weiß es nicht mehr. Du wolltest von mir Erinnerungen hören und keine Begründungen.«

Wieder schwiegen wir. Ein paar Erinnerungen holperten über eine ruckelnde und wackelnde Spule auf dem altersschwachen Projektor in meinem Inneren. Bilder meiner Kindheit? Neben dem Baum und dem Wasserturm sah ich weitere Meilensteine ohne Gewicht: eine Radtour mit einem Freund aus Kindertagen, die winzige Skulptur eines lachenden Buddhas. Wenn ich ihr das jetzt erzählen und sie mich fragen würde, was es bedeutete, könnte ich es ihr bestimmt nicht erklären.