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Riccio nickte. »Den find ich schon«, sagte er. »Und dann bring ich ihn her.«

»Gut.« Ida nickte. »Das hört sich doch schon besser an. Mosca«, sie drehte sich ihm zu, »ich weiß nicht, was für einen Streit ihr mit Scipio habt, aber ich finde, du solltest ihn anrufen und ihm erzählen, was letzte Nacht passiert ist. Und dass ihr jetzt hier untergeschlüpft seid. Machst du das?«

Mosca nickte, wenn auch wenig begeistert. »Soll ich ihm das mit dem Falschgeld auch erzählen?«, fragte er. Ida zuckte die Achseln. »Irgendwann muss er es erfahren, oder? Jetzt zu uns«, sie stieß Victor den Finger vor die Brust, »wie wäre es, wenn wir zwei uns jetzt aufmachten, um das arme Mädchen aus dem Waisenhaus zu holen, Victor oder Signor Getz, was immer Ihnen lieber ist?«

»Victor reicht«, knurrte Victor. »Aber warum stellen Sie sich das so einfach vor?«

Ida setzte das Kätzchen auf die Erde und lächelte ihn an. »Oh, ich habe da so meine Beziehungen«, sagte sie. »Und Sie müssen mich nicht begleiten, wenn Sie nicht wollen. Obwohl zwei Erwachsene bei solchen Angelegenheiten immer beeindruckender wirken als einer.«

Victor sah unbehaglich auf seine Schuhe. Idas Teppiche waren nicht so abgetreten wie seine und hübscher, viel hübscher. »Ich hatte mal etwas Ärger mit den Barmherzigen Schwestern«, murmelte er. »Habe einen Einbrecher gesucht, der sich gern als Nonne tarnte, und mir dabei leider eine echte Schwester gegriffen. Sie sind seither nicht gut auf mich zu sprechen. Obwohl ich ihnen vor zwei Jahren ihre schönste Marienstatue wiederbeschafft habe.«

Mosca und Riccio stießen sich an und grinsten, aber Ida musterte Victor nur mit schief gelegtem Kopf.

»Wir könnten uns verkleiden«, schlug sie vor. »Im Moment sehen Sie ganz wie ein Detektiv aus, aber das lässt sich ja leicht ändern. Ich habe einen Schrank mit Kleidungsstücken, die ich als Requisiten für meine Fotos verwende. Anzüge sind natürlich auch dabei, sogar einige aus dem neunzehnten Jahrhundert.«

»Das zwanzigste wäre mir lieber«, murmelte Victor. Ida lächelte. »Ich habe auch falsche Bärte!«, sagte sie. »Eine ganze Sammlung.«

»Wirklich?« Victor warf Riccio einen Blick zu. »Meine wurden mir vor kurzem gestohlen, aber zum Glück habe ich sie heute wieder gefunden.«

Riccio wurde rot und guckte aus dem Fenster. Victor aber folgte Ida zu einem kleinen Raum im Erdgeschoss, in dem nichts als zwei riesige Schränke standen. Dass sie falsche Bärte hat, dachte er, während er sich einen Anzug aussuchte, das ist wirklich erstaunlich.

Das Waisenhaus

Wespe saß auf dem Bett, das man ihr zugewiesen hatte, betrachtete die Wände ringsum, kahl und weiß, und schloss zum hundertsten Mal die Augen, um einen anderen Raum zu sehen: einen Vorhang voller Sterne. Eine Matratze, umgeben von Bücherstapeln, die ihr nachts Geschichten zuraunten. Sie rief sich die Stimmen ins Gedächtnis, Moscas, Riccios, immer ein bisschen aufgeregt, Scipios, Prospers - und Bos Stimme, heller als ihre eigene. Wespe fasste nach der kalten, weiß bezogenen Bettdecke und stellte sich vor, sie hielte Bos kleine, runde Hand. So warm. Nicht dass es hier im Waisenhaus kälter gewesen wäre als in dem verlassenen Kino, wahrscheinlich war es viel wärmer, aber Wespe fror. Bis in die Knochen, bis ins Herz. Ob es Bo bei seiner Tante besser ging? Und was war mit den anderen? Wespe spürte, wie ihr Magen knurrte. Sie hatte nichts gegessen, seit die Carabinieri sie hierher gebracht hatten. Nicht das Frühstück, das die Schwestern ihr hingestellt hatten, nicht das Mittagessen. Mittagessen gab es hier sehr früh. Die anderen Kinder waren noch unten im Speisesaal. Der Essensgeruch zog bis herauf in die Schlafräume. Wie viel besser hatte es gerochen, wenn Mosca Spaghetti kochte, auch wenn er immer zu viel Salz ins Wasser tat und die Soße meistens anbrennen ließ. Wespe stand auf und trat an das Fenster, durch das man auf den Hof hinabsehen konnte. Ein paar Tauben pickten zwischen den Steinen herum. Die konnten wegfliegen, einfach so. Wespe sah zwei Erwachsene durch das große Eingangstor kommen, eine Frau mit einem schwarzen Hut und einen Mann mit Bart. Die Nonne mit der lauten Stimme führte die beiden auf das Haupthaus zu. Waren sie gekommen, um ein Kind zu adoptieren? Bestimmt wollten sie ein kleines Kind, möglichst ein Baby. Nur die Kleinen hatten eine Chance, neue Eltern zu bekommen. Die anderen konnten bloß darauf warten, erwachsen zu werden, Jahr um Jahr. Tage, Wochen, Monate. Wie langsam man wuchs. Bos Katzen wuchsen in einer Woche mehr als Wespe im ganzen letzten Jahr. Jahre, Monate, Wochen, Tage.

Wespe legte die Wange gegen die kalte Scheibe und sah hinüber zum anderen Flügel des Waisenhauses, wo sich hinter einem Fenster noch ein Kind die Nase an der Scheibe flach presste. Sie hatte ihren Namen nicht verraten, obwohl die Schwestern sie immer wieder danach gefragt hatten. Sie wollte nicht hier bleiben, aber sie wollte auch nicht nach Hause. Wenn man keine Eltern mehr hatte so wie Riccio, dann konnte man sich ausmalen, wie wunderbar sie gewesen waren. Aber was tat man, wenn man Eltern hatte und sie waren nicht wunderbar? Nein, sie würde ihren Namen nicht sagen. Niemals.

Die Tür ging auf. Erschrocken drehte Wespe sich um. Sie hatte sie zugemacht, als die anderen Kinder nach unten gegangen waren. Die Nonne mit der lauten Stimme steckte den Kopf herein. »Caterina?« Wespe zuckte zusammen. Woher kannte sie ihren Namen? »Aha, das scheint also wirklich dein Name zu sein. Gut, komm bitte mal mit, es möchte dich jemand sehen!« »Wer denn?«, fragte Wespe. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

»Warum hast du nicht erzählt, wer deine Patentante ist?«, schimpfte die Nonne, während sie mit Wespe die kahlen Korridore entlangeilte. »So eine berühmte Dame. Du weißt doch bestimmt, wie viel sie schon für das Waisenhaus getan hat.« Berühmt? Patentante? Wespe verstand gar nichts mehr. Hatte sie eine Patentante? Die Schwester schien aufgeregt zu sein, ständig rückte sie an ihrer Brille herum. Es war eine Brille mit dicken Gläsern, hinter denen ihre Augen seltsam groß aussahen. »Nun komm schon, Caterina!« Die Nonne zog Wespe ungeduldig weiter. »Wie lange soll sie denn noch auf dich warten?« Wer?, wollte Wespe rufen. Was ist hier los? Aber sie schluckte die Worte hinunter, als sie Ida sah. Mit dem Hut hätte sie sie fast nicht erkannt. Und wer war der Mann neben ihr? »Ich glaube, Sie hatten Recht, Signora Spavento!«, trompetete die Schwester schon von weitem. »Sie heißt Caterina, unser namenloses Mädchen. Das ist doch Ihre Patentochter, oder?« Leicht wie Luft fühlte Wespe sich plötzlich. Sie wollte auf Ida zurennen, ihr um den Hals fallen, sich unter ihrem weiten Mantel verstecken und nie wieder hervorkommen. Aber sie hatte Angst, alles zu verderben. Und so lächelte sie nur zaghaft und ging zögernd auf Ida und ihren fremden Begleiter zu. »Ja, das ist sie. Cara!« Ida breitete die Arme aus und drückte Wespe so fest an sich, dass ihr gleich warm wurde. »Hallo, Wespe«, raunte der fremde Mann an Idas Seite. Erstaunt sah Wespe ihm ins Gesicht - und erkannte ihn: Victor, den Schnüffler, mit einem neuen Bart. Victor, Bos Freund. Und ihrer.

»Das ist mein Anwalt, cara«, erklärte Ida, während sie Wespe wieder losließ.

»Buon giorno«, murmelte Wespe und lächelte Victor an. »Warum nimmst du die Streitereien deiner Eltern nur immer so ernst, cara?«, fragte Ida und seufzte so tief, als hätte sie mit Wespe schon viel zu oft über ihre dummen Eltern gesprochen. »Dreimal ist sie schon fortgelaufen wegen der ewigen Zänkereien«, erklärte sie der Nonne, die die drei gerührt beobachtete. »Ihre Mutter, eine Cousine von mir, hat leider einen unmöglichen Mann geheiratet, aber sie wird sich wohl bald scheiden lassen. Bis das überstanden ist, nehme ich das Mädchen zu mir, sonst läuft sie womöglich noch einmal weg, und wer weiß, wo die Polizei sie dann aufliest. Das letzte Mal hatte sie sich drüben in Burano verkrochen, stellen Sie sich das vor!«