»Du warst doch auch mit in der Basilika, oder?«, sagte er zu Prosper. »Entschuldigt, dass Morosina euch in den Stall gesperrt hat, aber man sollte sich eben nicht mitten in der Nacht auf fremde Inseln schleichen. Das mit dem Falschgeld tut mir Leid, es war Barbarossas Idee, sonst hätte ich euch nicht bezahlen können. Ihr habt es bestimmt schon gemerkt«, er wies auf den abblätternden Putz an den Wänden, »ich bin nicht gerade reich, auch wenn ich in diesem Palast hause.« »Renzo!«, sagte Morosina ungeduldig. »Sag, was wir mit ihnen machen sollen.«
Der Junge schob mit dem Fuß eine Puppe zur Seite. »Sieh dir an, wie entgeistert die zwei mich anstarren!«, sagte er zu Morosina. »Fragt ihr euch etwa, woher ich das alles weiß? Habt ihr das Treffen im Beichtstuhl vergessen? Oder unsere nächtliche Verabredung auf der Sacca della Misericordia?« Prosper wich zurück. Er hörte, wie Scipio neben ihm scharf Atem holte.
»Es funktioniert!«, flüsterte Scipio und starrte den fremden Jungen ungläubig an. »Du bist der Conte.« Lächelnd machte Renzo eine Verbeugung. »Zu Diensten, Herr der Diebe«, sagte er. »Dank eurer Hilfe. Ohne den Löwenflügel war es nur ein Karussell, aber jetzt.«
»Frag sie, wer ihnen von dem Karussell erzählt hat«, unterbrach seine Schwester ihn. Sie lehnte an der Wand, die Arme verschränkt. »Heraus damit! War es Barbarossa? Ich habe Renzo immer gesagt, dass wir dem fetten Rotbart nicht trauen können.«
»Nein!« Scipio wechselte einen verwirrten Blick mit Prosper. »Nein, Barbarossa hat nichts damit zu tun, dass wir hier sind. Ida Spavento hat uns von dem Karussell erzählt, die Frau, der der Flügel gehört, aber das ist eine lange Geschichte.« »Weiß sie, dass ihr hier seid?«, fragte Morosina barsch. »Weiß irgendwer, dass ihr hier seid?«
Scipio wollte antworten, aber Prosper kam ihm zuvor. »Ja«, sagte er. »Unsere Freunde wissen es und ein Detektiv. Und wenn wir nicht zurückkommen, werden sie herkommen und uns suchen.«
Morosina warf ihrem Bruder einen düsteren Blick zu. »Hörst du das?«, sagte sie. »Was machen wir jetzt? Wieso redest du mit ihnen? Wie kannst du ihnen unser Geheimnis verraten? Wir hätten ihnen etwas vorlügen können.« Renzo bückte sich und hob eine Maske auf, die zwischen den Spielzeugsoldaten lag. »Sie haben mir den Flügel besorgt«, sagte er. »Und ich habe sie nicht bezahlt. Deshalb werde ich ihnen erlauben, auf dem Karussell zu fahren.« Er blickte Prosper und Scipio an, einen nach dem anderen.
»Am Anfang dreht es sich langsam«, sagte er leise. »Und man spürt kaum etwas. Aber dann wird es schneller und schneller. Ich wäre fast zu spät abgestiegen, aber so.«, er sah an sich herunter, »ist es genau, wie ich es wollte. Ich habe mir zurückgeholt, was man mir gestohlen hat. Die ganzen Jahre. Als die Kinder der Vallaresso mit alldem hier gespielt haben«, er zeigte auf die Schaukelpferde und Spielzeugsoldaten, »mussten ich und Morosina im Taubenschlag den Mist von den Stangen kratzen. Wir haben Unkraut gerupft, den Engeln im Garten das Moos von den Gesichtern geschrubbt, die Fußböden gescheuert, die Klinken poliert. Wir sind vor der Herrschaft aufgestanden und ins Bett gegangen, wenn sie längst alle schliefen. Aber die Vallaresso sind fort, und Morosina und ich sind noch hier. Und ich stelle fest, dass es mich langweilt, mit all diesen Sachen zu spielen. Verrückt, nicht wahr?« Er lachte und stieß mit dem Fuß eine Dampflok um. »Also hast du dich nur Conte genannt«, sagte Scipio. »Du bist kein Vallaresso.«
»Nein, ist er nicht«, antwortete Morosina für ihren
Bruder. »Aber du«, sie musterte Scipio abschätzend
von Kopf bis Fuß, »du stammst aus einer vornehmen Familie, nicht wahr? Ich erkenne es an der Art, wie du redest, an der Art, wie du gehst. Hebt für dich auch ein Mädchen, das kaum älter ist als du, die dreckigen Hosen auf, die du achtlos auf den Boden wirfst, putzt dir die Stiefel, zupft dein Bett glatt? Du hast keinen Grund, mit dem Karussell zu fahren. Also was willst du hier? Dein Geld kannst du nicht bekommen, weil wir es nicht haben!«
Scipio hatte den Kopf gesenkt. Er zog mit der
Stiefelspitze die Muster auf den Fliesen nach.
»Stimmt, meine Sachen hebt immer jemand auf«, sagte er, ohne den Kopf zu heben. »Und morgens bekomme ich hingelegt, was ich anziehen soll. Ich
hasse es. Meine Eltern behandeln mich, als wäre ich zu dumm, mir die Hose zuzuknöpfen. Scipio, wasch dir die Hände, wenn du die Katze angefasst hast, Scipio, tritt nicht in die Pfützen, Herrgott, sei doch nicht so ungeschickt, Scipio, halt den Mund, davon verstehst du nichts, dummer kleiner Kinderkäfer, unnützes Irgendwas.« Scipio sah Morosina an. »In der Schule haben sie uns die Geschichte von Peter Pan vorgelesen, kennst du sie? Er ist so ein Dummkopf, und du und dein Bruder, ihr seid genauso. Macht euch wieder zu Kindern, damit sie euch herumschubsen und auslachen können! Ja, ich will auch auf dem Karussell fahren, nur deshalb hab ich mich auf eure Insel geschlichen, aber ich will in die andere Richtung fahren. Ich will erwachsen sein, erwachsen, erwachsen, erwachsen!« Scipio stampfte so heftig mit dem Fuß auf, dass er einen der kleinen Soldaten zertrat. »Entschuldigung!«, murmelte er und starrte das zerbrochene Ding an, als hätte er etwas Schreckliches angerichtet.
Renzo bückte sich und warf die Teile ins Feuer. Dann
blickte er Scipio nachdenklich an. Im Kamin zerbarst ein Holzscheit, Funken sprühten auf die Fliesen und verglühten zwischen dem herumliegenden Spielzeug. »Ich zeige euch das Karussell«, sagte Renzo. »Und wenn ihr wollt, könnt ihr darauf fahren.«
Die Karussel
Prosper spürte, dass Scipio vor Ungeduld zitterte, als sie Renzo durch das große Portal nach draußen folgten. Er selbst wusste nicht, ob er aufgeregt war. Alles kam ihm seltsam unwirklich vor, seit sie die Insel betreten hatten. Wie ein Traum. Und er hätte nicht sagen können, ob es ein guter oder ein böser Traum war. Morosina kam nicht mit ihnen. Sie blieb oben zwischen den Säulen stehen und sah ihnen nach, die Hunde an ihrer Seite. Renzo ging mit Prosper und Scipio zu einem Laubengang hinter dem Haus, von dessen hölzernen Streben erfrorene Herbstblätter hingen. Der Gang führte zu einem Labyrinth, auf dessen verschlungenen Wegen die Vallaresso sich früher wohl die Zeit vertrieben hatten. Jetzt waren die Hecken zwischen den Wegen verwildert und das Labyrinth zu einem fast undurchdringlichen Dickicht geworden. Trotzdem zögerte Renzo nur selten, als er Prosper und Scipio hindurchführte. Aber einmal blieb er plötzlich stehen und lauschte. »Was ist?«, fragte Scipio.
Der Klang einer Glocke hallte durch die kalte Luft, es hörte sich an, als läute sie jemand heftig und ungeduldig.
»Das ist die Glocke am Tor«, sagte Renzo. »Wer kann das sein? Barbarossa wollte erst morgen kommen.« Er sah besorgt aus. »Barbarossa?« Prosper sah ihn überrascht an. Renzo nickte. »Ich habe euch doch gesagt, es war seine Idee, euch mit Falschgeld zu bezahlen. Er hat es mir auch besorgt. Aber der Rotbart lässt sich für solche Dienste natürlich bezahlen. Morgen will er sich seinen Lohn abholen. Das alte Spielzeug. Er hat schon lange ein Auge darauf geworfen.«
»So ein Mistkerl!«, murmelte Prosper. »Dann hat er also von Anfang an gewusst, dass wir nur Falschgeld für den Auftrag bekommen.«
»Macht euch nichts draus! Auf Barbarossa fällt jeder herein«, sagte Renzo und lauschte noch einmal. Aber die Glocke war verstummt. Nur die Hunde bellten. »Wahrscheinlich ein Touristenboot«, murmelte Renzo. »Morosina erzählt immer, wenn sie in der Stadt ist, scheußliche Geschichten über die Insel, trotzdem verirrt sich ab und zu ein Boot hierher. Aber die Doggen verscheuchen selbst die Neugierigsten.«