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»Er hat den Hunden vergiftetes Fleisch hingeworfen!«, rief er und sprang auf das Podest, aber Barbarossa schubste ihn ärgerlich wieder hinunter.

»Na und? Sie werden es überleben!«, rief er. »Sollte ich mich von diesen Höllenhunden fressen lassen? Diese Biester haben mir oft genug einen Todesschreck eingejagt!«

»Lauf und gib ihnen Brechwurz!«, sagte Renzo zu Morosina, ohne den Rotbart aus den Augen zu lassen. »Im Stall ist noch etwas.«

Morosina rannte davon. Barbarossa blickte ihr selbstzufrieden nach.

»Diese Ungeheuer haben es nicht besser verdient, glauben Sie mir, dottore«, sagte er zu Scipio. »Wissen Sie, ob es gleichgültig ist, auf welche Figur man sich setzt?«

»Nimm den Löwen, Rotbart!«, sagte Renzo und starrte Barbarossa feindselig an. »Der dürfte als Einziger dein Gewicht aushalten.«

Barbarossa warf ihm einen verächtlichen Blick zu, aber er stapfte auf den Löwen zu. Als er seinen dicken Leib hinaufhievte, ächzte das Holz, als wäre der Löwe lebendig geworden. »Fabelhaft!«, stellte Barbarossa

zufrieden fest und blickte auf die Umstehenden hinab wie ein König von seinem Streitross. »Von mir aus kann die Probefahrt beginnen.«

Scipio nickte und legte Renzo und Prosper die Hände auf die Schultern. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Verschafft Signor Barbarossa den Ritt, den er verdient hat.«

»Aber erst einmal nur eine Runde!« Barbarossa

rutschte aufgeregt noch etwas nach vorn und

klammerte sich mit seinen beringten Fingern an die Stange. »Man kann ja nie wissen. Vielleicht ist doch etwas an den Geschichten dran, und ich will mich ja nicht«, verächtlich wies er auf Renzo, »in einen Knirps wie den da verwandeln. Aber ein paar Jährchen«, er lachte und strich sich über den kahlen Kopf, »wer wäre die nicht gern los, nicht wahr, Dottore?« Scipio beantwortete das mit einem Lächeln. »Renzo, Prosper, einen besonders kräftigen Stoß für Signor

Barbarossa!«, befahl er.

Prosper und Renzo traten auf das Karussell zu. Renzo legte die Hand dem Wassermann auf den Rücken, Prosper stemmte die Arme gegen das Einhorn. »Festhalten, Rotbart!«, rief Renzo. »Das wird der Ritt deines Lebens!«

Das Karussell setzte sich mit einem so heftigen Ruck in Bewegung, dass das Einhorn dem Löwen in den Nacken zu springen schien. Erschrocken klammerte Barbarossa sich an die Stange. »Hoppla, nicht so heftig!«, rief er, aber das Karussell drehte sich schneller und schneller, »Halt!«, brüllte Barbarossa. »Halt! Mir wird übel!« Aber die Figuren wirbelten weiter im Kreis herum, noch eine Runde und noch eine.

»Verfluchtes Teufelsding!«, schrie Barbarossa, und Prosper schien es, als klänge seine Stimme schon heller.

»Spring ab, Rotbart!«, rief Renzo. »Spring ab, wenn du dich traust!«

Aber Barbarossa sprang nicht. Er schrie, er schimpfte, er rüttelte an der Stange, trat gegen den Löwen, als könnte er so die rasende Fahrt bremsen. Und plötzlich passierte es.

Auf der verzweifelten Suche nach Halt stemmte Barbarossa die Füße gegen die Flügel des Löwen. Scipio, Renzo, Prosper, alle drei hörten, wie das alte Holz brach. Fürchterlich klang das Spleißen, fast, als ginge etwas Lebendiges entzwei.

»Nein!«, hörte Prosper Renzo schreien, aber da war schon nichts mehr zu retten.

Der Flügel schleuderte durch die Luft, prallte dem Wassermann gegen die grüne Brust und landete polternd auf dem hölzernen Podest. Von dort schlitterte er hinunter, traf Prosper so heftig am Arm, dass er aufschrie, und verschwand in den Büschen. Schlingernd drehte das Karussell eine letzte Runde, dann kamen die Figuren ächzend zum Stehen. Und regten sich nicht mehr. »Madonna!«, hörte Prosper eine Stimme jammern. »Was war das? Was für ein dreimal verfluchter Höllenritt!« Vom Rücken des geflügelten Löwen rutschte mit schlotternden Beinen ein Junge. Stöhnend taumelte er zum Rand des Holzpodests, stolperte über seine Hosenbeine - und starrte erstaunt auf seine Finger: kurze dicke Finger, mit rosigen Fingernägeln.

Ein Paar Runden zu viel

»Er hat es zerbrochen!«, rief Renzo. Er sprang auf das Podest, stieß den geschrumpften Barbarossa so unsanft zur Seite, dass er fast hinfiel, und beugte sich über den Löwen. Idas Flügel saß immer noch fest an seinem Platz, aber von dem rechten war nur noch ein Stumpf übrig. Verzweifelt blickte er zu Prosper und Scipio hinunter. Dann, als wäre ihm wieder eingefallen, wer verantwortlich war für dieses Unglück, stürzte er auf Barbarossa zu, der immer noch ungläubig seine Finger anstarrte.

»Du dreimal verfluchter Schuft!«, schrie Renzo und gab Barbarossa einen Stoß vor die Brust, dass er rückwärts gegen das Seepferd stolperte. »Du schleichst dich auf meine Insel, du vergiftest meine Hunde, du bedrohst meine Schwester, und nun hast du auch noch zerstört, worauf ich mein halbes Leben verwandt habe!«

»Es hat nicht angehalten!«, zeterte Barbarossa und hielt sich schützend die Arme über den Kopf, aber Renzo schlug blind vor Wut auf ihn ein, bis Prosper auf das Podest sprang und ihn zurückzerrte, mit einer Hand. Sein anderer Arm schmerzte immer noch von dem Zusammenprall mit dem Flügel. Renzo ließ widerstandslos die Fäuste sinken und starrte den verstümmelten Löwen an. Auch Scipio stand da wie versteinert. Zögernd, als fürchte er sich vor dem, was er dort finden würde, ging er zu dem Busch, in den der

Flügel geschleudert worden war, und zerrte ihn zwischen den Zweigen hervor.

»Wir werden einen neuen Flügel schnitzen lassen, Renzo!«, sagte er und strich über das zersplitterte Holz. Renzo trat auf den Löwen zu und presste das Gesicht gegen die hölzerne Mähne. »Nein«, sagte er. »Was glaubt ihr, warum ich so lange nach dem zweiten Flügel gesucht habe? Es heißt, der Conte Vallaresso hat mehr als dreißig Flügel schnitzen lassen, nachdem die Diebe den Löwenflügel verloren hatten. Aber ohne die echten Flügel ist es nur ein Karussell.«

»Unsinn, die anderen Figuren sind doch noch da!«, rief Barbarossa. »Was sollen die langen Gesichter?« Barfuß stand er da, Schuhe und Socken waren ihm bei seinem wilden Ritt von den Füßen geflogen, und die Ärmel seines Mantels schleiften auf dem Boden. Barbarossa war kleiner als Bo.

Als keiner ihm antwortete, zerrte er sich den Mantel von den Schultern, stieg aus den viel zu groß gewordenen Hosen und stolperte auf den Wassermann zu. Und als er auf den nicht hinaufkam, versuchte er es mit dem Seepferd. Aber die Figuren waren plötzlich riesig, zu hoch für einen kleinen, dicken Jungen, der immer schon etwas ungeschickt gewesen war.

»Spar dir die Mühe, Barbarossa«, sagte Prosper und hockte sich auf den Rand des Podests. »Du hast doch gehört, was Renzo gesagt hat. Es wird nicht mehr funktionieren.«

»Unsinn!«, schrie Barbarossa ihn an. »Stoßt es sofort noch mal an! Dottor Massimo!« Er lief zum Rand der Plattform zurück und trat fröstelnd von einem nackten Fuß auf den anderen. »Bitte, dottore! Machen Sie diesem unerhörten Kinderstreich ein Ende! Sehen Sie mich an. Ich bin ein bedeutender Mann, jeder in der Stadt kennt mich. Menschen aus aller Welt verkehren in meinem Laden! Soll ich denen etwa in dieser lächerlichen Gestalt entgegentreten?«

Scipio betrachtete immer noch den zersplitterten Flügel. »Ach, lass mich in Frieden, Barbarossa«, sagte er, ohne den Kopf zu heben. »Du verstehst gar nichts. Was hattest du hier überhaupt zu suchen? Du hast alles kaputtgemacht.«

»Aber dottore!«, zeterte Barbarossa.

»Ich bin nicht Dottor Massimo!«, fuhr Scipio ihn an. »Ich bin der Herr der Diebe.« Müde legte er den zerstörten Flügel auf das Podest des Karussells. »Und erwachsen bin ich jetzt auch. Aber irgendwie hast du mir die Freude daran verdorben. Verdammt noch mal, ich muss nachdenken.«