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»Na und? Die Biester werden nicht ewig leben«, hörte Prosper ihn murmeln, aber Renzo hatte sich schon umgedreht und war hinaus auf die Gasse getreten. Der Regen prasselte von den Dächern, als hätte der Himmel dem Meer versprochen, die Stadt zu ertränken.

Scipio trat ans Fenster und blickte Renzo nach, bis er zwischen den Häusern verschwunden war.

»Prop, du gehst doch bestimmt zurück zu Ida Spaventos Haus«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich werde dich hinbringen, in Ordnung?«

»Sicher. Du kannst bestimmt auch bei uns im Zimmer schlafen, zumindest die kommende Nacht«, sagte Prosper, aber Scipio schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er und schaute hinaus in den Regen. »Ich muss heute Nacht allein sein. Ich habe noch etwas Geld, davon werde ich mir ein Hotelzimmer mieten, mit einem großen Spiegel, damit ich mich an mein neues Gesicht gewöhnen kann. Vielleicht lass ich mir von Mosca auch etwas von dem Falschgeld geben. Für Notfälle. In welchem Hotel wohnt deine Tante?« »Gabrielli Sandwirth«, antwortete Prosper. Und überlegte, ob er nicht doch besser zuerst dorthin gehen sollte. »Lass uns erst zu Ida gehen, die anderen machen sich vielleicht schon Sorgen, wo du steckst«, sagte Scipio, als hätte er Prospers Gedanken erraten. »Und was ist mit mir?« Barbarossa drängte sich zwischen die beiden.

Prosper und Scipio hatten den Rotbart ganz vergessen.

Wie klein er aussah zwischen all den kostbaren und wertlosen Dingen, die er angesammelt hatte. Sein Ladentisch reichte ihm bis an die Schultern.

»Ihr könnt bei mir übernachten«, sagte er. »Meine Wohnung ist sehr, sehr groß und gleich über dem Laden.«

»Nein, danke«, antwortete Scipio und zog sich den Umhang enger um die Schultern. »Komm, Prop, lass uns gehen.«

»Moment, nicht so eilig! So wartet doch!« Barbarossa stolperte an ihnen vorbei und versperrte ihnen die Tür. »Ich werde euch begleiten!«, verkündete er. »Ich bleibe nicht hier, kommt nicht in Frage. Morgen sieht das bestimmt alles anders aus, aber jetzt.« Er blickte beunruhigt durch die nasse Scheibe nach draußen. »Bald wird es dunkel, das heißt, es ist schon abscheulich dunkel, der Regen scheint die Stadt fortspülen zu wollen und ich komme nicht mal an meinen Kühlschrank oder meine Kaffeekanne. Basta!« Er stieß Scipios Hände weg, als der nach der Klinke griff. »Ich komme mit. Nur bis morgen, wie gesagt.« Prosper und Scipio sahen sich ratlos an. Schließlich zuckte Prosper die Schultern. »Er kann in dem Bett für Bo schlafen«, sagte er. »Wenn's nur eine Nacht ist, wird Ida wohl nichts dagegen haben.«

Erleichterung machte sich auf Barbarossas immer noch rundem, aber gänzlich bartlosem Gesicht breit.

»Bin gleich zurück!«, verkündete er und holte einen gewaltigen Regenschirm. In seinem Schutz machten sie sich zu dritt auf den langen Weg zum Campo Santa Margherita. Das Boot seines Vaters ließ Scipio dort, wo er es vertäut hatte. Zwei Tage später fiel es der Wasserpolizei auf, und Dottor Massimo wurde mitgeteilt, dass das Boot, das er gestohlen gemeldet hatte, wieder aufgetaucht sei. Von seinem Sohn aber, dessen Verschwinden der dottore ebenfalls gemeldet hatte, fehle jede Spur.

Fremde Gäste

Scipio hatte Recht, die anderen machten sich Sorgen um Prosper, furchtbare Sorgen.

Sie erinnerten sich alle an sein verzweifeltes Gesicht bei ihrem letzten gemeinsamen Essen. Und dass nicht mal Wespe ihn hatte trösten können. Vor Bo verbargen sie, so gut es ging, wie besorgt sie waren, und Wespe versuchte ihn zu überreden, doch lieber bei Lucia und den Katzen zu bleiben, statt mit nach Prosper zu suchen. Aber Bo schüttelte nur den Kopf, klammerte sich an Victors Hand und kam mit.

Zuerst versuchten sie es noch einmal beim Sandwirth, dann fragten sie bei den Carabinieri nach, in den Kranken- und Waisenhäusern. Giaco fuhr mit Idas Boot die Kanäle ab und zeigte den Gondolieri Prospers Foto, Mosca und Riccio fragten auf den Vaporetti nach ihm. Aber als der Regen kam und der Himmel so dunkel wurde, als hätte selbst die Sonne sich einen trockeneren Ort gesucht, fehlte von Prosper immer noch jede Spur. Ida und Wespe kehrten als Erste zum Haus zurück, sie wussten einfach nicht, wo sie noch suchen sollten. Auf dem Campo Santa Margherita trafen sie Victor, mit dem schlafenden, klitschnassen Bo auf dem Rücken. Ida brauchte Victor nur ins Gesicht zu schauen, um zu sehen, dass er ebenso wenig Erfolg gehabt hatte wie sie. »Wo kann der Junge bloß stecken?«, seufzte sie, als sie die Haustür aufschloss. »Lucia ist noch mal zu dem Kino gegangen, sie müsste auch bald zurückkommen.«

Wespe war so müde, dass sie den Kopf gegen Idas Rücken lehnte. »Vielleicht hat er sich auf irgendein Schiff geschlichen«, murmelte sie, »und ist längst weit, weit weg.« Aber Victor schüttelte den Kopf.

»Glaub ich nicht«, sagte er. »Ich werde Bo jetzt in sein Bett legen, etwas essen, ein Glas von Idas Portwein trinken und dann noch mal bei Dottor Massimo vorbeigehen. Vielleicht hat Scipio ja von Prosper gehört. Ich habe schon etliche Male versucht dort anzurufen, aber es nimmt niemand ab.«

Ida stieß die Haustür auf. »Ja, das wäre noch eine Möglichkeit«, sagte sie - und blieb in der offenen Tür stehen. »Was ist?«, fragte Victor. Und hörte es auch. Aus der Küche schallten Stimmen den Flur hinunter. »Giaco?«, fragte Victor, aber Ida schüttelte den Kopf. »Der ist nach Murano gefahren.«

»Ich könnte spionieren gehen«, flüsterte Wespe. »Nein, das übernehme ich!«, raunte Victor und legte Bo vorsichtig in einem Sessel neben der Haustür ab. »Ihr zwei bleibt hier bei Bo, während ich mir unsere Besucher ansehe. Wenn es Ärger gibt«, er gab Ida sein Handy, »ruft ihr die Polizei.« Aber Ida gab das Telefon an Wespe weiter. »Ich komme mit«, flüsterte sie. »Die sitzen schließlich in meiner Küche.« Victor seufzte, aber er versuchte nicht Ida davon abzubringen. Besorgt blickte Wespe den beiden nach, als sie den dunklen Flur hinunterschlichen.

Die Küchentür stand offen, und an dem großen Tisch, auf dem Lucia sonst ihren Nudelteig ausrollte, saßen zwei Jungen und ein hoch gewachsener Mann, der zu Victors Verwunderung aussah wie eine jüngere Ausgabe des ehrenwerten Dottor Massimo. Der kleinere der beiden Jungen war kaum so alt wie Bo, hatte rostrote

Locken und wollte gerade nach der halb leeren Portweinflasche greifen, die zwischen den dreien stand, aber der andere Junge zog sie ihm weg. Er saß mit dem Rücken zur Tür. Als er den Kopf zur Seite wandte, stieß Ida einen so erleichterten Seufzer aus, dass er sich erschrocken zu ihr umdrehte.

»Verflucht noch eins, Prosper!«, polterte Victor los. »Weißt du, seit wann wir dich suchen?«

»Hallo, Victor.« Prosper schob zerknirscht seinen Stuhl zurück. Er trug den linken Arm in einer Schlinge.

Die anderen beiden ließen hastig wie Kinder, die man bei etwas Verbotenem ertappt hat, die Gläser sinken. Der junge Mann versuchte sogar das seine unter dem Tisch zu verbergen und goss sich den Portwein dabei über die dunkle Hose.

»Wie seid ihr hereingekommen?«, fragte Ida Prosper, ohne seine beiden Begleiter aus den Augen zu lassen. »Lucia hat mir gesagt, wo sie ihren Ersatzschlüssel versteckt«, antwortete Prosper verlegen.

»So, so, und da schleppst du gleich noch mehr Leute in Idas Haus.« Victor warf dem jungen Mann einen argwöhnischen Blick zu. »Ich wette, Sie heißen mit Nachnamen Massimo«, knurrte er. »Und was ist mit dem Zwerg da? Gibt es in diesem Haus noch nicht genug Kinder?«

Der kleine Rothaarige richtete sich mit einem Ruck auf, musterte Victor vom Kopf bis zu den ausgetretenen Schuhen und lallte: »Zwerg? Ich bin Ernesto

Barbarossa, ich bin ein wichtiger Mann in dieser Stadt, aber wer, Pest und Fäulnis, sind Sie, wenn ich fragen darf?«