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»Sehr komisch!« Barbarossa pflückte sich mit angewiderter Miene ein Katzenhaar von der Hose. Bo hatte sie ihm geliehen. »Was ist, wenn sie geizig ist? Dann nützt mir ihr Geld gar nichts. Zur Schule darf sie mich natürlich auch nicht schicken, Ernesto Barbarossa setzt sich nicht zwischen eine Herde lärmender Rotzgören, die A nicht von B unterscheiden können! Was ist, wenn diese Esther das nicht begreift?«

»Dann«, sagte Wespe und trat mit honigsüßem Lächeln auf ihn zu, »wird sich bei den Barmherzigen Schwestern bestimmt noch ein Bett für dich finden.« »Ihr könnt gleich mal bei ihnen nachfragen«, sagte Ida. »Ich wollte dich und Prosper nämlich bitten, etwas bei den Schwestern abzuholen.«

»Abholen? Was denn?«, fragte Barbarossa argwöhnisch. Aber Ida legte nur den Finger an die Lippen. »Das ist noch ein Geheimnis«, sagte sie. »Aber du wirst es früh genug erfahren, Barbarino.«

Esther

Esther kam allein. Sie ging direkt an dem Cafe vorbei, in dem Prosper mit den anderen saß, ohne zu ahnen, wer ihr durch eins der Fenster nachblickte. Sobald die

Zeiger von Idas Küchenuhr auf drei zurückten, hatte Victor die Kinder aus dem Haus gescheucht, alle, bis auf Barbarossa.

»Was guckst du so?«, fragte Wespe, als sie merkte, wie Prosper durch die Scheibe nach draußen starrte.

»Sie ist wirklich gekommen«, antwortete Prosper, ohne Esther aus den Augen zu lassen.

»Deine Tante?« Neugierig lehnte Wespe sich über seine Schulter. »Das ist sie?« Prosper nickte.

»Wer?«, fragte Bo, den Mund voll Eiscreme. Einen Riesenbecher hatte er sich bestellt, den gleichen wie Riccio, nur dass der schon den zweiten verschlang. »Niemand«, murmelte Prosper und beobachtete, wie Esther auf Idas Haus zuging. Sie trug hohe Gummistiefel und von ihrem Schirm tropfte der Regen. »Ich hab sie mir ganz anders vorgestellt«, flüsterte Wespe Prosper zu. »Größer - und irgendwie finsterer.« »He, magst du dein Eis nicht, Prop?«, fragte Riccio und leckte sich etwas Schokoladeneis von der Nasenspitze. »Soll ich es essen?«

»Lass ihn in Ruhe, Riccio«, sagte Wespe.

Als Esther an der Tür von Idas Haus klingelte, öffnete ihr eine dicke, mürrisch dreinblickende Nonne, die sie wortlos anwies, ihr zu folgen. Fast eine Stunde hatte Ida betteln müssen, bis Lucia sich die geliehenen Nonnenkleider über den Kopf gezogen hatte, aber jetzt bot sie einen wirklich beeindruckend echten Anblick. Mit energischen Schritten führte sie ihren Gast zu dem Raum, der sonst als Wäschezimmer und Vorratslager diente. Lucias Bügelbrett, die Wasserflaschen und Mehlvorräte waren verschwunden, stattdessen standen ein Schreibtisch da, den Victor unter lautem Fluchen vom Dachboden heruntergeschleppt hatte, ein paar schlichte Stühle und ein großer Kerzenleuchter. Die kahlen weißen Wände schmückte nur das Bild der Madonna mit Kind, das sonst in Idas Küche hing.

»Signora Hartlieb, wie ich annehme«, sagte Ida und erhob sich hinter dem Schreibtisch, als Lucia Esther hereinließ. Neben Ida stand Victor, ohne Bart, ohne Verkleidung, einfach nur Victor, wie Esther ihn kannte. Ida dagegen trug, ebenso wie Lucia, die dunkle Tracht der Barmherzigen Schwestern. »Sag Signora Spavento, die Sachen müssen unbedingt noch vor der Dunkelheit zurück sein«, hatte die Nonne geflüstert, die Prosper die Kleider durchs Portal des Waisenhauses gereicht hatte. Und dabei hatte sie so schuldbewusst ausgesehen, als begehe sie ein Verbrechen. Aber was tat man nicht alles für die nette, großzügige Signora Spavento. »Setzen Sie sich doch bitte, Signora Hartlieb«, sagte Ida, als Esther zögernd auf sie zutrat, und wies mit ernstem Gesicht auf die angestaubten Stühle. »Ihr Mann konnte nicht kommen?«

»Nein, er hat beruflich zu tun und war unabkömmlich. Schließlich reisen wir übermorgen ab.«

Victor beobachtete, wie Esther Hartlieb sich setzte, den Rock über die Knie zog und sich unbehaglich in dem kahlen Raum umsah. Als sie seinen Blick bemerkte, nickte er ihr zu. »Signor Getz kennen Sie ja«, sagte Ida und nahm wieder hinter dem Schreibtisch Platz, »ich habe ihn hergebeten, nachdem die Polizei mir erzählt hatte, dass er von Ihnen mit der Suche nach Ihren Neffen betraut worden war. Im Übrigen ist er ein guter Freund des Klosters.«

Esther sah Victor an, als wäre sie nicht sicher, ob seine Anwesenheit gut oder schlecht für sie war. Dann drehte sie sich wieder zu Ida um.

»Warum haben Sie mich hergebeten?«, fragte sie und strich sich den Rock glatt.

»Nun, das ist doch wohl offensichtlich, Signora«, antwortete Ida nachsichtig. »Wir müssen uns um sehr viele Kinder kümmern, und das Geld, das uns dafür zur Verfügung steht, ist knapp bemessen, sehr knapp.

Wenn wir also, wie im Falle Ihrer Neffen, erfahren, dass es Angehörige gibt.«

»Ich bin nicht mehr bereit, mich um die beiden zu kümmern!«, unterbrach Esther sie schroff. »Ich war dazu bereit, doch der Kleine.«, sie griff sich nervös ans Ohrläppchen, ». sicherlich hat Signor Getz Ihnen bereits erzählt, was wir mit ihm durchmachen mussten. Vielleicht hat Bo Sie ja auch mit seinem Engelsgesicht getäuscht, aber ich bin geheilt. Er ist trotzig, launisch und bissig wie ein kleiner Hund. Kurz und gut.«, sie holte tief Luft, »es tut mir Leid, aber selbst meiner verstorbenen Schwester zuliebe bin ich nicht mehr bereit ihn aufzunehmen, und in unserer Familie gibt es auch sonst niemanden, der bereit wäre, einen der zwei Jungen zu nehmen. Wenn Sie also die beiden hier behalten können. schließlich wollten sie ja unbedingt in diese Stadt. Das wenige Geld, das ihre Mutter hinterlassen hat, stellt die Familie sicherlich gern Ihrem Waisenhaus zur Verfügung.« Ida nickte nur. Mit einem tiefen Seufzer faltete sie die Hände auf dem Schreibtisch. »Das ist wirklich alles sehr bedauerlich, Signora Hartlieb«, sagte sie und warf einen Blick zur Tür. Victor hatte es natürlich auch gehört. Auf dem Flur näherten sich Schritte, genau nach Plan. Dann klopfte es. Esther Hartlieb sah sich um.

»Ja, bitte?«, rief Ida.

Die Tür ging auf, und Lucia schob Barbarossa in den Raum. »Der Neue hatte schon wieder Ärger, Schwester!«, verkündete sie und musterte den Rotschopf, als betrachte sie eine haarige Spinne oder irgendein anderes beunruhigendes Tier. »Ich kümmere mich darum«, antwortete Ida, und Lucia verließ mit mürrischem Gesicht den Raum.

Klein und verloren blieb Barbarossa vor der Tür stehen. Als er Esther Hartliebs neugierigen Blick bemerkte, schenkte er ihr ein verzagtes Lächeln.

»Entschuldigen Sie, Signora Hartlieb«, sagte Ida. »Aber dieser Junge ist noch ganz neu bei uns und hat viel Kummer mit den anderen. Sie haben dich also schon wieder geärgert, Ernesto?« Barbarossa nickte und warf einen unauffälligen Seitenblick in Esthers Richtung. Dann schluchzte er los, erst leise, dann immer heftiger. »Hätten Sie wohl ein Taschentuch für mich, Mutter Ida?«, schniefte er. » Sie haben mir wieder meine Bücher weggenommen.«

»O nein!« Ida griff in ihre schwarze Tracht, aber Esther war schneller. Mit verlegenem Lächeln reichte sie Barbarossa ihr spitzenverziertes Taschentuch.

»Grazie, signora«, murmelte er und tupfte sich die Tränen von den langen Wimpern.

Victor warf einen unauffälligen Blick in Esthers Richtung und stellte fest, dass sie kaum die Augen von dem kleinen Rotschopf lassen konnte.

»Geh zu Schwester Caterina, Ernesto«, wies Ida Barbarossa an, »und richte ihr aus, dass sie den anderen deine Bücher wieder abnehmen soll. Außerdem soll sie sie zur Strafe auf ihre Zimmer schicken.« Barbarossa schniefte wohlerzogen leise in Esthers Taschentuch und nickte. Dann ging er mit zögernden Schritten zur Tür. »Mutter Ida?«, nuschelte er, als er schon die Hand auf der Klinke hatte. »Dürfte ich erfahren, wann wir endlich den Ausflug ins Accademia- Museum machen? Ich würde mir so gern noch einmal die Bilder von Tizian ansehen.«