Der zweite Stein explodierte wie der erste, aber diesmal hatte alle Schüler eine Abschirmung um sich gewoben. Taim ebenfalls, und zwar eine, die sowohl ihn wie auch Rand schützte. Wortlos griff Rand wieder nach Saidin und wob seinen eigenen Schild, wobei er den Taims nach außen hin wegschob. Taims verzog den Mund in dem schwachen Anflug eines Lächelns.
»Ihr sagtet, ich solle Druck machen, mein Lord Drache, also mache ich Druck. Ich lasse sie alles mit Hilfe der Macht bewerkstelligen, selbst die Alltagsarbeiten, alles. Der neueste Ankömmling hat gestern abend seine erste warme Mahlzeit bekommen. Wenn sie ihr Essen nicht selbst mit Hilfe der Macht aufwärmen, müssen sie eben kalt essen. In den meisten Fällen dauert alles immer noch doppelt so lange wie mit der Hand, aber sie erlernen den Gebrauch der Macht so schnell es nur geht, glaubt mir. Natürlich sind es noch nicht besonders viele.«
Rand beachtete die unausgesprochene Frage nicht und blickte sich um. »Wo steckt Haslin? Hoffentlich ist er nicht wieder betrunken? Ich hatte Euch doch befohlen, daß er nur am Abend etwas Wein bekommt.« Henre Haslin war Schwertmeister in der Königlichen Garde gewesen und hatte die Rekruten ausgebildet. Rahvin hatte die Gardisten ausgetauscht und jeden weggeschickt, der Morgase die Treue hielt, oder sie einfach nach Cairhien beorderte, um sie im Bürgerkrieg loszuwerden. Haslin war zu alt gewesen, um ihn noch einmal auf Kriegszug zu schicken, und so hatte man ihn ausgezahlt und hinausgeworfen. Als sich die Nachricht von Morgases Tod in Caenmlyn herumgesprochen hatte, war er in den Weinkrug gekrochen, wie man hier sagte. Doch er glaubte, Rahvin — den er als Gaebril kannte — habe Morgase getötet, nicht Rand, und er war immer noch in der Lage, Rekruten auszubilden. Wenn er gerade nüchtern war.
»Ich habe ihn weggeschickt«, sagte Taim. »Wozu sind Schwerter schon gut?« Ein weiterer Steinbrocken explodierte. »Ich ersteche mich jedesmal fast selber, und vermißt habe ich das bestimmt niemals. Jetzt haben sie die Macht.«
Töte ihn! Töte ihn! hallte Lews Therins Stimme durch die Blase des Nichts. Rand stampfte die Glut des Echos aus, aber den Zorn konnte er nicht so leicht beseitigen, der sich mit einem Mal wie eine Hülle um die Leere gelegt hatte, die ihn umgab. Das Nichts ließ seine Stimme völlig gefühllos erklingen: »Sucht ihn, Taim, und holt ihn zurück. Sagt ihm, Ihr hättet Eure Meinung geändert. Sagt das auch den Schülern. Erklärt ihnen, was Ihr wollt, aber ich will ihn hier sehen und ihnen jeden Tag Unterricht erteilen lassen. Sie müssen ein Teil unserer Welt bleiben und sich nicht außerhalb stellen. Was sollen sie denn machen, wenn sie die Macht nicht benützen können? Als Euch die Aes Sedai abgeschirmt hatten, hättet Ihr immer noch entkommen können, wärt Ihr in der Lage gewesen, ein Schwert zu gebrauchen oder mit Euren bloßen Händen zu kämpfen.«
»Ich bin ihnen entkommen. Hier bin ich.‹‹ »Einige Eurer Anhänger haben Euch befreit, wie ich hörte, sonst wärt Ihr in Tar Valon gelandet und genau wie Logain einer Dämpfung unterzogen worden. Diese Männer werden keine Anhänger gewinnen. Sucht Haslin.«
Der andere Mann verbeugte sich verbindlich. »Wie mein Lord Drache befiehlt. Ist mein Lord Drache aus diesem Grund gekommen? Haslin und Schwerter?« Eine schwache Andeutung von Verachtung lag in seiner Stimme, doch das ignorierte Rand.
»Es befinden sich Aes Sedai in Caemlyn. Es wird keine Ausfüge in die Stadt mehr geben — weder für Euch noch für die Schüler. Das Licht allein mag wissen, was geschieht, wenn einer von ihnen einer Aes Sedai begegnet und diese erkennt, was er ist.« Oder auch umgekehrt denn mit Sicherheit würde er sie erkennen. Möglicherweise würde er vor Schreck wegrennen oder zuschlagen, und beides würde ihn für sie wiederum kenntlich machen. Beides würde ihm zum Verhängnis werden. Rand hegte keine Zweifel, daß Verin und Alanna jeden der Schüler leicht wie ein Kind fesseln und abschirmen konnten.
Taim zuckte die Achseln. »Es ist für sie auch jetzt bereits machbar, mit dem Kopf einer Aes Sedai dasselbe anzustellen wie mit einem solchen Stein. Das Gewebe ist lediglich ein bißchen anders.« Er blickte sich um und erhob die Stimme: »Konzentriert Euch, Adley. Konzentriert Euch!« Der schlaksige Bursche —er schien nur aus Armen und Beinen zu bestehen —, der vor den anderen Schülern stand, fuhr zusammen und verlor den Kontakt mit Saidin. Dann griff er ungeschickt wieder nach der Quelle. Ein weiterer Stein explodierte, als Taim sich wieder Rand zuwandte. »Und was das betrifft, kann ich sie auch selbst ... beseitigen, falls Ihr das nicht fertigbringt.«
»Wenn ich ihren Tod wünschte, hätte ich sie getötet« Er glaubte, das fertigbringen zu können, falls sie versuchten, ihn zu töten oder einer Dämpfung zu unterziehen. Er hoffte es jedenfalls. Aber würden sie so etwas noch versuchen, nachdem ihn Alanne als Behüter an sich gebunden hatte? Das war etwas, was er Taim nicht sagen würde. Auch ohne auf Lews Therins Gemurmel zu hören, vertraute er dem Mann nicht in genügendem Maße, um ihm irgendeine Schwäche zu enthüllen, die er genausogut verbergen konnte. Licht, was habe ich Alanna gegen mich in die Hand gegeben? »Wenn die Zeit kommt, Aes Sedai zu töten, werde ich es Euch wissen lassen. Bis dahin wird sie niemand auch nur anschreien, außer, sie versucht, ihm den Kopf abzureißen. Ihr werdet Euch alle von jeglicher Aes Sedai so fern halten wie nur möglich. Ich wünsche keine peinlichen Vorfälle und nichts, was sie gegen mich aufbringen könnte.«
»Glaubt Ihr, daß sie nicht sowieso schon aufgebracht sind?« murmelte Taim. Wiederum beachtete Rand seine Worte nicht. Diesmal allerdings, weil er die Antwort selbst nicht kannte.
»Und ich will nicht, daß jemand stirbt oder einer Dämpfung unterzogen wird, weil sein Kopf zu geschwollen ist für seine Mütze. Bringt ihnen das auf jeden Fall bei. Ich mache Euch verantwortlich dafür.«
»Wie Ihr wünscht«, sagte Taim und zuckte erneut die Achseln. »Früher oder später werden welche von ihnen sterben, außer Ihr habt vor, sie für immer und ewig hier einzusperren. Doch selbst dann werden möglicherweise ein paar sterben. Das ist kaum zu vermeiden, wenn ich das Tempo der erforderlichen Lernprozesse nicht gewaltig verlangsame. Ihr müßtet sie auch nicht so treiben, wenn Ihr mich statt dessen auf die Suche schicken würdet.«
Da war es schon wieder. Rand musterte die Schüler. Ein verschwitzter Jüngling mit blaßblonden Haaren hatte große Schwierigkeiten, den Stein in die richtige Lage zu bringen. Immer wieder entglitt ihm Saidin, und so hüpfte der Stein in kurzen Sprüngen über den Boden. In ein paar Stunden würde der Planwagen vom Palast ankommen, in dem die neuen Bewerber saßen, die seit gestern eingetroffen waren. Vier waren es diesmal. Manchmal waren es auch nur drei oder gar zwei, obwohl sich die Anzahl in letzter Zeit erhöht hatte. Achtzehn, seit er vor sieben Tagen Taim hier hergebracht hatte, aber nur drei von ihnen besaßen das Talent um den Gebrauch der Macht zu erlernen. Taim behauptete, das sei eine stattliche Anzahl, wenn man einrechnete, daß sie nur einfach nach Caemlyn zogen, um es eben zu versuchen. Er hatte auch bereits mehrmals darauf hingewiesen, daß sie — sollte es so bleiben — in etwa sechs Jahren die gleiche Stärke erreichen würden wie die Weiße Burg. Rand allerdings mußte nicht erst daran erinnert werden, daß sie keine sechs Jahre Zeit hatten. Und er hatte nicht einmal Zeit, um sie etwas langsamer üben zu lassen.
»Wie würdet Ihr das angehen?«
»Ich würde Wegetore benützen.« Taim hatte das auf Anhieb aufgeschnappt. Er lernte bei allem, was ihm Rand zeigte, sehr schnell. »Ich kann zwei oder sogar drei Dörfer pro Tag besuchen. Zu Anfang wäre es einfacher, in die Dörfer zu gehen und nicht in die Städte. Ich würde Flinn den Unterricht anvertrauen. Trotz seiner gelegentlichen Unbeholfenheit, wie Ihr bemerkt habt, ist er von allem am weitesten fortgeschritten. Grady oder Hopwil oder Morr nähme ich mit. Ihr müßtet uns lediglich ein paar anständige Pferde besorgen. Die Mähre, die unsere Karren zieht, reicht dafür nicht ganz aus.«