»Aber was habt Ihr tatsächlich vor? Einfach hineinreiten und verkünden, daß Ihr Männer sucht, die mit der Macht umgehen können? Dann müßt Ihr schon Glück haben, wenn die Dorfbewohner nicht versuchen, Euch aufzuhängen.«
»Da kann ich wohl doch etwas subtiler vorgehen«, erwiderte Taim trocken. »Ich behaupte einfach, daß ich Männer für den Wiedergeborenen Drachen anwerbe.«
Etwas subtiler? Nicht viel jedenfalls. »Das sollte die Leute eigentlich davon abhalten, mir an die Kehle zu gehen, weil sie sich fürchten, und mir lange genug Zeit lassen, um alle zusammenzuholen, die dazu gewillt sind. Und alle jene werden abgeschreckt, die nicht bereit sind, Euch zu unterstützen. Ich nehme nicht an, daß Ihr Männer ausbilden wollt, die sich bei der ersten Gelegenheit gegen Euch wenden.« Er zog fragend eine Augenbraue hoch, wartete aber nicht auf die überflüssige Antwort. »Sobald ich sie in sicherer Entfernung vom Dorf habe, kann ich sie durch ein Tor hierherbringen. Ein paar geraten vielleicht in Panik, aber es sollte nicht zu schwierig sein, sie wieder zu beruhigen. Sobald sie sich einverstanden erklärt haben, einem Mann zu folgen, der die Macht benutzen kann, können sie kaum etwas dagegen einwenden, wenn ich sie ebenfalls daraufhin überprüfe. Diejenigen, die nicht bestehen, schicke ich nach Caemlyn weiter. Es wird Zeit, daß Ihr ein eigenes Heer aufstellt und Euch nicht nur auf andere verlaßt. Bashere könnte schließlich seine Meinung ändern. Das würde er auf jeden Fall, sollte Königin Tenobia ihm das befehlen. Und wer weiß schon, was diese sogenannten Aiel unternehmen werden?« Diesmal legte er eine Pause ein, doch Rand hielt den Mund. Er hatte ebenfalls schon an ähnliches gedacht, wenn auch sicher nicht über die Aiel, doch das mußte Taim nicht wissen. Nach einem Moment fuhr der Mann fort, als habe er das Thema niemals auch nur erwähnt. »Ich möchte Euch eine Wette anbieten. Den Einsatz bestimmt Ihr. Am ersten Tag, den ich mit der Suche verbringe, werde ich genauso viele Männer mit dem Talent finden, wie in einem ganzen Monat auf eigene Faust nach Caemlyn kommen. Sobald Flinn und ein paar der anderen soweit sind, daß sie auch ohne mich hinausgehen und weitersuchen können...« Er spreizte die Hände. »Ich werde für Euch in weniger als einem einzigen Jahr die gleiche Anzahl zusammenbekommen, wie sie der Weißen Burg zur Verfügung steht. Und jeder Mann ist eine Waffe.«
Rand zögerte. Taim losziehen zu lassen, war sicherlich ein Risiko. Der Mann war zu unbeherrscht. Was würde er tun, wenn er auf einer seiner Rekrutierungstouren auf eine Aes Sedai stieß? Möglich, daß er Wort halten und sie am Leben lassen würde, aber was, wenn sie herausbekam, wer er war? Und was, wenn sie ihn abschirmte und gefangennahm? Einen solchen Verlust konnte sich Rand nicht leisten. Er konnte nicht selbst Schüler ausbilden und auch noch nebenher alles andere erledigen, was er zu tun hatte. Sechs Jahre, um es der Burg gleichzutun. Falls die Aes Sedai diesen Ort nicht zuerst entdeckten und ihn mitsamt den Schülern vernichteten, bevor sie weit genug ausgebildet waren, um sich selbst zu verteidigen. Oder aber weniger als ein Jahr. Schließlich ruckte er. Lews Therins Stimme klang wie ein wahnwitziges Toben in großer Entfernung. »Ihr bekommt Eure Pferde.«
12
Fragen und Antworten
Also?« fragte Nynaeve so geduldig wie möglich. Es kostete sie Mühe, die Hände im Schoß liegen zu lassen, genauso wie das Stillsitzen auf ihrem Bett. Sie unterdrückte ein Gähnen. Es war noch früh am Morgen, und sie hatte die letzten drei Nächte schlecht geschlafen. Der geflochtene Käfig war leer; sie hatte den Singvogel wieder fliegen lassen. Sie wünschte, sie wäre genauso frei wie er. »Also?«
Elayne kniete auf ihrem Bett und hatte Kopf und Schultern aus dem Fenster gesteckt, um auf die winzige Gasse hinter dem Haus hinabblicken zu können. Von hier aus konnte sie gerade noch den hinteren Teil des Gebäudes erspähen, das sie als die ›Kleine Burg‹ bezeichneten, wo sich heute morgen die meisten der Sitzenden befanden, um die Abgesandte der Weißen Burg zu empfangen. Sie vermochte wirklich nicht viel zu erkennen, aber jedenfalls genug, um ein Stück des Wachgewebes zu bemerken, das die ehemalige Schenke zum Schutz gegen Lauscher umgab. Es war die Sorte von Wachgewebe, die jeden abblockte, der versuchte, mit Hilfe der Macht zu lauschen. Das war eine Notwendigkeit, wenn zu viele diese Fertigkeiten erlernt hatten.
Einen Augenblick später hockte sich Elayne mit Enttäuschung auf der Miene auf ihre Fersen. »Nichts. Du hast doch behauptet, solche Stränge könnten unbemerkt durchschlüpfen. Ich glaube nicht, daß mich jemand bemerkt hat, aber ich habe gewiß auch nichts hören können.«
Das letztere war an Moghedien gerichtet die auf ihrem Korbhocker in einer Ecke saß. Es ärgerte Nynaeve maßlos, daß diese Frau niemals schwitzte. Sie hatte behauptet, es nehme einige Zeit in Anspruch, bis man lange genug mit der Macht gearbeitet hatte, um sich soweit von allem Äußeren lösen zu können, daß man Hitze oder Kälte einfach ignorierte. Das war auch nicht besser als das vage Versprechen der Aes Sedai, es werde schließlich ganz von selbst geschehen. Nynaeve und Elayne trieften vor Schweiß, während Moghedien kühl wie ein Vorfrühlingstag wirkte — und beim Licht, das wurmte sie! »Ich sagte lediglich, es sollte klappen.« Moghediens dunkle Augen huschten schuldbewußt von einer zur anderen, ihr Bild blieb aber dann an Elayne hängen. Sie konzentrierte sich immer auf diejenige, die gerade das Armband des A'dam trug. »Sollte. Es gibt Tausende verschiedener Wachgewebe. Es kann tagelang dauern, bis man ein Loch durch eines gesponnen hat.«
Nynaeve hielt den Mund, was ihr Mühe bereitete. Sie hatten es bereits tagelang versucht. Dies war der dritte Tag seit Tarna Feirs Ankunft, und der Saal hielt immer noch die von der Roten Schwester überbrachte Botschaft Elaidas geheim. Sicher, Sheriam und Myrelle und ihre Gruppe wußten Bescheid. Nynaeve hätte es nicht überrascht wenn sie bereits vor dem Saal alles erfahren gehabt hätten. Doch selbst Siuan und Leane hatte man von diesen täglichen Sitzungen ausgeschlossen. Jedenfalls hatten sie das zugegeben.
Nynaeve wurde bewußt, daß sie an ihrem Rock zupfte, und so zwang sie ihre Hände zum Stillhalten. Irgendwie mußten sie herausbekommen, was Elaida wollte, und — noch wichtiger — was ihr der Saal antwortete. Es mußte einfach sein. Irgendwie.
»Ich muß jetzt gehen«, seufzte Elayne. »Noch ein paar weitere Schwestern wollen sehen, wie ich einen Ter'Angreal anfertige.« Sehr wenige der Aes Sedai in Salidar besaßen das notwendige Geschick, aber alle wollten es erlernen. Die meisten schienen zu glauben, sie könnten es lernen, wenn ihnen Elayne nur recht oft zeigte, wie sie es machte. »Dann kannst du den auch gleich anlegen«, fügte sie hinzu und löste ihr Armband. »Ich will etwas Neues ausprobieren, wenn die Schwestern genug gesehen haben, und danach habe ich Unterricht bei den Novizinnen.« Sie hörte sich auch dabei nicht besonders glücklich an; jedenfalls nicht so begeistert wie vor dem ersten Mal. Nach jeder Unterrichtsstunde kehrte sie so gereizt zurück, daß sie beinahe wie eine Katze fauchte und die Haare sträubte. Die jüngsten Mädchen waren übereifrig und wollten immer gleich Dinge erreichen, von denen sie keine Ahnung hatten, ja, sie versuchten es oft ohne zu fragen; die ältesten waren wohl ein wenig vorsichtiger, hatten dafür jedoch ständig Einwände oder wehrten sich dagegen, Befehle von einer Frau entgegenzunehmen, die sechs oder sieben Jahre jünger war als sie selbst. So knurrte Elayne in letzter Zeit ständig Sachen wie: »Idiotische Novizinnen!« oder »Sture Närrinnen!«, ganz wie eine Aufgenommene, die schon zehn Jahre auf dem Buckel hatte. »So hast du wenigstens Zeit für Fragen. Vielleicht hast du auch mehr Glück als ich, wenn es darum geht, einen Mann zu spüren, der die Macht anwendet.«