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Es wäre Nynaeve egal gewesen, und hätte Nicola auch in diesem Augenblick Flügel ausgebreitet. Ihr war gerade eben bewußt geworden, daß sich auf dem Eßtisch der Aes Sedai weder Tintenfaß noch Sandschälchen, weder Feder noch Papier befanden. Nichts von dem, was sie zur Arbeit benötigen würde. Hätte sie diese Utensilien vielleicht selbst mitbringen sollen? Delana starrte sie immer noch an. Die Frau blickte doch sonst niemals so lange auf den gleichen Fleck! Sie blickte überhaupt nichts auf diese Art an, außer, sie hatte einen besonderen Grund dafür.

»Hättet Ihr gern gekühlten Pfefferminztee?« fragte Janya, und nun war Nynaeve damit an der Reihe, die Augen verblüfft aufzureißen. »Ich finde Tee wohltuend. Meiner Erfahrung nach fördert er die Gespräche.« Ohne auf eine Antwort zu warten, füllte die Braune Schwester, die so sehr wie ein Vogel wirkte, verschiedenartige Teetassen aus einer blaugestreiften Teekanne, die auf dem niedrigen Nebentischchen stand. Statt des einen Tischbeins hatte man einen Stein untergelegt. Die Aes Sedai hatten wohl mehr Platz, doch ihre Einrichtung war genauso ärmlich. »Delana und ich haben beschlossen, daß unsere Aufzeichnungen auch ein andermal noch niedergeschrieben werden können. Statt dessen werden wir uns unterhalten. Honig? Ich nehme auch lieber keinen. Diese Süße nimmt dem Tee allen Geschmack. Doch junge Frauen bestehen gewöhnlich auf ihrem Honig. Welch wunderbare Dinge habt Ihr doch vollbracht. Ihr und Elayne.« Ein lautes Räuspern ließ sie fragend Delana anblicken. Nach kurzem Zögern bemerkte Janya dann nur: »Ach. Ja.«

Delana hatte einen der Stühle, die sonst am Tisch standen, mitten auf den kahlen Fußboden gestellt, einen Stuhl mit einer Sitzfläche aus Korbgeflecht.

Einen einzigen. Von dem Augenblick an, als Janya eine ›Unterhaltung‹ erwähnt hatte, war Nynaeve klar gewesen, daß dies keineswegs alles sein würde. Delana deutete auf den Stuhl, und Nynaeve setzte sich ganz vor auf die Kante, wobei sie eine Tasse Tee auf einer angeschlagenen Untertasse von Janya entgegennahm und murmelte: »Dankeschön, Aes Sedai.« Sie mußte nicht lange warten.

»Berichtet uns von Rand al'Thor«, sagte Janya. Sie schien mehr sagen zu wollen, doch Delana räusperte sich erneut, woraufhin Janya blinzelte und nur noch schweigend an ihrem Tee nippte. Sie standen jede an einer Seite von Nynaeves Stuhl. Delana sah sie an, seufzte dann und ließ mit Hilfe der Macht die dritte Tasse durch den Raum in ihre eigene Hand schweben. Daraufhin fixierte sie Nynaeve wieder mit einem Blick, der Löcher in ihren Kopf zu bohren schien, während Janya gedankenverloren wirkte und sie möglicherweise überhaupt nicht richtig sah.

»Ich habe Euch bereits alles gesagt, was ich weiß«, seufzte Nynaeve. »Jedenfalls habe ich es den Aes Sedai berichtet.« Und das entsprach der Wahrheit. Nichts von dem, was sie wußte, konnte ihm schaden, jedenfalls nicht in höherem Maße als das bloße Wissen darum, was er war, und es könnte hilfreich sein, wenn sie die Schwestern dazu brachte, ihn als Mann zu betrachten. Nicht als Mann, der mit der Macht umgehen konnte, sondern nur einfach als Mann. Nicht gerade leicht, wenn es um den Wiedergeborenen Drachen ging. »Ich weiß nicht mehr als das.«

»Schmollt gefälligst nicht«, fauchte Delana. »Und weicht mir nicht aus.«

Nynaeve stellte ihre Tasse wieder auf die Untertasse und wischte sich das Handgelenk am Rock ab.

»Kind«, sagte Janya voller Mitgefühl, »ich weiß, Ihr glaubt, uns alles gesagt zu haben, was Ihr wißt, aber Delana... Ich kann nicht glauben, daß Ihr etwas absichtlich zurückhalten würdet...«

»Und warum nicht?« fuhr Delana sie an. »Im gleichen Dorf geboren. Mit ihm aufgewachsen. Ihre Loyalität gilt möglicherweise viel eher ihm als der Weißen Burg.« Dieser Rasiermesserblick konzentrierte sich wieder auf Nynaeve. »Berichtet uns etwas, das wir noch nicht gehört haben. Ich habe Eure sämtlichen Berichte gehört Mädchen, also weiß ich Bescheid und merke, wenn Ihr nur wiederholt.«

»Gebt Euch Mühe, Kind. Ich bin sicher, Ihr wollt nicht, daß Delana Euch böse ist. Also...« Janya schwieg, als ein erneutes Räuspern ertönte.

Nynaeve hoffte, sie würden das Klappern ihrer Teetasse so deuten, daß auch sie erschüttert sei. Verängstigt hierher geschleppt zu werden — nein, nicht verängstigt; aber doch zumindest besorgt, wie zornig die beiden wohl wären — und nun dies! Wenn man sich in der Nähe von Aes Sedai aufhielt, lernte man schnell, genau hinzuhören. Vielleicht erfuhr man auch dann noch nicht, was sie wirklich meinten, aber die Chancen standen auf jeden Fall besser als beim flüchtigen Hinhören, wie es die meisten Leute für gewöhnlich taten. Keine von beiden hatte behauptet, sie glaube, daß sie etwas zurückhielt. Sie wollten sie lediglich einschüchtern, in der Hoffnung, es werde etwas Neues dabei herauskommen. Sie ließ sich aber nicht einschüchtern. Jedenfalls nicht sehr. Statt dessen war sie wütend.

»Als er noch ein Junge war«, begann sie vorsichtig, »ließ er eine Bestrafung ohne Murren über sich ergehen, wenn er glaubte, sie verdient zu haben, aber wenn er nicht dieser Meinung war, kämpfte er jeden Moment dagegen an.«

Delana schnaubte: »Das habt Ihr jeder gesagt, die es hören wollte. Etwas anderes. Und plötzlich!«

»Ihr könnt ihn führen oder auch überzeugen, aber er läßt sich nicht herumschubsen. Er stemmt sich dagegen, wenn er glaubt, Ihr wolltet...«

»Genauso wie dies.« Die Hände auf die breiten Hüften gestützt beugte sich Delana herunter, bis ihr Gesicht sich auf gleicher Höhe wie Nynaeves befand. »Etwas, das Ihr noch nicht jeder Köchin und Wäscherin in Salidar erzählt habt.«

»Bemüht Euch doch, Kind«, sagte Janya, und ausnahmsweise beließ sie es dabei.

So bohrten sie immer weiter. Janya spornte sie mitleidig an, während Delana gnadenlos nachhakte, und Nynaeve berichtete jede Einzelheit, an die sie sich erinnern konnte. Es brachte ihr allerdings keine Erleichterung ein, denn sie hatte jede Einzelheit schon so oft erzählt, daß sie alles auswendig herleiern konnte, worauf sie Delana freundlich hinwies. Nein, nicht sehr freundlich. Als Nynaeve es schließlich schaffte, einen Schluck Tee zu trinken, schmeckte er abgestanden und so süß, daß es sie grauste. Janya glaubte offensichtlich wirklich, junge Frauen hätten gern jede Menge Honig drin. Der Vormittag verging langsam. Quälend langsam.

»Das bringt uns nicht weiter«, sagte Delana schließlich, wobei sie Nynaeve so böse ansah, als sei das ihre Schuld.

»Kann ich jetzt gehen?« fragte Nynaeve erschöpft. Jeder Tropfen Schweiß, der ihre Kleidung durchnäßte, schien aus ihr herausgequetscht worden zu sein. Sie fühlte sich schlapp. Und sie hätte gern diese beiden kühlen Aes-Sedai-Gesichter geohrfeigt.

Delana und Janya tauschten einen Blick. Die Graue zuckte die Achseln und ging hinüber zu dem Nebentischchen, um wieder eine Tasse Tee einzugießen. »Sicher könnt Ihr gehen«, sagte Janya. »Ich weiß, dies alles muß sehr schwer für Euch sein, aber wir müssen Rand al'Thor besser kennen als er sich selbst, um zu entscheiden, welche die beste Vorgehensweise ist. Ansonsten könnte alles in einer Katastrophe enden. Ach, ja. Ihr habt Eure Sache gut gemacht, Kind. Andererseits habe ich nicht weniger von Euch erwartet. Jede, die solche Entdeckungen fertigbringt wie Ihr und noch dazu mit dieser Behinderung ... also, ich erwarte wirklich nur das Beste von Euch. Und wenn man bedenkt...«

Sie brauchte noch eine ganze Weile, bis sie fertig war und Nynaeve hinaustaumeln ließ. Sie taumelte tatsächlich mit weichen Knien hinaus. Alle sprachen über sie. Klar, daß sie das taten. Sie hätte auf Elayne hören sollen und ihr all diese sogenannten Entdeckungen überlassen. Moghedien hatte recht. Früher oder später würden sie versuchen, herauszubekommen, wie sie das machte. Also wollten sie beschließen, welche die beste Vorgehensweise sei, um eine Katastrophe zu verhindern. Das gab ihr auch keinerlei Hinweis darauf, was sie mit Rand vorhatten.