»Ich kann dir alles verzeihen.« Es gab jetzt zwei Egwenes. Eine schmiegte sich zufrieden in Gawyns Arme, während er sie durch den Korridor eines Palastes trug, dessen Wände mit bunten Wandbehängen und großen Spiegeln mit herrlich verzierten Goldrahmen geschmückt waren. Die andere ritt im Kopf der ersten mit und beobachtete.
Das wurde langsam ernst. So sehr sie sich auch darauf konzentrierte, sich wieder draußen zu befinden, verblieb sie doch hier und beobachtete alles durch die Augen einer anderen Egwene. Schleunigst unterdrückte sie alle Neugier auf das, was Gawyn in bezug auf sie träumte. Diese Art von Anteilnahme war gefährlich. Sie sträubte sich gegen diesen Traum! Und doch änderte sich nichts.
Der Korridor erschien ihr beinahe real, als sie ihn betrachtete, obwohl alles, was sie aus den Augenwinkeln sah, leicht verschwommen blieb. Ihr eigenes Spiegelbild erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hätte sich gern umgedreht, um es zu betrachten, als sie vorbeikamen, doch sie war nur ein Passagier im Kopf der Frau aus Gawyns Traum. Sie war die Frau, deren Spiegelbild sie einen Moment lang gesehen hatte. Es gab keinen Zug an diesem Gesicht, auf den sie hätte deuten können und behaupten, er wiche von ihrem echten Gesicht ab. Trotzdem ergab das Ganze einen Eindruck... Schön, so konnte man sagen. Erstaunlich schön! Sah Gawyn sie etwa so?
Nein! Keine Neugier! Draußen!
Von einem Schritt zum nächsten wurde aus dem Korridor der von Blumen übersäte Abhang eines Hügels. Eine sanfte Brise trug ihr den starken Duft der Blüten zu. Die wirkliche Egwene fuhr innerlich zusammen. Hatte sie diese Änderung zuwege gebracht? Die Schranke zwischen ihr und der anderen wurde schwächer. Zornig konzentrierte sie sich erneut. Es war nicht wirklich; sie weigerte sich, dies alles als Wirklichkeit anzuerkennen; sie war sie selbst. Draußen. Sie wollte nach draußen und lediglich hineinblicken.
Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit seinen Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel. Sich auf etwas zu konzentrieren, fiel ihr sehr schwer. Sie beherrschte wohl den Körper nicht, in dem sie zu Gast war, doch sie teilte seine Gefühle, und seine Fingerspitzen schienen beinahe Funken in ihr auszulösen.
»Mein Herz ist dein«, murmelte er leise, »meine Seele, alles von mir.« Sein Mantel war scharlachrot und kunstvoll mit goldenen Blättern und silbernen Löwen bestickt. Er gestikulierte auf grandiose Weise, wobei er seinen Kopf oder seine Brust berührte. »Wenn ich an dich denke, ist kein Platz mehr für andere Gedanken. Dein Duft erfüllt mein Gehirn und bringt mein Blut zum Wallen. Mein Herz hämmert so, daß ich nicht hören würde, wenn die ganze Welt sich spaltete. Du bist meine Sonne und mein Mond und meine Sterne, mein Himmel und meine Erde, kostbarer für mich als das Leben oder der Atem oder...« Mit einem Mal hielt er inne und verzog das Gesicht. »Du klingst wie ein Narr«, knurrte er in sich hinein.
Egwene hätte ihm widersprochen, hätte sie ihre Stimmbänder unter Kontrolle gehabt Es war so schön, all dies zu hören, auch wenn alles ein wenig übertrieben war. Nur ein wenig.
Als er das Gesicht verzog, spürte sie eine Lockerung, aber schnipp.
Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit seinen Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel. Sie beherrschte wohl den Körper nicht, in dem sie zu Gast war, doch sie teilte seine Gefühle, und seine Fingerspitzen schienen beinahe Funken in ihr auszulösen.
Nein! Sie konnte es nicht zulassen, daß sie ein Teil seines Traums blieb!
Sein Gesicht war ein Abbild des Schmerzes, sein Mantel nüchtern grau. Seine zu Fäusten geballten Hände hatte er auf die Knie gelegt. »Ich habe kein Recht, so mit dir zu sprechen, wie ich möchte«, sagte er förmlich. »Mein Bruder liebt dich. Ich weiß, daß sich Galad vor Angst um dich verzehrt. Nicht zuletzt deswegen ist er ein Weißmantel, weil er glaubt, die Aes Sedai hätten dich mißbraucht. Ich weiß, daß er...« Gawyn schloß gequält die Augen. »Oh, Licht, hilf mir!« stöhnte er.
Schnipp.
Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit den Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel.
Nein! So verlor sie das letzte bißchen Kontrolle über die Lage! Sie mußte entfliehen! Wovor hast du eigentlich Angst? Sie konnte nicht mehr entscheiden, ob das ihr eigener Gedanke gewesen war oder der jener anderen Egwene. Die Schranke zwischen ihnen bestand nur noch aus einem Schleier. Das ist Gawyn. Gawyn.
»Ich liebe dich«, sagte er zögernd. Er hatte nun wieder den grünen Mantel an und sah nicht ganz so gut aus wie in Wirklichkeit. Er zupfte an einem der Knöpfe, bevor er die Hand wieder fallen ließ. Er sah sie an, als fürchte er sich vor dem, was er auf ihrer Miene entdecken könnte. Wohl verbarg er die Furcht, aber nicht sehr gut. »Ich habe das noch nie zu einer Frau gesagt, noch niemals auch nur sagen wollen. Du hast keine Ahnung, wie schwer es mir fällt, dir das zu sagen. Nicht, daß ich es gar nicht wollte«, fügte er hastig hinzu, wobei er eine Hand nach ihr ausstreckte, »aber es auszusprechen, und das ohne jede Ermutigung, ist so, als schleuderte ich mein Schwert weg und entblößte meine Brust dem Todesstoß. Nicht, daß ich ernsthaft glaubte, du könntest... Licht! Ich kriege das einfach nicht heraus. Gibt es einen Hoffnungsschimmer, daß du ... vielleicht ... mit der Zeit ... irgendein Gefühl ... für mich ... empfinden könntest? Etwas ... mehr als Freundschaft?«
»Du süßer Idiot!« Sie lachte leise. »Ich liebe dich.« Ich liebe dich warf ein Echo durch den Teil von ihr, der wirklich sie selbst war. Sie spürte, wie sich die Schranke auflöste, hatte einen Augenblick, um zu erkennen, daß es ihr gleich war, und dann gab es nur noch eine Egwene, eine Egwene, die überglücklich die Arme um Gawyn schloß.
Nynaeve saß im trüben Mondschein auf dem Hocker, hob die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu unterdrücken und blinzelte mit Augen, die ein Gefühl erweckten, als habe jemand Sand hineingestreut. Das mußte einfach klappen, jawohl! Sie würde einschlafen, während sie noch Theodrin guten Morgen sagte, wenn nicht schon früher. Ihr Kinn sank herab, und sie riß sich gewaltsam zusammen und sprang auf. Der Hocker war ihr bereits wie ein Stein vorgekommen, weil ihr Hinterteil völlig gefühllos geworden war, aber anscheinend reichte das auch nicht mehr aus. Vielleicht half ein kleiner Spaziergang? Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich zur Tür.
Plötzlich wurde die Nacht von einem fernen Schrei zerrissen, und gleichzeitig schlug der Hocker so hart gegen ihren Rücken, daß sie mit einem überraschten Aufschrei gegen die rauhe Tür prallte. Wie betäubt starrte sie den Hocker an, der nun umgekippt auf dem Boden lag. Eines der Beine stand schief weg.
»Was ist los?« rief Elayne und schoß auf dem Bett hoch.
Weitere Aufschreie und Rufe erschollen in Salidar, einige davon innerhalb des Hauses, in dem sie wohnten, und dazu war ein leichtes Rumpeln und Klappern hörbar, das von überall her gleichzeitig zu kommen schien. Nynaeves verlassenes Bett ratterte und rutschte dann einen Fuß weit über den Boden. Elaynes Bett bäumte sich auf und warf sie beinahe ab.
»Eine Blase des Bösen.« Nynaeve war selbst überrascht, wie kühl und sachlich ihre Stimme klang. Es hatte keinerlei Zweck, wild herumzurennen und mit den Armen zu fuchteln, obwohl sie innerlich genau das tat. »Wir müssen alle aufwecken, die noch schlafen.« Ihr war unverständlich, wie jemand bei diesem Lärm schlafen könne, aber diejenigen, die das fertigbrachten, würden möglicherweise sterben, bevor sie zu Bewußtsein kamen.