Выбрать главу

Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern eilte hinaus und riß die nächste Tür am Flur auf. Dann duckte sie sich, als eine weiße Waschschüssel genau dorthin flog, wo sich ihr Kopf einen Augenblick vorher befunden hatte, und anschließend an der Wand hinter ihr zersplitterte. Vier Frauen teilten sich dieses Zimmer und schliefen in zwei Betten, die ein wenig breiter waren als ihr eigenes. Nun lag ein Bett mit den Füßen nach oben da, und zwei Frauen bemühten sich, darunter hervorzukrabbeln. Auf dem anderen zuckten Emara und Ronelle, eine weitere Aufgenommene, wild umher und gaben erstickte Laute von sich. Ihr eigenes Bettuch hatte sich eng um sie geschlungen.

Nynaeve packte die erste Frau, die sie unter dem umgestürzten Bett hervorziehen konnte — eine hagere Dienerin namens Mulinda, die mit offenem Mund gaffte —, und schubste sie in Richtung der Tür. »Geht! Weckt alle im Haus, die noch schlafen und helft jeder, der ihr helfen könnt! Geht!« Mulinda stolperte hinaus, während Nynaeve ihre zitternde Bettgenossin auf die Beine zerrte. »Helft mir, Satina. Helft mir, Emara und Ronelle zu befreien.«

Sie zitterte leicht, aber die mollige Frau nickte und machte sich energisch ans Werk. Es ging natürlich nicht nur darum, ein Bettuch aufzuwickeln, es schien ein Eigenleben zu besitzen, wie eine Ranke, die sich solange zusammenzieht, bis das erdrückt ist, was sich darin befindet. Nynaeve und Satina konnten es gemeinsam kaum von den Kehlen der beiden Frauen wegreißen. Dann hob sich der Krug vom Waschtisch und krachte an die Decke. Satina zuckte zusammen und ließ los, und das Bettuch schnellte aus Nynaeves Händen, geradewegs wieder an die Kehlen der beiden Frauen. Deren Kampfkraft ließ langsam nach. Die eine gab ein Rasseln in der Kehle von sich, während von der anderen nichts mehr zu hören war. Selbst im schwachen Mondschein, der durch das geöffnete Fenster fiel, erschienen ihre Gesichter verschwollen und dunkel angelaufen.

Nynaeve packte das Bettuch mit beiden Händen, öffnete sich Saidar und erreichte nichts. Ich Öffne mich dir, verdammt! Ich öffne mich! Ich brauche die Macht! Nichts. Das Bett schrammte an ihre Knie und Satina quiekte auf. »Steht nicht so herum!« fauchte Nynaeve. »Helft mir!«

Schlagartig riß sich das Bettuch wieder aus ihrem Griff los, doch anstatt sich wieder um Emara und Ronelle zu wickeln, zog es so stark in die entgegengesetzte Richtung, daß sie übereinander purzelten. Es wickelte sich so schnell auf, daß das Auge der Bewegung kaum folgen konnte. Nynaeve bemerkte, daß Elayne in der offenen Tür stand; sie schloß den Mund, daß ihre Zähne aufeinanderschlugen. Das Bettuch hing nun an der Decke. Die Macht. Natürlich.

»Alle sind wach«, sagte Elayne und reichte ihr einen Umhang. Sie hatte sich bereits etwas über das dünne Nachthemd angezogen. »Ein paar Schwellungen und Schrammen, ein oder zwei schlimmere Schnittverletzungen, nach denen wir sehen müssen, wenn wir Zeit haben. Ich denke, jede wird in den nächsten paar Tagen Alpträume haben, aber das ist in etwa alles. Hier jedenfalls.« Immer noch durchschnitten Schreie und Rufe die Nacht. Satina fuhr noch einmal zusammen, als Elayne das Bettuch fallen ließ, aber es lag schlicht auf dem Boden. Allerdings rührte sich das umgestürzte Bett wieder mit einem Knarren. Elayne beugte sich über die ächzenden Frauen auf dem anderen Bett. »Ich glaube, ihnen ist nur schlecht. Satina, helft mir bitte, sie auf die Beine zu bringen.«

Nynaeve blickte finster den Umhang in ihrer Hand an. Klar, daß ihnen schwindlig und schlecht war, so, wie sie herumgebeutelt worden waren. Licht, sie war doch vollkommen nutzlos. Hereinzustürmen und das Kommando zu übernehmen. Ohne die Macht konnte sie niemandem nutzen.

»Nynaeve, würdest du mir helfen?« Elayne hielt eine wankende Emara aufrecht, während Satina Ronelle mehr oder weniger zur Tür schleppte. »Ich glaube, Emara wird sich gleich übergeben, und das besser draußen. Die Nachttöpfe dürften alle kaputt sein,« Dem Geruch nach hatte sie recht. Tonscherben scharrten über den Boden in dem Versuch, unter dem umgestürzten Bert hervorzurutschen.

Nynaeve steckte ärgerlich die Arme durch die Aussparungen im Umhang. Mittlerweile konnte sie die Wahre Quelle fühlen, ein warmes Glühen knapp außerhalb ihres Gesichtsfeldes, aber sie mißachtete das absichtlich. Sie war jahrelang ohne die Macht ausgekommen, also würde sie auch jetzt ohne sie auskommen. Sie zog sich Emaras freien Arm über die Schulter und half dabei, die stöhnende Frau in Richtung des Ausgangs zur Straße zu fuhren. Sie schafften es beinahe.

Als sie schließlich draußen waren und sie Emaras Gesicht abgewischt hatten, waren alle anderen bereits in Bademänteln oder welcher Kleidung auch immer vor dem Haus versammelt und drückten sich ängstlich aneinander. Der immer noch volle Mond, der an einem klaren Himmel hing, tauchte sie in einen hellen Schein. Aus den anderen Häusern rannten ebenfalls kreischende und schreiende Bewohner. Eine Latte in einem Zaun fing an zu wackeln, dann eine weitere. Plötzlich flog ein Eimer sich überschlagend die Straße entlang. Ein mit Feuerholz beladener Karren rollte mit einem Mal vorwärts. Die beiden Deichseln zogen seichte Furchen durch den harten Lehmboden. Von einem Haus weiter unten an der Straße erhob sich eine Rauchwolke und Stimmen begannen, nach Wasser zu rufen.

Eine dunkle Gestalt, die auf der Straße lag, zog Nynaeve an. Es war einer der Nachtwächter, nach der flackernden Laterne zu urteilen, die neben seiner ausgestreckten Hand lag. Sie sah, wie seine leblosen Augen im Mondschein glitzerten, sah das Blut, das sein Gesicht überströmt hatte und die klaffende Wunde an der Seite seines Kopfes, wo ihn etwas wie ein Axthieb getroffen hatte. Sie fühlte trotzdem nach seinem Hals, ob noch ein Pulsschlag zu spüren sei. Am liebsten hätte sie vor Zorn laut aufgeheult. Menschen sollten am Ende eines langen Lebens in ihren Betten sterben, von der Familie und Freunden umringt. Alles andere war Verschwendung von Leben. Reine verfluchte Verschwendung!

»Also habt Ihr heute nacht Saidar gefunden, Nynaeve. Gut.«

Nynaeve fuhr zusammen und blickte zu Anaiya hoch. Ihr wurde bewußt, daß sie tatsächlich Saidar in sich aufgenommen hatte. Und selbst dann war sie noch nutzlos. Sie erhob sich, klopfte sich innerlich er» schöpft den Staub von den Knien und bemühte sich, den toten Mann nicht mehr anzusehen. Wäre sie schneller gewesen, hätte das einen Unterschied gemacht?

Das Glühen der Macht umgab Anaiya, aber nicht nur sie: Das Licht umfaßte auch noch zwei weitere vollständig bekleidete Aes Sedai, eine Aufgenommene in einem Bademantel und drei Novizinnen im Nachthemd. Eine dieser drei war Nicola. Nynaeve bemerkte nun andere dieser glühenden Gruppen, viele Dutzende sogar, die sich auf den Straßen bewegten. Manche schienen nur aus Aes Sedai zu bestehen, doch die meisten waren gemischt.

»Öffnet Euch der Verknüpfung«, fuhr Anaiya fort. »Und Ihr, Elayne, und... Was stimmt mit Emara und Ronelle nicht?« Als sie erfuhr, den beiden sei lediglich schlecht, knurrte sie leise etwas vor sich hin und befahl ihnen dann, eine Gruppe zum Verknüpfen zu finden, sobald sie wieder klar im Kopf seien. Schnell erwählte sie vier weitere Aufgenommene aus dem Gedränge um Elayne. »Sammael — falls er es ist und keiner der anderen — wird erfahren, daß wir keineswegs hilflos sind. Nun macht schnell. Berührt die Quelle, aber verhaltet an dem Berührungspunkt Ihr seid offen und gebt dem Strom nach.«

»Das stammt nicht von einem der Verlorenen«, fing Nynaeve an, doch die mütterliche Aes Sedai schnitt ihr energisch das Wort ab: »Widersprecht nicht, Kind, öffnet Euch nur. Wir haben einen Angriff erwartet, wenn auch nicht gerade so wie jetzt, und uns darauf vorbereitet. Schnell, Kind. Wir haben keine Zeit für müßiges Geschwätz.«

Nynaeve klappte den Mund zu und bemühte sich, zu jener Schwelle zurückzukehren, an der man Saidar gerade berühren und sich der Macht hingeben konnte. Es war nicht leicht. Zweimal spürte sie, wie die Macht nicht nur in sie einströmte, sondern durch sie hindurch in Anaiya, und zweimal brach der Strom ab und zuckte zur Quelle zurück. Anaiya verzog ärgerlich den Mund und sah Nynaeve an, als glaube sie, die jüngere Frau habe das mit Absicht getan. Beim dritten Mal fühlte sie sich, als habe sie jemand am Kragen gepackt. Saidar rauschte durch Nynaeve in Anaiya, und als sie versuchte, die Macht zurückzuhalten — es hatte doch an ihr gelegen und nicht an dem Strom selbst wurde ihr jetzt bewußt — wurde der Strom festgehalten und vereinigte sich mit einem noch stärkeren.