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Der Tunnel weitete sich plötzlich, und er stand auf einem weiten Felsvorsprung über einem See aus geschmolzenem Stein, rot mit schwarzen Flecken, über dem mannshohe Flammen tanzten, erstarben und dann wieder aufzüngelten. Es gab kein Dach — nur ein großes, klaffendes Loch durch den ganzen Berg nach oben hin, und darüber zeigte sich ein Himmel, der nicht der Himmel über Thakan'dar war. Dagegen wirkte der Thakan'dars beinahe normal. Wolken aus wild gemusterten Schichten rasten vorbei, als würden sie vom stärksten aller Stürme, den die Welt je erlebt hatte, vorwärtsgepeitscht. Diesen Ort hier nannten die Menschen den Krater des Verderbens, und nur wenige wußten, daß er diese Bezeichnung wirklich verdient hatte.

Selbst nach so vielen Besuchen hier — der erste lag nun über dreitausend Jahre zurück — empfand Demandred etwas wie Ehrfurcht. Hier konnte er den Stollen spüren, dieses Loch, das man vor so langer Zeit bis zum Gefängnis des Großen Herrn vorangetrieben hatte, in dem er seit dem Augenblick der Schöpfung festgehalten worden war. Hier überwältigte ihn die Gegenwart des Großen Herrn. Körperlich befand er sich dem Stollen keineswegs näher als an irgendeinem anderen Ort auf der Welt, aber das Muster war hier so dünn, daß ihm ermöglicht wurde, sie innerlich wahrzunehmen.

Demandred war einem Lächeln so nahe, wie ihm das nur möglich war. Was für Idioten das doch waren, die sich dem Großen Herrn entgegenstellten! O ja, der Stollen war noch verschlossen, aber nicht mehr so undurchdringlich wie zu jener Zeit, da er aus seinem langen Schlaf erwacht und aus seinem Kerker tief unten entschlüpft war. Verschlossen, aber trotzdem war er größer als bei seinem Erwachen. Allerdings nicht so groß wie damals, als man ihn zusammen mit seinen Verbündeten am Ende des Kriegs um die Macht hineingeworfen hatte. Doch bei jedem Besuch seit dem Erwachen war der Stollen ein wenig größer gewesen. Bald würde der Verschluß ganz verschwinden, und der Große Herr konnte endlich wieder die ganze Welt ergreifen. Bald würde der Tag der Rückkehr anbrechen. Und er würde für alle Ewigkeit die Welt regieren. Unter dem Großen Herrn natürlich. Und natürlich gemeinsam mit den anderen der Auserwählten, die bis dahin überlebten.

»Ihr dürft jetzt gehen, Halbmensch.« Er wollte dieses Ding nicht hier dabeihaben, wenn ihn die Ekstase überkam. Die Ekstase und der Schmerz.

Schaidar Haran rührte sich nicht.

Demandred öffnete den Mund — und in seinem Kopf explodierte die Stimme: DEMANDRED!

Das als Stimme zu bezeichnen war, als bezeichne man einen Berg als Kieselstein. Sie zerquetschte ihn beinahe, explodierte im Innern seines Schädels und füllte ihn gleichzeitig mit Verzückung. Er sank auf die Knie nieder. Der Myrddraal stand da und beobachtete ihn leidenschaftslos, doch da diese Stimme seinen ganzen Verstand erfüllte, nahm er das Ding nur am Rande wahr.

DEMANDRED. WIE STEHT ES UM DIESE WELT?

Er war sich niemals sicher, wieviel der Große Herr tatsächlich von der Welt wußte. Er war oft sowohl von Unkenntnis wie auch vom Wissensstand des Großen Herrn überrascht worden. Doch ihm war vollkommen klar, worauf er jetzt hinauswollte.

»Rahvin ist tot, Großer Herr. Gestern.« Es schmerzte. Wenn Euphorie zu stark wurde, wandelte sie sich in Schmerz. Seine Arme und Beine zuckten. Jetzt schwitzte er. »Lanfear ist spurlos verschwunden, genau wie Asmodean. Und Graendal sagt, Moghedien sei zu ihrem vereinbarten Treffen nicht erschienen. Das war auch gestern, Großer Herr. Ich glaube nicht an Zufälle.«

DIE AUSERWÄHLTEN SCHWINDEN DAHIN, DEMANDRED. DIE SCHWACHEN FALLEN VON MIR AB. WER MICH VERRÄT, WIRD DEN ENDGÜLTIGEN TOD STERBEN. ASMODEAN, VON SEINEN SCHWÄCHEN AUFGEZEHRT. RAHVIN TOT, WEIL ER ZU STOLZ WAR. ER DIENTE MIR GUT, DOCH SELBST ICH KANN IHN NICHT VOR DEM BAALSFEUER RETTEN. SELBST ICH KANN MICH NICHT AUßERHALB DER ZEIT BEGEBEN. Einen Augenblick lang erfüllte ein schrecklicher Zorn diese entsetzliche Stimme, und dazu — konnte das Niedergeschlagenheit sein? Nur einen kurzen Augenblick. VON MEINEM URALTEN FEIND GETÖTET, DEN MAN DEN DRACHEN NENNT. WÜRDEST DU IN MEINEM DIENST DAS BAALSFEUER VERWENDEN, DEMANRED?

Demandred zögerte. Ein Schweißtropfen rollte einen Fingerbreit weit seine Wange hinunter. Das schien eine Stunde gedauert zu haben. Ein Jahr lang während des Kriegs um die Macht hatten beide Seiten Baalsfeuer benützt. Bis sie die Folgen begriffen hatten. Ohne eine offizielle Einigung oder einen Waffenstillstand — es hatte niemals einen Waffenstillstand oder auch nur Gnade in diesem Kampf gegeben — hatten beide Seiten einfach damit aufgehört. In diesem Jahr waren ganze Städte im Baalsfeuer vergangen, hunderttausende von Fäden im Muster verbrannt, die Wirklichkeit selbst beinahe aufgelöst und dem Punkt nahegekommen, an dem die Welt und das ganze Universum sich wie Nebel verflüchtigten. Falls das Baalsfeuer noch einmal losgelassen wurde, mochte es keine Welt mehr geben, die er hätte regieren können.

Noch eine Erkenntnis stieß ihm unangenehm auf. Der Große Herr wußte bereits, wie Rahvin ums Leben gekommen war. Und er schien auch mehr über Asmodean zu wissen, als er selbst. »Wie Ihr befehlt, Großer Herr, so werde ich gehorchen.« Seine Muskeln mochten zucken, doch die Stimme klang felsenfest. An seinen Knien bildeten sich bereits Blasen vom heißen Felsboden, doch seine Haut hätte ebensogut einem anderen gehören können. DAS WERDET IHR.

»Großer Herr, der Drache kann durchaus vernichtet werden.« Ein toter Mann konnte kein Baalsfeuer mehr verwenden, und dann würde der Große Herr vielleicht einsehen, daß es nicht mehr notwendig sei. »Er weiß nicht viel und ist schwach. Seine Aufmerksamkeit gilt einem Dutzend verschiedener Dinge gleichzeitig. Rahvin war ein eingebildeter Narr. Ich...« WOLLT IHR DER NAE'BLIS WERDEN? Demandreds Zunge erstarrte. Nae'blis. Derjenige, der nur eine einzige Stufe unterhalb des Großen Herrn stand und selbst über alle anderen herrschte. »Ich möchte Euch lediglich dienen, Großer Herr, auf welche Art auch immer.« Nae'blis.

DANN LAUSCHT UND DIENT. HÖRT, WER STERBEN UND WER LEBEN WIRD.

Demandred schrie, als die Stimme über ihm zusammenschlug. Freudentränen liefen ihm über die Wangen. Unbewegt sah der Myrddraal zu.

»Hört auf mit der Herumzappelei.« Nynaeve warf gereizt den langen Zopf über ihre Schulter. »Das klappt nicht, wenn Ihr herumzappelt wie Kinder, die es juckt.«

Keine der beiden Frauen, die ihr an dem Korbtisch gegenübersaßen, schien älter als sie selbst zu sein, obwohl sie in Wirklichkeit etwa zwanzig Jahre mehr zählten, und sie zappelten auch nicht wirklich, aber Nynaeve war einfach der Hitze wegen gereizt. In dem kleinen fensterlosen Raum bekam man Platzangst. Sie war schweißnaß; die beiden dagegen wirkten kühl und trocken. Leane in ihrem Domanikleid aus viel zu dünner, blauer Seide zuckte lediglich die Achseln. Die hochgewachsene Frau mit dem kupfernen Teint schien über unendlich viel Geduld zu verfügen. Normalerweise. Siuan dagegen, blond und kräftig, zeigte nur selten welche.

Nun knurrte Siuan und zupfte gereizt ihren Rock zurecht. Sonst trug sie meist recht einfache Kleidung, aber heute morgen hatte sie ein Gewand aus feinem gelben Leinen an, das um den beinahe etwas zu tiefen Ausschnitt herum mit tairenischer Labyrinthstickerei verziert war. Ihre blauen Augen blickten so kalt wie Wasser aus einer tiefen Quelle. So kalt jedenfalls Wasser aus einer tiefen Quelle gewesen wäre, hätte das Wetter nicht so verrückt gespielt. Sie hatte wohl die Kleider gewechselt, nicht aber die Augen. »Es klappt so und so nicht«, fauchte sie. Ihre typische Art zu sprechen hatte sich auch nicht geändert. »Man kann einen Rumpf nicht abdichten, wenn das ganze Boot verbrannt ist. Nun, es ist reine Zeitverschwendung, aber ich habe es versprochen, also weiter damit. Leane und ich haben noch mehr Arbeit.« Die beiden leiteten das Netz der Augen-und-Ohren dieser Aes Sedai in Salidar, der Spione, die Berichte darüber sandten, was sich in der Welt so tat und welche Gerüchte man draußen in der Welt vernahm.