Sie blieben einen Moment stehen, sahen ihn ruhig an, ignorierten die Aiel und gingen dann weiter, zuerst Demira, dann Seonid und Rafela, dann Merana und Masuri, wobei sie alle zusammen eine auf Rand gerichtete Pfeilspitze bildeten. Das schwache Kribbeln auf seiner Haut wäre nicht nötig gewesen, ihm zu zeigen, daß sie Saidar umarmt hatten. Mit jedem Schritt schien jede der Frauen deutlich größer als vorher.
Sie denken, daß sie mich beeindrucken können, indem sie den Spiegel der Nebel weben? Lews Therins ungläubiges Lachen verblaßte zu einem wahnsinnigen Kichern. Rand brauchte die Erklärung des Mannes nicht. Er hatte Moiraine etwas Derartiges schon einmal tun sehen. Asmodean hatte es ebenfalls Spiegel der Nebel genannt, aber auch Blendwerk.
Melaine ordnete verärgert ihre Stola und schnaubte laut, und Bael wirkte plötzlich, als stünde er ganz allein Hunderten gegenüber. Er wollte sich dem stellen, aber er erwartete keinen glücklichen Ausgang. Dementsprechend regten sich auch einige der Töchter des Speers, bis Nandera sie über ihren Schleier hinweg ansah, aber das vermochte das Geräusch schabender Füße von den Aiel zwischen den Säulen nicht zu unterbinden.
Demira Eriff begann zu sprechen — auch sie lenkte eindeutig die Macht. Sie schrie nicht, aber ihre Stimme füllte die Große Halle dennoch aus und schien von überall her zu kommen. »Unter den gegebenen Umständen wurde beschlossen, daß ich für alle sprechen soll. Wir wollen Euch keinen Schaden zufügen, aber wir müssen die Beschränkungen, die wir bisher erduldet haben und die bewirken sollten, daß Ihr Euch sicher fühltet, jetzt zurückweisen. Ihr habt offensichtlich niemals gelernt, Aes Sedai den gebührenden Respekt zu erweisen. Jetzt müßt Ihr es lernen. Von jetzt an werden wir kommen und gehen, wie es uns beliebt, wobei wir das selbst entscheiden werden. Wenn wir mit Euch zu sprechen wünschen, werden wir Euch auch in Zukunft vorher benachrichtigen. Eure Aiel-Wächter rund um unser Gasthaus müssen abgezogen werden, und niemand darf uns beobachten oder folgen. Jede zukünftige Beleidigung unserer Würde wird bestraft werden, obwohl jene, die wir bestrafen müssen, wie Kinder sind, so daß Ihr für deren Schmerz verantwortlich sein werdet. So muß es sein. So wird es sein. Wisset, daß wir Aes Sedai sind.«
Als diese breite Pfeilspitze vor dem Thron haltmachte, bemerkte Rand, daß Melaine ihn ansah und sich zweifellos fragte, ob er beeindruckt war. Wäre er von den Geschehnissen überrascht worden, wäre er es gewesen. Er war sich auch jetzt nicht sicher, ob er nicht beeindruckt war. Die sieben Aes Sedai waren doppelt so groß wie Loial, die Köpfe auf halber Höhe des Raumes mit der gewölbten Decke mit den Buntglasfenstern. Demira schaute auf ihn herab, kühl und leidenschaftslos, als erwäge sie, ihn mit einer Hand hochzuheben, wozu sie durch ihre Größe in der Lage schien.
Rand zwang sich dazu, sich gelassen zurückzulehnen, wobei er die Lippen zusammenpreßte, als er erkannte, daß es ihn Mühe kostete, wenn auch keine sehr große Mühe. Lews Therin schimpfte und schrie in der Ferne, er solle nicht warten, sondern jetzt zuschlagen. Demira hatte gewisse Worte mit besonderem Nachdruck geäußert, als sollte er die Wichtigkeit begreifen. Welche Umstände meinte sie? Und bisher hatten sie die Beschränkungen doch akzeptiert — warum verweigerten sie ihm auf einmal den Respekt? Warum beschlossen sie plötzlich, daß sie — weit davon entfernt, ihm das Gefühl vermitteln zu müssen, daß er wirklich sicher sei — ihm drohen könnten? »Die Abordnung der Burg in Cairhien akzeptiert die gleichen Beschränkungen wie Ihr und scheint nicht gekränkt.« Nun, zumindest nicht sehr gekränkt. »Statt vager Drohungen bieten sie Geschenke an.«
»Sie sind nicht wie wir. Sie sind auch nicht hier. Wir werden Euch nicht kaufen.«
Die Verachtung in Demiras Stimme traf Rand. Seine Knöchel schmerzten von dem festen Griff um das Drachenszepter. Sein Zorn fand in Lews Therin ein Echo, und er erkannte plötzlich, daß der Mann sich erneut nach der Quelle auszustrecken versuchte.
Verdammt! Rand wollte sie abschirmen, aber Lews Therin sprach, der Panik nahe und fast atemlos.
Nicht stark genug. Selbst mit dem Angreal, vielleicht nicht stark genug, nicht um sieben standzuhalten. Du Narr! Du hast zu lange gewartet! Zu gefährlich!
Jedermann abzuschirmen, kostete erhebliche Kraft. Rand war sicher, daß er mit dem Angreal sieben Schilde bilden konnte, obwohl sie Saidar bereits umarmt hatten, aber wenn nur eine von ihnen diesen Schild durchbrechen konnte... Oder mehr als eine. Er wollte sie mit seiner Kraft beeindrucken, nicht ihnen eine Möglichkeit geben, diese zu überwältigen. Aber es gab noch einen anderen Weg. Indem er einfach Geist, Feuer und Erde verwob, gab er vor, abschirmen zu wollen.
Der Spiegel der Nebel zerbarst. Plötzlich standen nur sieben normale Frauen mit bestürzten Gesichtern vor ihm. Ihre Verblüffung wurde jedoch augenblicklich von vorgeblicher Gelassenheit beherrscht.
»Ihr habt unsere Forderungen gehört«, sagte Demira mit normaler, aber herrischer Stimme, als sei überhaupt nichts geschehen. »Wir erwarten, daß sie erfüllt werden.«
Rand sah sie wider Willen ungläubig an. Was mußte er noch tun, um ihnen zu zeigen, daß er sich nicht einschüchtern ließ? Saidin wütete in ihm — ein brodelnder Zorn. Er wagte es nicht, ihn ausbrechen zu lassen. Lews Therin schrie jetzt wie rasend und versuchte, ihm die Quelle aus der Hand zu reißen. Er konnte nur festhalten. Er erhob sich langsam. Durch die zusätzliche Höhe des Podests ragte er jetzt über ihnen auf. Sieben unbewegte Aes Sedai-Gesichter sahen zu ihm hoch. »Die Beschränkungen bleiben bestehen«, sagte er ruhig. »Und ich füge dem noch eine Forderung hinzu. Von jetzt an erwarte ich, von Euch den Respekt zu erfahren, den ich verdiene. Ich bin der Wiedergeborene Drache. Ihr könnt jetzt gehen. Die Audienz ist beendet.«
Ungefähr zehn Herzschläge lang standen sie nur da und blinzelten nicht einmal, als wollten sie zeigen, daß sie sich auf seinen Befehl keinen Schritt rühren würden. Dann wandte sich Demira ohne die leiseste Andeutung eines Hofknickses um. Als sie an Seonid und Rafela vorbeiging, schlossen diese sich ihr an und die anderen ebenso. Sie glitten alle mühelos, ohne Eile, über die rotweißen Fliesen aus der Großen Halle hinaus.
Rand trat vom Podest herab, als sie im Gang verschwanden.
»Der Car'a'carn ist geschickt mit ihnen umgegangen«, sagte Melaine laut genug, um in jedem Winkel gehört zu werden. »Man muß sie am Genick packen und sie Respekt lehren, auch wenn es sie schmerzt.« Bael konnte sein Unbehagen nicht ganz verbergen, als er Melaine so über die Aes Sedai reden hörte.
»Vielleicht sollte man auch die Weisen Frauen so behandeln«, bemerkte Rand mit einem Lächeln.
Melaine senkte ihre Stimme und richtete nachdrücklich ihre Stola. »Seid kein vollkommener Narr, Rand al'Thor.«
Bael kicherte, obwohl seine Frau ihn ansah. Zumindest hatte er ein Kichern zustande gebracht. Rand konnte den Humor jedoch nicht nachempfinden, und das nicht wegen der Dämpfung des Nichts. Er wünschte fast, er hätte Min mitkommen lassen. Es gab hier zu viele Unterströmungen, die er nicht verstand, und er befürchtete, daß noch mehr da waren, die er nicht einmal erkennen konnte. Was wollten sie wirklich?
Min schloß die schmale Tür des Ankleideraums, lehnte sich an ein dunkles Wandpaneel zurück und atmete tief ein. Faile hatte Perrin abgeholt, und so sehr Loial auch darauf beharrt hatte, Rand wolle, daß Min zurückbleibe, hatte er doch vor der einfachen Wahrheit kapituliert, daß Rand kein Recht hatte, sie irgendwo festzuhalten. Wenn Loial natürlich eine Ahnung gehabt hätte, was sie vorhatte, hätte er sie sich vielleicht unter den Arm geklemmt — sehr sacht natürlich —, sich dort in den Hof gesetzt und ihr etwas vorgelesen.