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Min hatte alles gehört, aber sie hatte nicht viel mehr gesehen als Aes Sedai, die über dem Podest mit dem Thron aufragten. Sie mußten die Macht gelenkt haben, wodurch Bilder und Auren verschwommen waren, aber sie war so verblüfft gewesen, daß sie diese auch nicht erkannt hätte, wenn welche deutlich zu sehen gewesen wären. Als sie sich wieder erholt hatte, hatten die Aes Sedai nicht mehr aufgeragt, und Demiras Stimme hatte nicht mehr aus jedem Winkel gedröhnt.

Sie kaute auf ihrer Unterlippe und dachte wütend nach. Ihrer Meinung nach gab es zwei Probleme. Zum einen Rand und seine Forderung nach Respekt, was auch immer er damit meinte. Wenn er erwartete, daß Merana einen tiefen Hofknicks vollführte, würde er lange warten müssen, und in der Zwischenzeit verärgerte er sie sicherlich eifrig. Es mußte eine Möglichkeit geben, dies zu verhindern, wenn sie nur wüßte wie. Das zweite Problem waren die Aes Sedai. Rand schien zu glauben, sie wären in gewisser Weise erregt, was er beenden könnte, indem er auftrumpfte. Min war im Zweifel, ob die Aes Sedai erregt waren, aber wenn dem so war, handelte es sich gewiß um etwas Ernsthafteres. Der einzige Ort, wo man das herausfinden könnte, war jedoch die Rosenkrone.

Sie holte Wildrose wieder aus dem Vorhofstall ab und ritt die kastanienbraune Stute im Schritt zum Gasthaus zurück, wo sie sie einem großohrigen Stallburschen mit der Bitte übergab, sie möge gut abgerieben und mit ein wenig Hafer gefuttert werden. Ihr scharfer Ritt zum Palast war anstrengend gewesen, und Wildrose verdiente eine Belohnung für ihre Unterstützung bei der Vereitelung von Meranas Plan. Dem kalten Zorn in Rands Stimme nach zu urteilen, war sie nicht sicher, was vielleicht geschehen wäre, wenn er plötzlich aus heiterem Himmel erfahren hätte, daß sieben Aes Sedai ihn in der Großen Halle erwarteten.

Der Schankraum der Rosenkrone wirkte noch fast genauso wie zuvor, als sie durch eine der Küchen hinausgeeilt war. Wächter saßen an den Tischen verteilt, von denen einige Domino oder Mühle spielten und andere würfelten. Sie schauten fast wie ein Mann auf, als sie eintrat, nahmen ihr Spiel aber wieder auf, als sie sie erkannt hatten. Herrin Cinchonine stand mit verschränkten Armen und verärgertem Gesichtsausdruck vor der Tür des Lagerraums. An den Wänden des Schankraums der Rosenkrone waren keine Weinfässer aufgestapelt. Die Wächter waren die einzigen Gäste, und Wächter tranken in der Regel wenig und selten. Es standen jede Menge Zinnkrüge und Becher auf den Tischen, aber Min konnte nicht erkennen, daß auch nur einer davon berührt worden wäre. Aber sie erkannte einen Mann, der vielleicht bereit wäre, ihr etwas zu erzählen.

Mahiro Shukosa saß allein an einem Tisch und beschäftigte sich mit Geduldsspielen, die beiden Schwerter, die er gewöhnlich auf dem Rücken trug, in Reichweite an die Wand gelehnt. Mit seinen bereits ergrauenden Schläfen und der edlen Nase wirkte er auf schlichte Art gutaussehend, obwohl ihn sicherlich nur eine verliebte Frau als schön bezeichnet hatte. In Kandor war er ein Herr. Er hatte die Königshöfe fast jeden Landes besucht, reiste mit einer kleinen Bibliothek und gewann oder verlor beim Spiel mit unbekümmertem Lächeln. Er konnte Gedichte rezitieren und Harfe spielen und traumhaft tanzen. Er war, kurz gesagt, außer daß er auch Rafelas Behüter war, genau wie die Männer, die sie gemocht hatte, bevor sie Rand begegnet war. Und die sie tatsächlich immer noch mochte, wenn sie sie in Erinnerung an Rand betrachtete. Mahiro sah sie auf eine Art an, von der Min glaubte, daß sie für Kandor eigentümlich war — wie eine jüngere Schwester, die gelegentlich jemanden zum Reden und einen Rat brauchte, damit sie nicht in Schwierigkeiten geriete. Er sagte ihr, daß sie hübsche Beine hätte, dachte aber niemals daran, sie zu berühren, und er würde jedem Mann den Hals umdrehen, der ohne ihre Erlaubnis daran dächte.

Er schob die verwinkelten Eisenstücke seines Geduldsspiels geschickt wieder zusammen, legte es auf einen Stapel bereits fertiggestellter und nahm ein weiteres von einem anderen Stapel, während sie sich ihm gegenüber hinsetzte. »Also, Kohlkopf«, sagte er grinsend, »da bist du wieder, den Kopf noch auf den Schultern, nicht entführt und nicht verheiratet.« Eines Tages würde sie ihn fragen, was das bedeutete, denn das sagte er immer.

»Ist irgend etwas geschehen, während ich fort war, Mahiro?«

»Du meinst, außer daß die Schwestern anscheinend stark zerzaust vom Palast zurückgekehrt sind.« Das Geduldsspiel löste sich in seinen Händen wie immer, fast, als wäre Magie im Spiel.

»Was hat sie aufgebracht?«

»Vermutlich al'Thor.« Das Geduldsspiel wurde genauso leicht wieder zusammengefügt und auf den entsprechenden Stapel gelegt. Und sofort griff er nach einem weiteren. »Dieses habe ich schon vor Jahren geschafft«, vertraute er ihr an.

»Aber wie, Mahiro? Was ist geschehen?«

Dunkle Augen betrachteten sie. Leopardenaugen würden wie Mahrros wirken, wenn sie fast schwarz wären. »Min, einem Jährling, der seinen Kopf in den falschen Bau steckt, könnten die Ohren abgebissen werden.«

Min zuckte zusammen. Das war nur zu wahr. Die törichten Dinge, die eine Frau tat, weil sie verliebt war. »Genau das würde ich gerne vermeiden, Mahiro. Ich bin lediglich hier, um Nachrichten zwischen Merana und dem Palast zu vermitteln, aber ich gehe dort ohne eine Vorstellung davon hinein, was mir bevorsteht. Ich weiß nicht, warum die Schwestern aufgehört haben, ihn jeden Tag aufzusuchen, oder warum sie zurückweichen oder warum heute eine ganze Handvoll von ihnen hingingen anstatt nur drei. Ich könnte mehr als nur die Ohren abgebissen bekommen, wenn ich es nicht weiß. Merana wird es mir nicht sagen. Sie sagt mir nichts außer: ›Geh hierhin und tu das.‹ Nur ein Hinweis, Mahiro. Bitte!«

Er betrachtete das Geduldsspiel angestrengt, aber sie erkannte dennoch, daß er nachdachte, weil er die miteinander verbundenen Teile des Geduldsspiels mit den Fingern umherschob, sich aber kein Teil löste.

Eine Bewegung an der Rückseite des Schankraums zog Mins Blick auf sich. Sie wandte halbwegs den Kopf und erstarrte. Zwei Aes Sedai kamen, ihrem frisch gewaschenen Aussehen nach zu urteilen, aus den Bädern zurück. Sie hatte diese beiden vor Monaten zuletzt gesehen, bevor sie aus Salidar hinausgesandt wurden, weil Sheriam glaubte, Rand hielte sich irgendwo in der Aiel-Wüste auf. Dorthin waren Bera Harkin und Kiruna Nachiman geeilt. In die Wüste, nicht nach Caemlyn.

Bis auf ihr kantiges, altersloses Gesicht wirkte Bera mit ihrem kurzgeschnittenen braunen Haar wie eine Bäuerin, aber im Moment zeigte dieses Gesicht grimmige Entschlossenheit. Kiruna, vornehm und statuenhaft, schien jeder Zoll genau das zu sein, was sie war —die Schwester des Königs von Arafel und eine rechtmäßige, mächtige Lady. Ihre großen dunklen Augen glitzerten, als wolle sie eine Hinrichtung befehlen. Bilder und Auren flackerten um sie herum wie stets um Aes Sedai und Behüter. Eine Aura hielt Mins Blick fest, als sie schnell um beide Frauen gleichzeitig herumblitzte, bräunlich gelb und tief purpurfarben. Die Farben selbst bedeuteten nichts, aber diese Aura nahm Min den Atem.

Ihr Tisch stand nicht weit vom Fuß der Treppe entfernt, aber die beiden Frauen sahen Min nicht an, als sie sich umwandten, um hinaufzugehen. Sie hatten ihr auch in Salidar niemals mehr als zwei Blicke gegönnt, und jetzt waren sie in ihre Unterhaltung vertieft.

»Alanna hätte ihn schon lange in die Schranken weisen sollen.« Kirunas Stimme klang leise, aber dennoch fast zornig. »Ich hätte es getan. Wenn sie kommt, werde ich es ihr sagen.«