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Er erspürte den Schild erneut, sanft, damit sie es nicht merkten. Sechs Barrieren, irgendwelche sechs nachgiebigen Stellen. Das mußte etwas bedeuten. Er wünschte, Lews Therin würde wieder zu ihm sprechen, aber der einzige Klang in seinem Kopf waren seine am Nichts entlanggleitenden Gedanken. Sechs Stellen.

Als Sorilea die staubbedeckte Straße vor dem großen Steingebäude entlangeilte, in dem sich die Aes Sedai aufhielten, konnte sie diese kaum spüren, bis sie die Macht nach innen lenkte. Sie konnte sie nur undeutlich spüren, weil sie die Macht nur vage lenken konnte, aber das war nicht der Grund dafür, daß sie sie ignorierte. Sie hatten die Macht dort drinnen seit ihrer Ankunft Tag und Nacht gelenkt. Keine der Weisen Frauen verschwendete einen Gedanken daran, warum sie es noch immer taten. Sorilea hatte jetzt sicherlich an wichtigere Dinge zu denken. Die Töchter des Speers im Palast des Baumtöters begannen wegen Rand al'Thor unruhig zu werden und murmelten, daß der Car'a'carn einiges zu erklären hätte, wenn er dieses Mal zurückkehrte. Sorilea lebte schon erheblich länger als die meisten anderen Töchter des Speers und sogar länger als jede andere Weise Frau, ob ihre Macht nun geschwächt war oder nicht, und sie war beunruhigt. Wie die meisten Männer verschwand Rand al'Thor, wann er wollte und wohin er wollte — Männer waren in dieser Beziehung wie Katzen —, aber dieses Mal war zur gleichen Zeit auch Min irgendwo zwischen den Zelten und dem Palast verschwunden. Sorilea mochte keine Zufälle, egal wie viele den Car'a'carn auch umgaben. Sie wickelte ihre Stola gegen einen plötzlichen Kälteschauder in ihren Knochen fester um sich und eilte weiter auf die Zelte zu.

52

Gewebe der Macht

Die Männer, die im Schankraum der Wanderin am Tisch saßen, waren überwiegend Einheimische. Männer mit langen Westen trugen diese gerne aus farbenfroher Seide — oft auch mit Brokat — über heilen Hemden mit weiten Ärmeln. Granate oder Perlen schmückten die Fingerringe, die Ohrkreolen waren nicht vergoldet, sondern aus massivem Gold, und Mondsteine und Saphire glitzerten auf den Knäufen gebogener, in den Gürteln steckender Dolche. Mehrere Männer hatten Seidenumhänge um die Schultern geschlungen, die mit einer Silber- oder Goldkette zwischen den mit Blumen oder Tieren bestickten schmalen Aufschlägen befestigt waren. Die Umhänge wirkten in der Tat seltsam — zu klein, um sie richtig anziehen zu können und nur als Überwurf gedacht —, aber die Männer trugen zusätzlich zu den gebogenen Dolchen auch noch lange, schmale Schwerter und schienen durchaus bereit, beides zu benutzen, wenn ein falsches Wort oder ein falscher Blick erfolgte oder weil sie sich zufällig danach fühlten.

Es war eine bunte Menge: zwei murandianische Händler mit gedrehten Schnurrbärten und jenen lächerlichen kleinen Spitzbärten, ein Domani mit Haaren bis über die Schultern und einem dünnen Schnurrbart, der ein Goldarmband, eine eng anliegende goldene Halskette und eine große Perle in seinem linken Ohr trug, ein dunkler Atha'an Miere in einem hellgrünen Umhang mit tätowierten Händen und zwei in einer Schärpe steckenden Dolche, ein Taraboner mit einem durchlässigen Schleier, der einen dichten, fast den Mund verbergenden Schnurrbart trug, sowie eine Anzahl Fremde, die von überallher gekommen sein konnten. Aber alle Männer hatten einen Stapel Münzen vor sich aufgeschichtet, obwohl sich die jeweilige Höhe unterschied. So nahe am Tarasin-Palast zog die Wanderin Gäste an, die Gold übrig hatten.

Mat schüttelte die fünf Würfel in dem Lederbecher und ließ sie dann auf den Tisch rollen. Sie blieben mit zwei Kronen, zwei Sternen und einem Becher auf den Oberflächen liegen. Ein guter Wurf, hätte nicht besser sein können. Sein Glück verlief wellenförmig, und im Moment schien die Welle ihren Tiefpunkt erreicht zu haben, was bedeutete, daß er nur höchstens bei der Hälfte seiner Würfe gewann. Gerade hatte er bei zehn Würfen in Folge verloren, ein für ihn eigentlich ungewöhnlicher Verlauf. Mat reichte den Würfelbecher an einen blauäugigen Fremden weiter, ein Mann mit einem harten, hageren Gesicht, der trotz seines einfachen braunen Umhangs anscheinend viele Münzen zur Verfügung hatte.

Vanin beugte sich herab, um Mat etwas ins Ohr zu flüstern. »Sie sind wieder draußen. Thom sagt, er weiß immer noch nicht, wie.« Mat schnitt dem dicken Mann eine Grimasse, woraufhin er sich schneller aufrichtete, als man es einem Mann seiner Statur zugetraut hätte.

Mat trank seinen Silberbecher gewürzten Wein halb leer und blickte stirnrunzelnd auf den Tisch hinab. Wieder! Der blauäugige Mann ließ die Würfel auf den Tisch rollen, und sie blieben mit drei Kronen, einer Rose und einem Zepter auf der Oberfläche liegen. Der Sieg wurde rund um den Tisch murmelnd gewürdigt.

»Blut und Asche«, murrte Mat. »Als nächstes wird die Tochter der Neun Monde hereinspazieren und mich fordern.« Der blauäugige Bursche verschluckte sich an seinem Siegestrunk. »Kennt Ihr den Namen?« fragte Mat.

»Mir ist nur der Wein in die falsche Kehle geraten«, antwortete der Mann mit einem schleppenden Akzent, den Mat nicht kannte. »Welcher Name war es?«

Mat machte eine beschwichtigende Geste. Er hatte Streitigkeiten schon aus weniger guten Gründen entstehen sehen. Er schob das Gold und Silber in seine Börse zurück und steckte sie in die Umhangtasche, während er aufstand. »Ich höre auf. Das Licht möge alle hier segnen.« Die Männer am Tisch erwiderten den Segen, sogar die Fremden. Die Menschen in Ebou Dar waren sehr höflich.

Obwohl es noch früh am Tag war, war der Schankraum recht gut besetzt, und ein weiteres Würfelspiel trug zu Gelächter und Stöhnen bei. Zwei der jüngeren Söhne von Herrin Anan halfen den Schankmädchen, das Frühstück zu servieren. Die Wirtin selbst saß in der Nähe der geländerlosen weißen Steintreppe an der Rückseite des Raumes und behielt alles im Auge. Neben ihr saß eine junge, hübsche Frau, deren schwarze Augen lustig zwinkerten, als kenne sie einen Witz, den niemand sonst kannte. Ihr Gesicht war ein von glänzendem schwarzen Haar umgebenes, vollkommenes Oval, und der tiefe Ausschnitt ihres mit einem roten Gürtel versehenen, grauen Gewandes gab einen quälenden Anblick frei. Die Belustigung in ihren Augen verstärkte sich noch, als sie Mat anlächelte.

»Bei Eurem Glück, Lord Cauthon«, sagte Herrin Anan, »sollte mein Mann Euch fragen, wohin er seine Fischerboote schicken soll.« Ihr Tonfall klang aus irgendeinem Grund sehr nüchtern.

Mat akzeptierte den Titel ohne Verwunderung. In Ebou Dar würden außer Lords selbst nur wenige einen Lord herausfordern. Es war für ihn eine einfache Rechnung. Es gab erheblich weniger Lords als Bürgerliche, wodurch sich die Gefahr verringerte, daß jemand versuchen würde, ein Messer in ihn zu versenken. Aber er hatte dennoch während der letzten zehn Tage drei Männern den Kopf einschlagen müssen. »Ich fürchte, mein Glück erstreckt sich nicht auf solche Dinge, Herrin.«

Olver tauchte wie aus dem Nichts neben ihm auf. »Können wir am Pferderennen teilnehmen, Mat?« fragte er eifrig.

Frielle, Herrin Anans mittlere Tochter, kam heran und nahm den Jungen bei den Schultern. »Verzeiht, Lord Cauthon«, sagte sie besorgt. »Er ist mir gerade entwischt. Bei der Wahrheit des Lichts, das hat er getan.« Da sie bald verheiratet werden sollte — die eng anliegende Silberhalskette für ihren Hochzeitsdolch umgab bereits ihren schlanken Hals —, hatte sie sich freiwillig erboten, sich um Olver zu kümmern, und dabei lachend erwähnt, daß sie selbst sechs Söhne haben wollte. Mat vermutete, daß sie jetzt auf Töchter zu hoffen begann.