»Darum also.« Berelain runzelte beunruhigt die Stirn. »Ich habe Beweise dafür, daß sie einen Diener angewiesen hat, Gift in Maringils Wein zu geben — sie war sorglos, und ich hatte zwei gute Diebefänger bei mir —, aber ich wußte nicht warum.« Sie beugte leicht den Kopf und zeigte sich damit für Dobraines bewundernden Blick erkenntlich. »Sie wird dafür hängen, wenn es eine Möglichkeit gibt, den Lord Drache zurückzuholen. Wenn nicht, fürchte ich, daß wir alle sehen müssen, wie wir am Leben bleiben.«
Perrins Hand krampfte sich um die Schwertscheide. »Ich werde ihn zurückholen«, grollte er. Dannil und die beiden anderen Männer von den Zwei Flüssen konnten noch nicht weiter als auf halbem Weg nach Cairhien sein, da sie die Wagen mit sich führten. Und da waren die Wölfe. »Und wenn ich allein gehen muß — ich werde ihn zurückholen.«
»Nicht allein«, sagte Loial, und es klang wie aufeinander mahlende Steine. »Niemals allein, wenn ich hier bin, Perrin.« Seine Ohren drehten sich plötzlich verlegen. Er schien stets verlegen zu werden, wenn jemand merkte, daß er mutig war. »Immerhin wird mein Buch kein allzu gutes Ende finden, wenn Rand in der Burg gefangen ist. Und ich kann kaum über seine Rettung schreiben, wenn ich nicht dabei bin.«
»Ihr werdet nicht allein gehen, Ogier«, sagte Dobraine. »Ich kann bis morgen fünfhundert Männer ausheben, denen ich vertraue. Ich weiß nicht, was wir gegen sechs Aes Sedai ausrichten können, aber ich halte mich an meinen Eid.« Er sah Sulin an und betastete das Tuch, das er noch immer in Händen hielt. »Aber können wir den Wilden trauen?«
»Können wir den Baumtötern trauen?« fragte Sorilea mit einer Stimme, die genauso ledrig und zäh wirkte wie sie selbst, nachdem sie ohne anzuklopfen eingetreten war. Ein grimmig riechender Rhuarc war bei ihr, und Amys, deren allzu jugendliches Gesicht in diesem unpassenden Rahmen weißen Haars so kühl wirkte wie das Gesicht jeder Aes Sedai, sowie Nandera, die ein graubraungrünes Bündel mit sich trug und nach tödlichem Zorn roch.
»Ihr wißt es bereits?« fragte Perrin ungläubig.
Nandera schob Sulin das Bündel zu. »Es war längst an der Zeit, daß Ihr Euer Toh als erledigt betrachtet. Fast eineinhalb Monate. Sogar die Gai'shain sagen, Euer Stolz sei zu ausgeprägt.« Die beiden Frauen zogen sich in den Schlafraum zurück.
Von Faile war ein verwirrender Geruch herangeschwebt, als Perrin gesprochen hatte. »Die Zeichensprache der Töchter«, murmelte sie so leise, daß nur Perrin sie verstehen konnte. Er sah sie dankbar an, aber sie schien sich auf das Spielbrett zu konzentrieren. Warum nahm sie nicht Anteil? Sie konnte gut beraten, und er wäre für jeden Rat dankbar gewesen, den sie ihm hätte gewähren wollen. Sie setzte einen Stein und sah dann Loial stirnrunzelnd an, der auf Perrin und die anderen achtete.
Perrin unterdrückte ein Seufzen und sagte tonlos: »Es kümmert mich nicht, wer wem traut. Rhuarc, seid Ihr bereit, Eure Aiel gegen die Aes Sedai zu führen? Gegen sechs Aes Sedai. Einhunderttausend Aiel könnten sie jedoch außer Gefecht setzen.« Die von ihm genannte Anzahl erstaunte ihn — zehntausend Mann bildeten bereits ein nicht unerhebliches Heer —, aber es waren die Zahlen, von denen Rand gesprochen hatte, und was Perrin von den Aiellagern in den Hügeln gesehen hatte, ließ ihn daran glauben. Rhuarc roch zu seiner Überraschung zögerlich.
»So viele sind nicht möglich«, sagte der Stammeshäuptling bedächtig und hielt inne, bevor er weitersprach. »Heute morgen kamen Boten. Es steht fest, daß die Shaido von Brudermörders Dolch südwärts ins Herz von Cairhien ziehen. Ich habe vielleicht genug Männer, um sie aufzuhalten — sie scheinen nicht alle hierherzukommen —, aber wenn ich so viele Speere aus diesem Land abziehe, wird alles, was wir erreicht haben, erneut getan werden müssen. Zumindest werden die Shaido diese Stadt, lange bevor wir zurückkehren, geplündert haben. Wer weiß, wie weit sie gezogen sein werden — vielleicht sogar in andere Länder — und wie viele Verschleppte Gai'shain zu sein behaupten.« Ein strenger Geruch nach Verachtung strömte von ihm aus, aber Perrin verstand nichts von alledem. Welche Bedeutung hatte es, wieviel Land zurückerobert werden müßte — oder auch wie viele Menschen starben, obwohl dieser Gedanke widerwillig und schmerzlich war —, wenn man Rand befreien wollte, den Wiedergeborenen Drachen, der in Tar Valon gefangengehalten wurde?
Sorilea hatte Perrin beobachtet. Unter den Blicken der Weisen Frauen fühlte er sich oft genauso wie unter denen der Aes Sedai — als würde er abgewogen und vermessen. »Erzählt ihm alles, Rhuarc«, befahl sie barsch.
Amys legte eine Hand auf Rhuarcs Arm. »Er hat ein Recht, es zu erfahren, Schatten meines Herzens. Er ist Rand al'Thors Nächstbruder.« Ihre Stimme klang sanft, obwohl sie entschlossen roch.
Rhuarc sah die Weisen Frauen angestrengt und daraufhin Dobraine verächtlich an. Schließlich richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich kann nur Töchter des Speers und Siswai'aman mitnehmen.« Seinem Tonfall und Geruch nach zu schließen, hätte er wohl lieber einen Arm verloren, als diese Worte auszusprechen. »Zu viele der anderen wollen nicht in den Speerkampf mit den Aes Sedai eintreten.« Dobraine schürzte verächtlich die Lippen.
»Wie viele Cairhiener werden gegen Aes Sedai kämpfen?« fragte Perrin ruhig. »Sechs Aes Sedai, und wir haben nur Stahl.« Wie viele der Töchter des Speers und dieser Sis-sowieso könnte Rhuarc versammeln? Egal, da waren immer noch die Wölfe. Wie viele Wölfe würden sterben?
Dobraines Lippen glätteten sich wieder. »Ich werde kämpfen, Lord Aybara«, sagte er steif. »Ich und meine fünfhundert Mann, und wenn es sechzig Aes Sedai wären.«
Sogar Sorileas höhnisches Lachen wirkte ledern. »Fürchtet die Aes Sedai nicht, Baumtöter.« Plötzlich tanzte eine winzige blaue Flamme vor ihr in der Luft. Sie konnte die Macht lenken!
Sie ließ die Flamme verschwinden, als sie Pläne schmiedeten, aber in Perrins Gedanken blieb sie bestehen. Klein und schwach flackernd, schien sie irgendwie eine stärkere Kriegserklärung als Trompeten, einen Kampf bis aufs Messer zu liefern.
»Wenn Ihr mit uns zusammenarbeitet«, sagte Galina leutselig, »wird Euer Leben erfreulicher sein.«
Das Mädchen erwiderte ihren Blick mürrisch und regte sich auf ihrem Stuhl, wobei sie noch immer leichte Schmerzen empfand. Sie schwitzte heftig, obwohl sie die Jacke ausgezogen hatte. In dem Zelt mußte es heiß sein. Galina vergaß die Temperatur manchmal vollkommen. Sie wunderte sich nicht zum ersten Mal über diese Min, oder Elmindreda oder wie auch immer sie in Wirklichkeit hieß. Als Galina ihr zum ersten Mal begegnet war, war sie wie ein Junge gekleidet gewesen und hatte sich in Begleitung Nynaeve al'Mearas und Egwene al'Veres befunden. Elayne Trakand war auch dabeigewesen, aber nur die anderen beiden waren mit al'Thor verbunden. Beim zweiten Mal hatte sich Elmindreda als die Art Frau erwiesen, die Galina haßte, schwierig und schmachtend und so sehr unter dem persönlichen Schutz Siuan Sanches stehend, daß es keinen Unterschied machte. Galina konnte nicht verstehen, wie Elaida jemals so töricht sein konnte, ihr zu erlauben, die Burg zu verlassen. Welches Wissen schlummerte im Geist dieses Mädchens? Vielleicht würde Elaida sie nicht sofort wiederbekommen. Wenn das Mädchen in der Burg richtig eingesetzt würde, könnte sie es Galina sogar ermöglichen, Elaida wie eine Schwalbe zu fangen. Dank Alviarin war Elaida eine dieser starken, fähigen Amyrlins geworden, die jeden Zügel fest in die eigene Hand nahmen. Sie gefangenzusetzen, würde Alviarin sicherlich schwächen. Wenn sie genau jetzt richtig eingesetzt würde...