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Sie kehrte ins Lager zurück und fand Erian noch immer über die Kiste gebeugt vor, in der sich al'Thor befand.

»Er weint wahrhaftig, Galina«, stieß sie heftig hervor. »Kannst du ihn hören? Er weint...« Plötzlich rannen Tränen Erians Gesicht hinab. Sie stand einfach da und schluchzte leise, die zu Fäusten geballten Hände in ihre Röcke geklammert.

»Kommt mit in mein Zelt«, sagte Galina mitfühlend.

»Ich habe guten Blaubeertee, und ich werde Euch ein kühles, feuchtes Tuch auf die Stirn legen.«

Erian lächelte durch die Tränen hindurch. »Danke, Galina, aber ich kann nicht. Rashan und Bartol werden schon auf mich warten. Ich fürchte, sie leiden noch stärker als ich. Sie spüren nicht nur mein Leid, sondern leiden auch, weil sie wissen, daß ich leide. Ich muß sie trösten.« Sie drückte Galina dankbar die Hand und ging dann davon.

Galina betrachtete stirnrunzelnd die Kiste. Al'Thor schien tatsächlich zu weinen... Oder er lachte, und das bezweifelte sie sehr. Sie sah Erian nach, die gerade im Zelt ihres Behüters verschwand. Al'Thor würde noch oft weinen. Sie brauchten noch mindestens zwei weitere Wochen bis Tar Valon, und Elaida hatte einen triumphalen Einzug geplant. Ja, mindestens zwanzig weitere Tage. Von jetzt an, ob Erian es wollte oder nicht, würde er jeden Tag am Morgen und in der Abenddämmerung bestraft werden. Wenn sie ihn in die Weiße Burg brachten, würde er Elaidas Ring küssen, antworten, wenn man ihn ansprach und in einer Ecke knien, wenn er nicht gebraucht wurde. Sie schritt mit starrem Blick zu ihrem Zelt, um den Blaubeertee selbst zu trinken.

* * * Als sie den dichten Wald betraten, wandte sich Sevanna zu den anderen um und dachte, wie bemerkenswert es war, daß sie die Bäume so wenig beachtete. Bevor sie die Drachenmauer überquert hatten, hatte sie noch nie so viele Bäume gesehen. »Habt Ihr alle die Mittel erkannt, mit denen sie ihn festhalten?« fragte sie und ließ es so klingen, als hätte sie ›auch‹ statt ›alle‹ gesagt.

Therava sah die anderen an, die nickten. »Wir können alles genauso weben wie sie«, antwortete Therava.

Sevanna befühlte den kleinen Steinkubus mit den komplizierten Gravuren in ihrer Tasche. Der seltsame Feuchtländer, der ihr den Stein gegeben hatte, hatte gesagt, sie solle ihn benutzen, wenn al'Thor gefangen sei. Sie hatte es vorgehabt, bis sie ihn tatsächlich gesehen hatte. Jetzt beschloß sie, den Kubus wegzuwerfen. Sie war die Witwe eines Häuptlings, der in Rhuidean gewesen war, und eines Mannes, der Häuptling genannt worden war, ohne diesen Besuch durchgeführt zu haben. Jetzt würde sie die Frau des Car'a'carn selbst werden. Jeder Aiel-Speer würde für sie gesenkt werden. Sie konnte noch immer al'Thors Hals an den Fingern spüren, wo sie die Linie nachgezogen hatte, an der sie ihm das eiserne Halsband anlegen würde.

»Es ist an der Zeit, Desaine«, sagte sie.

Desaine blinzelte natürlich überrascht, und dann hatte sie nur noch Zeit zu schreien, bevor die anderen mit ihrer Arbeit begannen. Desaine hatte sich damit begnügt, über Sevannas Stellung zu murren. Aber Sevanna hatte ihre Zeit besser genutzt. Bis auf Desaine stand jede Frau hier entschlossen hinter ihr und noch mehr neben ihr.

Sevanna beobachtete sehr genau, was die anderen Weisen Frauen taten. Die Eine Macht faszinierte sie, alle jene Dinge, die so wundersam entstanden, so mühelos, und es war sehr wichtig, daß dafür gesorgt würde, daß das, was mit Desaine geschähe, nur mit der Macht geschehen sein konnte. Sie hielt es für ziemlich erstaunlich, daß ein menschlicher Körper mit nur so wenig Blutvergießen zerteilt werden konnte.

54

Die Übermittlung

Die aufgehende Sonne war erst ein dünnes, schwaches Schimmern am Horizont, aber die Straßen Cairhiens waren am zweiten Tag des Lichterfests bereits von Zechern bevölkert. Tatsächlich hatten viele die Nacht durchgezecht. Die Festlichkeiten waren von Begeisterung begleitet und nur wenige gönnten dem Mann mit dem lockigen Bart, dem grimmigen Gesicht und der Streitaxt an der Hüfte, der einen großen Kastanienbraunen die pfeilgeraden Straßen auf den Fluß zu führte, mehr als einen Blick. Einige betrachteten jedoch seine Begleiter. Ein Aielmann war inzwischen ein gewohnter Anblick, obwohl sie die Straßen mieden, seit die Feierlichkeiten begonnen hatten, aber man sah nicht jeden Tag einen Ogier, der größer war als ein Mann zu Pferde, und insbesondere keinen Ogier, der eine Streitaxt trug, deren Griff fast so lang wie er groß war. Der Ogier ließ den bärtigen Mann leutselig wirken.

Die Schiffe auf dem Alguenya hatten alle ihre Laternen angezündet, einschließlich der MeervolkSchiffe, die viele Gerüchte bewirkten, weil sie so lange vor Anker blieben, ohne nennenswerte Kontakte mit dem Ufer zu halten. Den Gerüchten nach, die Perrin gehört hatte, mißbilligte das Meervolk die Vorgänge in der Stadt noch mehr als die Aiel, und er dachte, Gaul würde vor Schreck sterben, wann immer er einen Mann und eine Frau sich küssen sah. Ob die Frau eine Bluse trug oder nicht, schien Gaul weitaus weniger zu kümmern als die Tatsache, daß sie sich in aller Öffentlichkeit küßten.

Lange Steinpiere ragten zwischen hohen, flankierenden Mauern in den Fluß hinein, und Schiffe jeglicher Größe und Bauart hatten angelegt, einschließlich Fähren, die nur ein einziges bis hin zu fünfzig Pferden aufnehmen konnten, aber Perrin sah auf keiner der Fähren mehr als einen Mann. Er zügelte seinen Kastanienbraunen, als er zu einem breiten Schiff ohne Masten von einigen sechs oder sieben Spann Länge kam, das an Steinpfosten befestigt war. Seine Rampe zum Pier war an ihrem Platz. Ein dicker, grauhaariger Mann mit bloßem Oberkörper saß an Deck auf einem umgedrehten Faß, und eine grauhaarige Frau mit einem halben Dutzend leuchtenden Schlitzen am Oberteil ihres dunklen Gewandes saß auf seinen Knien.

»Wir wollen übersetzen«, sagte Perrin laut und versuchte, nur soweit hinzusehen, daß er erkennen konnte, ob die beiden sich losließen. Sie taten es nicht. Perrin warf ein andoranisches Goldstück auf die Fähre, und der Klang der auf das Deck prallenden großen Goldmünze ließ den Burschen den Kopf wenden. »Wir wollen übersetzen«, wiederholte Perrin und legte ein zweites Goldstück auf seine Handfläche. Kurz darauf legte er noch ein weiteres dazu.

Der Fährmann leckte sich die Lippen. »Ich werde Ruderer suchen müssen«, murrte er mit einem Blick auf Perrins Hand.

Perrin nahm seufzend zwei weitere Goldstücke aus seiner Börse. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihm selbst beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen waren, weil er eine solche Münze haben wollte.

Der Fährmann sprang auf, ließ die Adlige schwungvoll auf ihr Hinterteil plumpsen und kletterte die Rampe hinauf, wobei er keuchend hervorbrachte, es würde nur Augenblicke dauern, Mylord, nur Augenblicke. Die Frau sah Perrin äußerst vorwurfsvoll an und entschwebte mit einer Würde die Pier hinab, die nur dadurch ein wenig beeinträchtigt wurde, daß sie sich das Gesäß rieb. Bald jedoch raffte sie ihre Röcke und schloß sich eilig einer Gruppe von Tänzern an, die am Ufer entlanghüpften. Perrin konnte ihr Lachen hören.

Es dauerte länger als nur Augenblicke, aber anscheinend genügte das Versprechen des Goldes, denn in nicht allzu langer Zeit hatte der Fährmann genügend Burschen versammelt, so daß die meisten Ruderbänke besetzt werden konnten. Perrin stand da und streichelte die Nase des Kastanienbraunen, während das Schiff auf den Fluß hinausfuhr. Er hatte sich noch nicht für einen Namen entschieden. Das Tier stammte aus den Ställen des Sonnenpalasts und bot einen prächtigen Anblick, obwohl es nicht mit Stepper zu vergleichen war.