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Hochrufe machten sich natürlich jetzt breit, denn wer würde sonst mit einer Eskorte von Töchtern des Speers und mit dem Drachenszepter in der Hand durch das Lager gehen. »Das Licht leuchte dem Lord Drachen!« und »Die Gnade des Lichts dem Lord Drachen!« und Ähnliches erklang von allen Seiten. Bei vielen schien das sogar ernst gemeint, obwohl das natürlich schwer festzustellen war, wenn alle aus voller Kehle schrien. Andere allerdings starrten nur mit steinerner Miene herüber oder ließen ihre Pferde wenden und ritten — nicht zu schnell — davon. Schließlich wußte man ja nicht, wann er vielleicht einen Blitz vom Himmel herabrief oder einen Spalt in der Erde öffnete. Männer, die mit der Macht umgehen konnten, wurden am Ende verrückt, und wer kann schon voraussagen, was ein Wahnsinniger anstellt oder wann? Ob sie nun jubelten oder nicht, musterten sie doch die Töchter mißtrauisch. Nur wenige hatten sich daran gewöhnen können, daß Frauen wie die Männer Waffen trugen, und außerdem waren sie Aiel, und jeder wußte, daß die Aiel genauso unberechenbar waren wie Verrückte.

Der Lärm reichte nicht aus, um alles zu übertönen, was die Töchter hinter Rand sagten.

»Er hat einen feinen Sinn für Humor. Wer ist das?« Das kam von Enaila.

»Er heißt Leiran«, antwortete Somara. »Einer der Cosaida Chareen. Du glaubst, er habe Humor, weil er deinen Scherz für besser hielt als seinen eigenen? Er sieht aber tatsächlich so aus, als habe er kräftige Hände.« Mehrere der Töchter glucksten vor Vergnügen.

»Habt Ihr Enaila nicht auch prachtvoll gefunden, Rand al'Thor?« Sulin schritt neben ihm einher. »Ihr habt nicht gelacht. Ihr lacht überhaupt niemals. Manchmal glaube ich, Ihr habt überhaupt keinen Sinn für Humor.«

Rand blieb auf dem Fleck stehen und fuhr sie derart plötzlich an, daß mehrere zu ihren Schleiern griffen und sich umblickten, was ihn so erschreckt habe. »Ein jähzorniger alter Bauer namens Hu entdeckte eines Morgens, daß sein bester Hahn in einen hohen Baum gleich neben seinem Ententeich geflogen war und nicht mehr herunterkommen wollte. So ging er zu seinem Nachbarn Wil und bat ihn um Hilfe. Die Männer hatten sich noch nie vertragen, aber Wil war endlich doch einverstanden, und so gingen die beiden Männer zum Teich und begannen, auf den Baum zu klettern, Hu zuerst. Sie hatten vor, den Hahn zu erschrecken, damit er herausflog, doch der Vogel flog statt dessen immer höher, von Ast zu Ast. Dann, als Hu und der Hahn beinahe die Baumkrone erreicht hatten, mit Wil dicht auf den Fersen, gab es einen lauten Knacks, der Ast unter Hus Füßen brach, und er klatschte hinunter in den Teich. Wasser und Schlamm spritzten nach allen Seiten. Wil kletterte hinunter, so schnell er konnte, und reichte Hu vom Ufer aus seine Hand, aber Hu lag einfach auf dem Rücken im Wasser und sank immer tiefer in den Schlamm, bis nur noch seine Nase aus dem Wasser ragte. Ein anderer Bauer hatte gesehen, was geschehen war, und er rannte herbei und zog Hu aus dem Teich. ›Warum hast du Wils Hand nicht ergriffen?‹ fragte er Hu. ›Du hättest ertrinken können.‹ ›Warum sollte ich seine Hand nehmen?‹ grollte Hu. ›Ich bin vor einem Moment erst bei hellem Tageslicht an ihm vorbeigekommen, und er hat kein Wort mit mir gesprochen.«« Er schwieg erwartungsvoll.

Die Töchter tauschten verständnislose Blicke. Schließlich sagte Somara: »Was ist mit dem Teich passiert? Sicher liegt die Pointe dieser Geschichte doch im Wasser begründet?«

Rand hob ergeben die Hände und ging weiter zu dem Zeltpavillon mit den rotgestreiften Seiten. Er hörte, wie hinter ihm Liah sagte: »Ich glaube, das sollte ein Scherz oder so etwas sein.«

»Wie können wir lachen, wenn er überhaupt nicht weiß, was mit dem Wasser geschehen ist?« sagte Maira.

»Es war der Hahn«, warf Enaila ein. »Der Humor dieser Feuchtländer ist schon eigenartig. Ich glaube, es muß etwas mit dem Hahn gewesen sein.«

Er bemühte sich, einfach nicht mehr hinzuhören. Die Verteidiger des Steins standen noch strammer, als er näher kam, falls das überhaupt möglich war, und die beiden, die vor den goldumrandeten Zeltklappen standen, glitten zur Seite und zogen den Eingang auf. Ihre Blicke waren starr auf irgendeinen Punkt hinter den Aielfrauen gerichtet.

Rand hatte die Verteidiger des Steins bereits einmal in den Kampf geführt, und zwar in einen verzweifelten Kampf gegen Myrddraal und Trollocs in den Sälen und Gängen des Steins von Tear selbst. In jener Nacht hätten sie jedem gehorcht, der vortrat, um sie anzuführen, aber er war eben derjenige gewesen, der das tat.

»Der Stein steht noch«, sagte er mit gedämpfter Stimme. Das war damals ihr Schlachtruf gewesen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über einige jener Gesichter, bevor sie wieder zu hölzernen Masken erstarrten. In Tear lächelte ein einfacher Mann nicht über das, was ein Lord sagte, es sei denn, er war absolut sicher, daß der Lord wünschte, ihn lächeln zu sehen.

Die meisten der Töchter hockten sich entspannt vor das Zelt, die Speere über die Knie gelegt. Diese Position konnten sie stundenlang beibehalten, ohne einen Muskel zu rühren. Nur Sulin folgte Rand zusammen mit Liah, Enaila und Jalani nach drinnen. Und wären diese Verteidiger des Steins auch alle Rands Jugendfreunde gewesen, hätten die Töchter doch genauso mißtrauisch aufgepaßt. Die Männer im Innern des Zelts zählte er allerdings keineswegs zu seinen Freunden.

Bunte Fransenteppiche bedeckten den Boden des Zeltpavillons, mit tairenischen Labyrinthen und kunstvollen Runenmustern, und in der Mitte stand ein massiver Tisch, rundum beschnitzt und vergoldet und mit auffälligen Einlegearbeiten aus Elfenbein und Türkis. Man benötigte wohl einen Wagen allein, um dieses Ding zu transportieren. Der mit Landkarten bedeckte Tisch trennte eine Gruppe von einem Dutzend Tairenern mit verschwitzten Gesichtern von etwa halb so vielen Männern aus Cairhien, die noch mehr unter der Hitze zu leiden schienen. Jeder Mann hielt einen goldenen Pokal in der Hand, der von ansonsten im Hintergrund bleibenden Dienern in schwarz goldener Livree immer wieder mit gewürztem Wein aufgefüllt wurde. Alle Adligen trugen Seidenkleidung, nur die glattrasierten Männer aus Cairhien, klein, schlank und blaß, wenn man sie mit den Männern an der anderen Seite des Tisches verglich, trugen dunkle Kurzmäntel, und bis auf die bunten Querstreifen in den Farben ihrer Häuser auf der Brust wirkte ihre Kleidung nüchtern. Die Anzahl dieser Streifen deutete auf den Rang ihres Hauses hin. Die Tairener dagegen, bei denen die meisten Gesichter von sorgfältig gestutzten und eingeölten Vollbärten geziert wurden, trugen wattierte Kurzmäntel, die eine grelle Kakophonie von Farben zeigten, Rot und Gelb und Grün und Blau, aus Satin und Brokat, mit Silber- oder Goldfadenstickerei. Die Männer aus Cairhien wirkten ernsthaft, wenn nicht gar etwas mürrisch. Die meisten zeigten eingefallene Wangen, und jeder hatte den vorderen Teil seines Skalps rasiert und eingepudert. Das war einst Mode bei den Soldaten Cairhiens gewesen, aber nicht bei den Lords. Die Tairener lächelten und schnüffelten an parfümierten Taschentüchern und Pomadetiegeln, die das ganze Zelt mit ihren schweren und aufdringlichen Düften erfüllten. Außer dem Punsch schienen sie nur eines gemeinsam zu haben: Sie starrten die Töchter des Speers alle gleichermaßen finster an und versuchten dann krampfhaft, vorzugeben, die Aiel seien sämtlich unsichtbar.

Hochlord Weiramon, dessen eingeölter Bart und das Haar graue Strähnen aufwiesen, verbeugte sich tief. Hier war er einer von vier Hochlords. Besonders seine kunstvoll mit Silber verzierten Stiefel fielen auf. Die anderen waren der salbungsvolle, übermäßig fette Sunamon, dann Tolmeran, dessen eisengrauer Bart wie die Speerspitze auf dem Schaft seines hageren Körpers wirkte, und schließlich Torean mit seiner Kartoffelnase, der noch mehr nach Bauer aussah als die meisten Bauern selbst. Doch Rand hatte Weiramon das Oberkommando anvertraut — jedenfalls für den Augenblick. Die anderen acht waren Lords von geringerem Rang, ein paar davon glattrasiert, aber mit kaum weniger Grau in den Haaren. Sie befanden sich hier, weil sie dem einen oder anderen der anwesenden Hochlords Gefolgschaft geschworen hatten, aber alle verfügten über einige Kampferfahrung.