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So setzte er den Hut auf und nahm den Speer mit dem schwarzen Schaft von seinem Platz neben der Tür. Das war ein weiteres Geschenk von der anderen Seite jenes Ter'Angreal, mit seiner Inschrift in der Alten Sprache am Schaft und der eigenartigen Spitze in Form einer kurzen Schwertklinge, die mit zwei Raben gezeichnet war.

»Heute inspizieren wir die Schankräume«, sagte er zu Edorion, und sie schritten in die Mittagshitze hinaus und in den Lärm und das Gedränge von Maerone.

Es war eine kleine Stadt ohne schützende Mauer, wenn auch fünfzigmal so groß wie jede, die er gesehen hatte, bevor er die Zwei Flüsse verließ. Eigentlich mehr ein großes Dorf. Nur wenige der meist aus Backstein oder Naturstein erbauten Häuser wiesen mehr als ein einziges Stockwerk auf und nur die Schenken zeigten stolze drei Stockwerke. Die Dächer in Sicht waren etwa zu gleicher Zahl mit Holzschindeln, Stroh, Schiefer oder Ziegeln gedeckt. Auf den meist ausgetretenen Lehmstraßen drängten sich jetzt Menschenmengen. Die Bewohner der Stadt kamen aus aller Herren Länder; die überwiegende Zahl allerdings aus Cairhien und Andor. Obwohl es auf der Seite Cairhiens am Erinin lag, gehörte Maerone nun keiner Nation mehr an, sondern vollführte einen Balanceakt zwischen beiden Ländern, und Menschen aus mindestens einem halben Dutzend Ländern wohnten hier oder kamen durch. Man hatte sogar drei oder vier Aes Sedai gesichtet, seit Mat angekommen war. Trotz des Medaillons, das er immer um den Hals trug, machte er einen weiten Bogen um sie, denn er wollte keine Schwierigkeiten heraufbeschwören, aber sie reisten genauso schnell weiter, wie sie angekommen waren. Sein Glück hielt ihm die Treue, wenn es darauf ankam. Bisher jedenfalls.

Die Menschen eilten ihren Geschäften nach und ignorierten zumeist die abgerissenen Männer, Frauen und Kinder, die müßig umherwanderten. Alle stammten aus Cairhien, und die letzteren schlenderten gewöhnlich bis zum Flußufer hinunter, bevor sie wieder in die Flüchtlingslager zurückkehrten, die rund um die Stadt errichtet worden waren. Allerdings gingen nur wenige ganz weg, um nach Hause zurückzukehren. Der Bürgerkrieg in Cairhien mochte wohl beendet sein, doch es gab immer noch Räuberbanden, und außerdem hatten sie Angst vor den Aiel. Es konnte gut sein, so hatte Mat bereits überlegt, daß sie fürchteten, dem Wiedergeborenen Drachen zu begegnen. Zugrunde lag aber eigentlich eine Tatsache: Sie waren soweit gelaufen, wie sie nur konnten. Kaum einer von ihnen besaß noch die Energie, weiter zu gehen als bis zum Fluß. Dort standen sie dann und blickten nach Andor hinüber.

Die Soldaten der Bande ließen die Menschenmenge noch weiter anschwellen. Allein oder in kleinen Gruppen schlenderten sie an Läden und Tavernen vorbei. Dazwischen marschierten ganze Truppenteile in strenger Formation, Armbrust- und Bogenschützen in Lederwesten, auf die sie Stahlscheiben genäht hatten, Pikeure mit verbeulten Harnischen, die wirkten, als hätten irgendwelche Adligen sie weggeworfen oder als habe man sie einfach den Gefallenen abgezogen. Überall dazwischen sah man gerüstete Reiter, tairenische Lanzenträger mit ihren geränderten Helmen und Kavalleriesoldaten aus Cairhien mit den typischen glockenförmigen Helmen. Sogar ein paar Andoraner waren dabei, gut an ihren kegelförmigen Helmen mit den Gittervisieren erkennbar. Rahvin hatte eine ganze Menge Männer aus der königlichen Garde verwiesen, Männer, die loyal zu Morgase gehalten hatten, und einige davon hatten sich der Bande angeschlossen. Fliegende Händler wanderten mit ihren Bauchläden durch die Menge und schrien über die Köpfe hinweg, was sie an Waren zu bieten hätten: Nadel und Faden, Tinkturen, die angeblich bei jeder Art von Wunde helfen sollten, und Medikamente, die alles heilten, von Abschürfungen bis zu Wasserblasen bis zum Lagerkoller, dazu Seife, Blechtöpfe und —tassen, die garantiert nie rosteten, Wollstrümpfe, Messer und Dolche aus feinstem andoranischen Stahl — darauf gaben die Verkäufer ihr Wort — und überhaupt alles, was ein Soldat benötigte oder wovon die Händler glaubten, sie könnten den Soldaten einen Bedarf einreden. Der Lärm war so stark, daß selbst das Geschrei der Händler drei Schritte weiter bereits davon verschluckt wurde.

Die Soldaten erkannten Mat natürlich sofort, und viele jubelten ihm zu, sogar solche Männer, die zu weit entfernt waren, um mehr als seinen breitkrempigen Hut und den eigenartigen Speer erkennen zu können. Diese Zeichen jedoch machten ihn genauso schnell erkennbar wie die Wimpel die Adligen. Alle möglichen Gerüchte waren ihm zu Ohren gekommen, warum er Rüstung und Helm verschmähte. Das ging von übertriebener Tapferkeit und Leichtsinn bis hin zu der Behauptung, nur eine solche Waffe könne ihn töten, die vom Dunklen König selbst geschmiedet worden sei. Manche meinten, der Hut sei ihm von den Aes Sedai verliehen worden, und solange er ihn trug, könne ihn überhaupt nichts töten. Tatsächlich war es nur ein völlig normaler Hut, den er aufsetzte, weil die breite Krempe seinem Gesicht Schatten spendete. Und weil er ihn immer daran erinnerte, daß er sich von jeder Gelegenheit fernhalten mußte, bei der er vielleicht Helm und Rüstung benötigen würde. Die Gerüchte, die über seinen Speer mit dieser Inschrift im Umlauf waren, die sogar unter seinen Adligen Offizieren kaum einer lesen konnte, waren allerdings noch viel ausschweifender. Aber keines kam der Wahrheit auch nur im Entferntesten nahe. Die mit den Raben gekennzeichnete Klinge war während des Schattenkriegs von Aes Sedai angefertigt worden, noch vor der Zerstörung der Welt, und sie mußte niemals geschliffen werden. Außerdem bezweifelte er, daß er sie zerbrechen könne, und wenn er sich noch so sehr anstrengte.

Er winkte dankend auf solche Rufe hin, wie: »Das Licht leuchte Lord Matrim!« und »Mit Lord Matrim zum Sieg!« und ähnlichem Unsinn. So bahnte er sich mit Edorion zusammen den Weg durch die Menge. Wenigstens mußte er sich nicht hindurchdrängen, da die Menschen ihm Platz machten, sobald sie seiner gewahr wurden. Er wünschte sich, die Flüchtlinge würden ihn nicht mit solchen Blicken anstarren, als trage er ihre gesamte Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Rocktasche. Er wußte einfach nicht, was er für sie tun konnte, abgesehen davon, daß er selbstverständlich dafür sorgte, sie mit Lebensmitteln aus den Wagenzügen von Tear zu versorgen. Viele waren nicht nur abgerissen, sondern auch noch ziemlich schmutzig.

»Ist die Seife überhaupt in den Lagern angekommen?« brummte er.

Edorion hörte es trotz all des Lärms. »Ist sie. Die meisten tauschen sie aber bei den Händlern wieder gegen billigen Wein um. Sie wollen keine Seife. Sie wollen entweder über den Fluß oder den eigenen Kummer im Wein ertränken.«

Mat knurrte mürrisch. Den Übergang nach Aringill konnte er ihnen auch nicht verschaffen.

Bis der Bürgerkrieg und noch Schlimmeres Cairhien zerriß, war Maerone ein Knotenpunkt für den Handel zwischen Cairhien und Tear gewesen, und das bedeutete, daß es hier fast genausoviele Schenken und Tavernen gab wie Wohnhäuser. Die ersten fünf, in die er seine Nase steckte, unterschieden sich kaum voneinander, von der ›Fuchs und Gans‹-Schenke bis zur ›Kutscherpeitsche‹: alles Steingebäude mit vollen Tischen und gelegentlich aufflammenden Raufereien, die Mat gar nicht weiter beachtete. Immerhin gab es keine Betrunkenen.

Das ›Flußtor‹ ganz am anderen Ende der Stadt war Maerones beste Schenke gewesen, doch schwere Bretter, die man über die mit Sonnenscheiben beschnitzten Türen genagelt hatte, sollten die Wirte und Schankkellner dazu ermahnen, die Soldaten der Bande nicht betrunken zu machen. Trotzdem schlugen sich sogar nüchterne Soldaten gelegentlich — Tear gegen Cairhien und gegen Andor, Infanterie gegen Kavallerie, selbst die Männer eines Lords gegen die eines anderen, Veteranen gegen Grünschnäbel, Soldaten gegen Zivilisten. Die Raufereien wurden aber niedergeschlagen, bevor sie außer Kontrolle gerieten. Soldaten mit Knüppeln und breiten roten Stoffbahnen an den Unterarmen sorgten dafür. Jede Einheit kam an die Reihe, Rotarme für diesen Zweck abzustellen, jeden Tag andere Männer, und die Rotarme mußten alle Schäden bezahlen, die an einem Tag angerichtet wurden, an dem sie Dienst hatten. Das führte dazu, daß sie äußerst eifrig den Frieden zu wahren versuchten.