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»Wir rücken vor, wenn es soweit ist«, sagte Mat daraufhin. »Nicht nötig, Sammael wissen zu lassen, daß wir kommen.«

Edorion warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. Dieser Tairener war kein Dummkopf. Nicht, daß Nalesean einer gewesen wäre. Er war eben nur manchmal übereifrig. Aber Edorion hatte einen scharfen Verstand.

Nalesean hätte die Hufschmiede überhaupt nicht bemerkt. Wie schade, daß das Haus Aldiaya höher im Rang stand als das Haus Selorna, sonst hätte Mat Edorion auf Naleseans Posten gesetzt. Diese törichten Adligen mit ihrer idiotischen Rangfolge. Nein, Edorion war kein Holzkopf. Er wußte, daß die Nachricht von ihrem Vorrücken sich blitzschnell mit dem gesamten Flußverkehr ausbreiten würde, und vermutlich würden Spione sie mit Brieftauben weitergeben. Mat hätte jedenfalls nicht einmal dann darauf gewettet, daß sich in Maerone keine Spione befänden, wenn sein Glück wie mit dem Holzhammer auf seinen Kopf eingeprügelt hätte.

»Es geht auch das Gerücht um«, sagte Edorion so leise es der Straßenlärm zuließ, »daß der Lord Drache sich gestern in der Stadt befunden habe.«

»Das Größte, was gestern passiert ist«, stellte Mat trocken fest, »war, daß ich zum erstenmal seit einer Woche ein Bad nehmen konnte. Jetzt kommt weiter. Wir werden sowieso noch den halben restlichen Tag brauchen, um unsere Runde zu beenden.«

Er hätte ja einiges dafür gegeben, herauszufinden, wie dieses Gerücht zustande gekommen war. Es lag nur um einen halben Tag falsch und es war doch niemand dabeigewesen, der sie hätte beobachten können. Es war in den ganz frühen Morgenstunden noch vor Sonnenaufgang gewesen, als plötzlich ein greller Lichtstreifen in seinem Zimmer im ›Goldenen Hirsch‹ erschienen war. Er war verzweifelt über das Himmelbett mit seinen vier Pfosten gehechtet, den einen Stiefel ganz und den anderen zur Hälfte ausgezogen, und hatte das Messer herausgerissen, das zwischen seinen Schulterblättern hing, bevor er erkannte, daß es sich um Rand handelte, der aus einem dieser verdammten Löcher ins Nichts herausstieg. Offensichtlich kam er aus dem Palast in Caemlyn, denn es waren noch ein paar Säulen im Hintergrund sichtbar gewesen, bevor die Öffnung verschwand. Es überraschte ihn schon sehr, daß er mitten in der Nacht ankam, ohne seine Aiel, und dann auch noch geradewegs in Mats Zimmer auftauchte. Diese Tatsache ließ Mat die Haare zu Berge stehen. Wenn er am falschen Fleck gestanden hätte, dann hätte ihn dieses Ding glatt in zwei Hälften zerschneiden können. Er konnte diese Tricks der Einen Macht einfach nicht leiden. Das Ganze war überhaupt schon sehr eigenartig gewesen.

»Eile mit Weile, Mat«, sagte Rand, wobei er im Zimmer auf und ab schritt. Er blickte nie in Mats Richtung. Sein Gesicht glänzte von Schweiß und sein Kinn wirkte trotzig. »Er muß es kommen sehen. Alles kommt darauf an.«

Im Sitzen auf dem Bett riß sich Mat den Stiefel ganz vom Fuß und ließ ihn auf den kleinen Bettvorleger fallen, den ihm Frau Daelvin zugestanden hatte. »Ich weiß«, sagte er mürrisch, und dann unterbrach er sich und rieb sich erst einmal den Knöchel, den er an einem Bettpfosten angeschlagen hatte. »Ich habe geholfen, diesen verdammten Plan zu entwerfen, oder erinnerst du dich nicht mehr daran?«

»Woran merkst du, daß du eine Frau liebst, Mat?« Rand hörte nicht mit dem Herumgetigere auf und seine Frage klang, als gehöre sie durchaus zu seinem vorherigen Gesprächsthema.

Mat riß die Augen auf. »Woher, beim Krater des Verderbens, soll ich das wissen? In diese Falle habe ich noch nie einen Fuß gesetzt. Wie kommst du denn auf sowas?« Aber Rand rollte nur seine Schultern, als streife er etwas ab. »Ich werde Sammael fertigmachen, Mat. Das habe ich versprochen, und ich schulde es den Toten. Aber wo halten sich die anderen auf? Ich muß sie alle erledigen.«

»Aber doch wohl einen nach dem anderen.« Beinahe wäre daraus eine Frage geworden; man konnte nie wissen, was sich Rand heutzutage vielleicht in den Kopf gesetzt hatte.

»Es befinden sich Drachenverschworene in Murandi, Mat. Und auch in Altara. Männer, die sich mir verschworen haben. Sobald Illian mein ist werden Altara und Murandy wie reife Pflaumen fallen. Ich werde Kontakt mit den Drachenverschworenen in Tarabon aufnehmen und in Arad Doman, und falls mich die Weißmäntel aus Amadicia fernhalten wollen, werde ich sie zerschmettern. Der Prophet hat Ghealdan bereits vorbereitet und Amadicia zumindest zum Teil, wie ich hörte. Kannst du dir Masema als Propheten vorstellen? Saldaea wird sich mir anschließen, wie mir Bashere versichert. Alle Grenzlande werden zu mir kommen. Sie müssen einfach! Ich werde es schaffen, Mat. Alle Länder vereint, bevor die Letzte Schlacht beginnt. Ich werde es schaffen!« Rands Stimme klang nun etwas fieberhaft.

»Sicher, Rand«, sagte Mat in beruhigendem Tonfall und stellte seinen anderen Stiefel neben den ersten. »Aber eins nach dem anderen, ja?«

»Kein Mann sollte die Stimme eines anderen Mannes im Kopf tragen«, murmelte Rand, und Mats Hände erstarrten, als er gerade einen Wollstrumpf herunterrollen wollte. Seltsamerweise ertappte er sich dabei, wie er sich fragte, ob er dieses Paar Strümpfe wohl noch einen weiteren Tag lang tragen könne. Rand wußte einiges von dem, was innerhalb jenes Ter'Angreal in Rhuidean geschehen war — wußte jedenfalls, daß er irgendwie weitreichende militärische Kenntnisse gewonnen hatte —, aber doch nicht alles. Bestimmt nicht alles, dachte sich Mat. Nicht das mit den Erinnerungen anderer Männer. Rand schien nichts Außergewöhnliches zu bemerken. Er strich sich lediglich mit den Fingern durchs Haar und fuhr fort: »Man kann ihn durchaus hinters Licht führen, Mat, weil Sammael so geradlinig denkt, aber gibt es irgendein Schlupfloch, durch das er entkommen könnte? Wenn wir nur einen einzigen Fehler begehen, werden Tausende sterben. Zehntausende. Hunderte werden sowieso sterben, aber ich will nicht, daß daraus tausende werden.«

Mat machte bei diesen Gedanken mit einemmal eine so böse Miene, daß ein Straßenhändler mit verschwitztem Gesicht, der ihm gerade einen Dolch aufschwatzen wollte, dessen Griff mit bunten gläsernen ›Edelsteinen‹ bedeckt war, diesen beinahe hätte fallen lassen und dann schnell in der Menge untertauchte. Es war immer so bei Rand, daß er vom Hundertsten ins Tausendste kam, von der Invasion in Illian auf die Verlorenen, dann auf Frauen — Licht, Rand war doch derjenige, der immer so gut bei Frauen ankam, er und Perrin —, von der Letzten Schlacht auf die Töchter des Speers und dann auf Dinge, die Mat kaum verstand, und er hörte Mat nur selten zu, wenn der ihm antwortete, und manchmal wartete er nicht einmal auf eine Antwort. Zu hören, wie Rand von Sammael sprach, als kenne er den Mann persönlich und gut, war auch mehr als nur beunruhigend. Er wußte, daß Rand irgendwann einmal wahnsinnig würde, aber falls der Wahnsinn sich bereits jetzt einschlich...

Und was war mit den anderen, diesen Narren, die Rand um sich versammelte, die doch tatsächlich mit der Macht arbeiten wollten, und mit diesem Burschen namens Taim, der das bereits konnte? Rand hatte das nur ganz nebenher erwähnt: Mazrim Taim, der falsche verdammte Drache, unterrichtete Rands verdammte Studenten oder was auch immer sie waren! Wenn sie alle auf einmal wahnsinnig wurden, wollte sich Mat nicht innerhalb von tausend Meilen im Umkreis aufhalten.

Nur konnte er sich seinen Platz genausowenig aussuchen wie ein Blatt im Wirbelsturm. Er war ein Ta'veren, doch Rand war eindeutig der stärkere. In den Prophezeiungen des Drachen stand nichts von Mat Cauthon, aber er war gefangen wie ein Wiesel unter dem Gartenzaun. Licht, wie er sich wünschte, niemals das Horn von Valere erblickt zu haben!

So stolzierte er mit grimmiger Miene durch das nächste Dutzend Tavernen und Schankraume, in immer weiteren Kreisen um den ›Goldenen Hirsch‹ herum. Sie unterschieden sich wirklich kaum von der ersten: Tische, an denen sich die Männer drängten, tranken, Würfel rollen ließen oder sich mit Fingerhakeln vergnügten, Musiker, die man über den Lärm hinweg in mehr als der Hälfte aller Fälle kaum mehr hörte, Rotarme, die jede Rauferei im Keim zu ersticken versuchten, ein Gaukler, der in einem davon Die Große Jagd rezitierte, denn der Zyklus war äußerst populär, selbst wenn sich keine Jäger des Horns in der Nähe befanden, und in einer anderen Taverne eine kleine junge Frau mit hellem Haar, die ein etwas unzüchtiges Lied von sich gab, das durch ihr rundes Gesicht mit den großen, unschuldigen Augen noch unzüchtiger wirkte.