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Sie betrachtete die Münze einen Augenblick lang und stellte sich dann auf Zehenspitzen, um ihn ganz leicht auf den Mund zu küssen. Es war wie die Berührung einer Feder. »Ich würde Euch niemals hängen, was Ihr auch anstellt. Tanzt Ihr morgen wieder mit mir?« Bevor er antworten konnte, kicherte sie und eilte davon, wobei sie ihn noch über die Schulter anblickte, obwohl sie bereits Edorion zur Tanzfläche zu zerren versuchte. Frau Daelvin fing das Paar allerdings ab und drückte Betse eine Schürze in die Hand. Dann deutete sie mit dem Daumen in Richtung der Küche.

Mat humpelte leicht, als er zu dem Tisch an der hinteren Wand hinüberschritt, an dem sich Talmanes, Daerid und Nalesean vergraben hatten. Talmanes starrte in seinen Becher, als erhoffe er sich von dem Wein tiefschürfende Erkenntnisse. Ein grinsender Daerid sah zu, wie Nalesean versuchte, sich eine dralle Serviererin mit grauen Augen und hellbraunem Haar vom Leib zu halten, ohne zuzugeben, daß er wunde Füße hatte. Mat stützte die Fäuste auf den Tisch. »Die Bande rückt beim ersten Tageslicht nach Süden ab. Ihr fangt besser gleich mit den Vorbereitungen an.« Die drei Männer starrten ihn mit offenen Mündern an.

»Das sind ja nur ein paar Stunden«, protestierte Talmanes, während gleichzeitig Nalesean sagte: »Es wird schon so lange dauern, sie auch nur aus den verschiedenen Tavernen herauszuzerren.«

Daerid, der kurz zusammengezuckt war, schüttelte nun den Kopf. »Heute nacht kommt keiner von uns zum Schlafen.«

»Ich schon«, sagte Mat. »Einer von Euch soll mich in zwei Stunden aufwecken. Beim ersten Tageslicht marschieren wir los.«

Und so fand er sich im grauen Schein der ersten Dämmerung auf Pips wieder, seinem kräftigen braunen Wallach, hatte den Speer vor sich über den Sattel gelegt und den unbespannten Langbogen unter die Halterung der Satteltaschen geschoben. In seinen Augen hätte man die Wirkung von Schlafmangel und Kopfschmerzen entdecken können, als er beobachtete, wie die Bande der Roten Hand Maerone verließ. Alle sechstausend. Die Hälfte zu Pferde, die Hälfte zu Fuß, und zusammen veranstalteten sie einen Lärm, um Tote in ihren Gräbern aufzuwecken. Trotz der frühen Stunde standen die Menschen am Straßenrand oder hingen staunend aus den Fenstern.

Die quadratische Flagge mit den roten Fransen und einer roten Hand auf weißem Grund wies ihnen den Weg. Unter der Hand war in hochroten Buchstaben der Wahlspruch der Bande aufgestickt: Dovie'andi se tovya sagain. »Es ist an der Zeit, die Würfel rollen zu lassen.« Nalesean, Daerid und Talmanes ritten neben dem Flaggenträger. Zehn berittene Männer trommelten auf messingbesetzte Kesselpauken mit roten Behängen ein, und genauso viele Trompeter vervollständigten die Marschmusik. Dahinter kam Naleseans Kavallerie, eine Mischung aus tairenischen Rittern und Verteidigern des Steins, dazu Lords aus Cairhien mit den Cons auf dem Rücken und ihren Dienstmannen auf den Fersen, und auch noch einige Andoraner. Jede Schwadron hatte ihre eigene lange Flagge mit der Roten Hand und einem Schwert, sowie einer Nummer darauf. Mat hatte sie auslosen lassen, wer welche Nummer erhielt.

Dieses Durcheinandermischen der Nationalitäten hatte einigen Groll ausgelöst; mehr als nur ein wenig, um bei der Wahrheit zu bleiben. Zu Anfang hatte die Kavallerie aus Cairhien nur Talmanes Befehl unterstanden, und die Tairener wurden von Nalesean angeführt. Die Infanterie war dagegen von Beginn an durcheinandergewürfelt worden. Es hatte auch Klagen darüber gegeben, daß er alle Truppenteile gleich stark gemacht hatte, genau wie über die Nummern auf den Flaggen und Abzeichen. Die Lords und Hauptleute hatten immer so viele Männer unter ihren Wimpeln versammelt, wie ihnen folgen wollten. Sie waren dann eben als Edorions oder Meresins oder Alhandrins Männer geführt worden. Das gab es wohl immer noch in gewissem Maße — beispielsweise bezeichneten sich die fünfhundert Mann Edorions als ›Edorions Hämmer‹ und nicht einfach als Erste Schwadron —, aber Mat hatte ihnen eingetrichtert, daß jedermann der Bande angehörte, gleich, in welchem Land er zufällig geboren war, und jeder, dem dies nicht paßte, könne ja gehen. Das Bemerkenswerte daran war, daß kein einziger die Bande verließ.

Warum sie blieben, war schwer zu verstehen. Sicher, sie gewannen, solange er sie anführte, doch es starben schließlich trotzdem einige. Er hatte Schwierigkeiten damit, sie alle zu ernähren und dafür zu sorgen, daß sie mehr oder weniger pünktlich ihren Sold erhielten, und die Reichtümer, mit denen sie angaben, sie würden sie als Beute erlangen, konnten sie durchaus vergessen. Niemand hatte bisher etwas davon zu sehen bekommen, und er sah kaum eine Möglichkeit, daß sie diese Reichtümer je zu sehen bekämen. Es war schon verrückt.

Die Erste Schwadron begann, im Chor zu jubeln, und die Vierte und Fünfte schlossen sich dem Geschrei im Vorüberziehen an. Sie bezeichneten sich als ›Carlomins Leoparden‹ und ›Reimons Adler‹. »Lord Matrim zum Sieg! Lord Matrim zum Sieg!«

Hätte Mat einen Stein zur Hand gehabt, er hätte ihn ihnen an den Kopf geworfen.

Die Infanterie kam als nächstes in einer langen, gewundenen Reihe, jede Kompanie hinter einer Trommel, die den Marschrhythmus angab, und ebenfalls angeführt von einem Bannerträger. Auf ihren genauso langen Flaggen war statt des Schwertes eine Pike über der Hand abgebildet. In zwanzig Reihen marschierten sie unter einem Stachelpelz aus Piken, und dahinter jeweils fünf Reihen von Bogen- oder Armbrustschützen. Mit jeder Kompanie marschierten auch ein oder zwei Pfeifer, und zu ihrer Melodie sangen die Soldaten:

Singen und Tanzen, und für unsren Sold sind uns die schönsten Mädchen hold. Wir ziehen weiter, wenn verbraucht das Gold, und dann tanzen wir wieder mit dem Schwarzen Mann.

Mat wartete ab, bis die ersten Reiter von Talmanes Kavallerie erschienen, und dann gab er Pips die Fersen zu spüren. Überflüssig, auf die Proviantwagen oder die lange Kette der Ersatzpferde am Ende der Kolonne zu warten. Zwischen hier und Tear würden eine Menge Pferde lahmen oder aus Gründen verenden, gegen die die Hufschmiede und Pferdepfleger machtlos waren. Ein Kavalleriesoldat ohne Pferd war nicht viel wert. Auf dem Fluß krochen sieben kleinere Kähne unter dreieckigen Segeln langsam voran, nur unwesentlich schneller als die Strömung. Auf jedem flatterte eine kleine weiße Flagge mit der Roten Hand. Auch andere Schiffe befanden sich im Aufbruch. Ein paar hatten jeden Fetzen Segel gesetzt, den sie nur setzen konnten, um schnell voranzukommen.

Als er die Spitze der Kolonne einholte, lugte die Sonne schließlich über den Horizont und sandte ihre ersten Strahlen über die wogenden Hügel und vereinzelten Waldstücke. Er zog die Krempe seines Hutes weit herunter, um seine Augen gegen die grelle Lichtsichel zu schützen. Nalesean hielt sich eine im Kampfhandschuh steckende Hand vor den Mund und unterdrückte ein gewaltiges Gähnen, während Daerid zusammengesunken im Sattel hing, mit schweren Lidern, als werde er jeden Moment gleich an Ort und Stelle einschlafen. Nur Talmanes saß aufrecht im Sattel, mit weit geöffneten Augen und aufmerksam. Mat empfand mehr Mitgefühl für Daerid.

Trotzdem erhob er die Stimme, damit sie über all die Trommeln und Trompeten hinweg hörbar war: »Sendet die Kundschafter aus, sobald wir außer Sicht der Stadt sind!« Weiter im Süden würden sie sowohl Wald wie auch offenes Land antreffen, doch eine recht ordentlich befahrbare Straße durchschnitt beides. Allerdings spielte sich der meiste Verkehr auf dem Wasser ab, aber es waren im Laufe der Zeit so viele Menschen zu Fuß und im Wagen hier durchgekommen, daß eine deutliche Fahrspur geblieben war. »Und macht Schluß mit diesem verdammten Lärm!«

»Die Kundschafter?« sagte Nalesean nachdenklich. »Seng meine Seele — es befindet sich doch niemand mit auch nur einem Speer in der Hand innerhalb von zehn Meilen im Umkreis, es sei denn, Ihr glaubt, die Weißen Löwen hätten ihre Flucht aufgegeben. Aber selbst dann werden sie sich hüten, sich uns auch nur auf fünfzig Meilen zu nähern, falls sie eine Ahnung davon haben, daß wir uns in der Gegend befinden.«