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Semirhage unterbrach abrupt ihre Stränge von Saidar, aber es dauerte doch Minuten, bis die Schreie sich beruhigten und lediglich noch schweres Atmen zu hören war. »Wie heißt Ihr?« fragte sie sanft. Die Frage spielte an sich keine Rolle, nur mußte es eine sein, die von der Frau auch beantwortet wurde. Sie härte auch fragen können: »Wollt Ihr mir immer noch widerstehen?« Es war oft recht vergnüglich, gerade mit dieser Frage fortzufahren, bis sie darum bettelten, beweisen zu dürfen, daß sie ihr nun willfährig seien. Doch diesmal zählte tatsächlich jede einzelne Frage.

Ein unfreiwilliges Schaudern nach dem anderen durchlief den Körper der in der Luft hängenden Frau. Sie warf Semirhage einen mißtrauischen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, leckte sich die Lippen, hustete und stieß schließlich heiser hervor: »Cabriana Mecandes.«

Semirhage lächelte. »Es ist gut wenn Ihr mir die Wahrheit sagt.« Es gab Schmerzzentren im Gehirn, aber auch Zentren des Wohlbefindens. Sie reizte eines der letzteren, nur ein paar Augenblicke lang, aber sehr energisch, während sie näher herantrat. Der Schock ließ Cabriana die Augen soweit aufreißen, wie sie nur konnte. Sie schnappte nach Luft und zitterte. Semirhage zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel, hob das staunende Gesicht der Frau mit einem Finger unter dem Kinn an und tupfte zart den Schweiß weg. »Ich weiß, daß dies sehr schwer für Euch ist, Cabriana«, sagte sie mit warmer Stimme, »und deshalb müßt Ihr euch Mühe geben, um es mir nicht noch schwerer zu machen.« Mit einer sanften Berührung wischte sie eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn der Frau. »Hättet Ihr gern etwas zu trinken?« Sie wartete nicht erst auf eine Antwort, sondern gebrauchte die Macht, und eine verbeulte Metallflasche schwebte von dem kleinen Tisch in der Ecke hoch und direkt in ihre Hand. Die Aes Sedai wandte den Blick nicht von Semirhage, aber sie trank gierig. Nach ein paar Schlucken nahm Semirhage die Flasche weg und ließ sie auf den Tisch zurückschweben. »Ja, das ist besser, nicht wahr? Denkt daran, macht es Euch nicht selbst zu schwer.« Als sie sich abwandte, sprach die Frau wieder mit rauher Stimme: »Ich spucke in die Milch Eurer Mutter, Schattenanbeterin! Hört Ihr mich? Ich...«

Semirhage hörte nicht mehr hin. Zu jeder anderen Zeit hätte das ein warmes, angenehmes Gefühl in ihr ausgelöst, weil sie nun wußte, daß der Widerstand der Patientin noch nicht ganz gebrochen war. Die reinste, erhebendste Freude bereitete es ihr, wenn sie Trotz und Würde in ganz hauchdünnen Scheibchen abschneiden konnte, und dann zu beobachten, wie dies dem Patienten bewußt wurde und er oder sie verzweifelt und umsonst versuchte, sich noch an die kümmerlichen Reste zu klammern. Jetzt blieb aber keine Zeit dafür. Sorgfältig legte sie noch einmal ihr Gewebe um die Schmerzzentren in Cabrianas Gehirn und band es ab. Normalerweise wollte sie persönlich darüber wachen, doch diesmal war Eile geboten. So löste sie die Wirkung ihres Gewebes aus, gebrauchte die Macht, um das Licht zu löschen, und dann ging sie und schloß die Tür hinter sich. Die Dunkelheit würde auch einen Teil zum Erfolg beitragen. Allein, im Dunklen und dann diese Schmerzen...

Unwillkürlich gab Semirhage draußen einen enttäuschten Laut von sich. In dieser Art der Behandlung lag einfach keine Perfektion; es fehlten alle Feinheiten. Sie haßte es, so hetzen zu müssen. Und dann auch noch die ihr anvertraute Patientin alleinlassen zu müssen! Das Mädchen war willensstark und verstockt, die Umstände waren schwierig.

Der Korridor war beinahe genauso trostlos wie die gerade verlassene Zelle, einfach ein breiter, schattendüsterer, in den Stein gehauener Stollen, dessen in der Düsternis verschwimmende Seitengänge sie gar nicht erst erkunden wollte. Nur zwei andere Türen waren in Sicht, von denen die eine in ihr augenblickliches Quartier führte. Die Gemächer waren bequem genug, soweit sie sich darin aufhalten mußte, aber sie ging jetzt trotzdem nicht dorthin. Shaidar Haran stand nämlich vor dieser Tür, schwarz gekleidet und in Dämmerung gehüllt wie in eine Rauchwolke, und so unbeweglich, daß es wie ein Schock wirkte, als er zu sprechen begann. Seine Stimme klang wie das langsame Zermahlen von Knochen: »Was habt Ihr erfahren?«

Der Ruf zum Schayol Ghul hatte in einer Warnung des Großen Herrn gegipfelt: WENN DU SHAIDAR HARAN GEHORCHST, GEHORCHST DU MIR. WENN DU SHAIDAR HARAN NICHT GEHORCHST... So sehr sie diese Warnung auch ärgerte, war es nicht notwendig gewesen, ihr mehr zu sagen. »Ihren Namen. Cabriana Mecandes. Ich konnte in dieser Eile wohl kaum mehr in Erfahrung bringen.«

Er glitt auf diese augenverzerrende Art durch den Gang, der ebenholzfarbene Umhang starr wie immer herabhängend. Er wirkte wie die Materie gewordene Verneinung aller Bewegung. Im ersten Augenblick stand er wie eine Statue zehn Schritt entfernt, und im nächsten ragte er über ihr auf, so daß sie nur entweder zurückweichen oder sich den Hals verdrehen konnte, um in dieses leichenblasse, augenlose Gesicht hochzublicken. Zurückweichen kam überhaupt nicht in Frage. »Ihr werdet ihr alles Wissen vollständig entringen, Semirhage. Ihr werdet sie ausquetschen — ohne jede Verzögerung —und mir dann jede Kleinigkeit berichten, die Ihr erfahren habt.«

»Ich habe dem Großen Herrn versprochen, daß ich das tun würde«, sagte sie ihm mit kalter Stimme.

Blutleere Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Das war seine einzige Antwort. Er wandte sich ruckartig um, glitt durch Zonen tieferen Schattens im Gang und war dann mit einemmal verschwunden.

Semirhage wünschte sich, sie wisse, wie die Myrddraal das anstellten. Es hatte nichts mit der Macht zu tun, aber am diffusen Rand eines Schattens, wo das Licht sich zu Dunkelheit wandelte, war ein Myrddraal in der Lage, zu verschwinden und plötzlich in einem anderen Schatten ein ganzes Stück entfernt wieder aufzutauchen. Vor langer Zeit hatte Aginor mehr als hundert von ihnen untersucht, bis hin zu ihrer Zerstörung, und sich umsonst bemüht, herauszufinden, wie sie das bewerkstelligten. Die Myrddraal wußten es selbst nicht; das hatte auch sie bereits überprüft.

Mit einemmal wurde ihr bewußt, daß sie beide Hände verkrampft auf ihre Magengegend gepreßt hatte. Drinnen schien sich eine Eiskugel zu befinden. Es war schon viele Jahre her, daß sie zuletzt einmal Angst empfunden hatte, außer natürlich, wenn sie dem Großen Herrn im Krater des Verderbens gegenüberstand. Der Eisklumpen begann zu schmelzen, als sie sich zur Tür der zweiten Gefängniszelle begab. Später würde sie ganz leidenschaftslos die eigenen Gefühle analysieren. Shaidar Haran mochte sich wohl von jedem anderen Myrddraal unterscheiden, den sie bisher erlebt hatte, doch letzten Endes war er immer noch ein Myrddraal. Ihr zweiter Patient der wie der erste mitten in der Luft hing, war ein stämmiger Mann mit kantigem Gesicht in grünem Kurzmantel und ebensolcher Hose. Seine Kleidung hätte ihm gut und gern in einem Wald zur Tarnung dienen können. Die Hälfte aller Glühbirnen hier schimmerte so trübe, daß sie wohl bald versagen würden. Es war ja schon ein Wunder, wenn sie eine so lange Zeit überstanden hatten. Aber Cabrianas Behüter war an sich unwichtig. Was benötigt wurde, gleich zu welchem Zweck, ruhte im Gehirn der Aes Sedai, doch man hatte den Myrddraal offensichtlich aufgetragen, eine Aes Sedai gefangenzunehmen, und aus irgendeinem undurchschaubaren Grund waren für sie die Aes Sedai und ihre Behüter eine untrennbare Einheit. Es war aber schon gut, daß sie auch ihn gefangen hatten. Sie hatte noch niemals zuvor eine Gelegenheit gehabt, einen dieser legendären Kämpfer zu zerbrechen.

Seine dunklen Augen bemühten sich, Löcher in ihren Kopf zu bohren, als sie seine Kleidung und die Stiefel entfernte und auf die gleiche Weise wie bei Cabriana vernichtete. Er war stark behaart — eine Masse großer, harter Muskelstränge und Narben. Er zuckte absolut nicht zusammen. Er sagte kein Wort. Sein Widerstand war anders als der dieser Frau. Ihrer war kühn, wurde ihr ins Gesicht geschleudert, während seiner in einer stillen Weigerung bestand, sich ihrem Willen zu beugen. Er war möglicherweise schwerer zu zerbrechen als seine Herrin. Normalerweise wäre er deshalb auch viel interessanter für sie gewesen.