Semirhage lächelte schwach. Also würde sie doch noch ein wenig Spaß an der Sache haben.
7
Überlegungen
Elayne saß auf ihrer Matratze und beendete ihre hundert Striche mit der linken Hand. Dann steckte sie die Haarbürste in ihren kleinen ledernen Reisekoffer und schob ihn unter das schmale Bett zurück. Hinter ihrer Stirn hatte sich ein dumpfer Schmerz breitgemacht, nachdem sie den ganzen Tag über mit der Macht gearbeitet hatte, um Ter'Angreal herzustellen. Zu oft war es allerdings beim bloßen Versuch geblieben. Nynaeve saß auf ihrem wackligen Hocker und war schon längst damit fertig, ihr hüftlanges Haar zu striegeln. Fast war sie sogar schon damit fertig, ihren Zopf einigermaßen locker zum Schlafen zu flechten. Der Schweiß ließ ihr Gesicht glänzen.
Selbst bei geöffnetem Fenster war es in dem kleinen Zimmer erdrückend heiß. Der Mond hing fett an einem sternenübersäten, schwarzen Himmel. Ihr Kerzenstummel gab nur ein wenig flackerndes Licht ab. Kerzen und Lampenöl waren in Salidar im Moment ziemlich knapp, also bekam niemand mehr zugeteilt als eben ein kleines Lichtlein für die Nacht, außer natürlich, jemand mußte mit Feder und Tinte arbeiten. In dem Zimmerchen gab es wirklich keinen Platz.
Selbst um die beiden kurzen Betten herum fand sich nur ein schmaler Freiraum. Die meisten ihrer Habseligkeiten hatten sie in einem Paar zerbeulter, messingbeschlagener Truhen verstaut. Die Kleider der Aufgenommenen und ihre Umhänge, die sie im Augenblick bestimmt nicht benötigten, hingen von Haken an der Wand. Ganze Fetzen waren dort aus der vergilbten Tapete herausgerissen worden, so daß man die Wandverschalung darunter sehen konnte. Ein winziger, schiefer Tisch stand genau zwischen den Betten, und auf einem Waschtisch aus Korbgeflecht in der Ecke standen eine weiße Kanne und ein Waschbecken, die beide eine enorme Menge an Scharten aufwiesen. Selbst Aufgenommene, die andauernd lobende Streicheleinheiten erhielten, wurden keineswegs verwöhnt.
Eine Handvoll schlapper blauer und weißer Wildblumen, die das Wetter zu einer späten und ziemlich verunglückten Blüte verführt hatte, steckte in einer gelben Vase mit abgebrochenem Oberteil, die zwischen zwei braunen Keramiktassen auf dem Tisch stand. Der einzige andere Farbfleck in dem tristen Raum rührte von einem grüngestreiften Sittich in einem Korbkäfig her. Elayne pflegte den Vogel, der sich einen Flügel gebrochen hatte. Sie hatte an einem anderen Vogel ausprobiert, ob ihre geringen Fähigkeiten in der Heilkunst ausreichen würden, ihn zu heilen, doch Singvögel waren einfach zu klein, um diesen Schock durch die Macht zu überleben.
Keine Klagen, bitte, sagte sie sich energisch. Aes Sedai wohnten ein wenig besser, Novizinnen und Diener ein bißchen schlechter, und Gareth Brynes Soldaten schliefen am häufigsten auf dem Boden. Was man nicht ändern kann, muß man eben ertragen. Das hatte Lini immer gesagt. Nun, in Salidar fand man nur wenig an Bequemlichkeit, von Behaglichkeit ganz zu schweigen, und bestimmt keinen Luxus. Und auch keine Kühle.
Sie zog ihr klebendes Hemd ein wenig vom Körper weg und pustete an sich hinunter. »Wir müssen vor ihnen dort sein, Nynaeve. Du weißt, was wieder los ist, wenn wir sie warten lassen.«
Kein noch so winziger Lufthauch regte sich, und die ausgetrocknete Luft schien ihnen den Schweiß aus jeder Pore zu saugen. Es mußte doch etwas geben, was sie in bezug auf das Wetter unternehmen konnten. Sicher, falls es da Möglichkeiten gab, hätten die Windsucherinnen des Meervolks bestimmt schon etwas unternommen, aber vielleicht fiel ihr trotzdem etwas ein, wenn ihr die Aes Sedai nur genug Zeit ließen neben ihrer Arbeit an den Ter'Angreal. Als Aufgenommene konnte sie ja an sich ihre Studien dort betreiben, wo sie wollte, aber... Wenn sie vermuteten, ich könne essen und ihnen gleichzeitig zeigen, wie man Ter'Angreal anfertigt, hätte ich überhaupt keine ruhige Minute mehr. Na, wenigstens würde sie morgen Gelegenheit für eine Pause erhalten.
Nynaeve stand auf, nur um sich gleich wieder auf ihr Bett zu setzen, und fummelte an dem Armband des A'dam herum, das sie am Handgelenk hatte. Sie bestand darauf, daß eine von ihnen das Ding immer trug, selbst beim Schlafen, obwohl es eigenartige und unangenehme Träume verursachte. Es war an sich gar nicht notwendig, denn der A'dam würde Moghedien genauso binden, wenn er an einem Haken hing, und außerdem teilte sie ja noch eine wirklich winzige Kammer mit Birgitte. Birgitte war die beste Wächterin, die man sich vorstellen konnte, und Moghedien weinte ja schon beinahe, wenn Birgitte nur die Stirn runzelte. Sie hatte am wenigsten Grund, Moghedien am Leben zu lassen, und den stichhaltigsten, ihr den Tod zu wünschen, und das war der Frau auch sehr wohl bewußt. Heute abend würde ihnen das Armband noch weniger nützen als sonst.
»Nynaeve, sie warten bestimmt schon!« Nynaeve schnaubte vernehmlich. Sie würde es niemals hinnehmen können, springen zu müssen, wenn jemand nach ihr verlangte. Doch dann nahm sie einen der beiden abgeflachten Steinringe von dem Tischchen zwischen den Betten. Beide waren zu weit für einen Finger, der eine wies blaue und braune Streifen und Flecken auf, der andere blaue und rote, und jeder war so verdreht, daß er nur eine Oberfläche zeigte. Nynaeve machte die Lederschnur los, die sie um den Hals trug, und fädelte den blau und braun gestreiften Ring neben einem anderen ein, einem schweren Goldring. Lans Siegelring. Sie berührte sanft den dicken Goldreif, bevor sie beide wieder unter ihr Hemd gleiten ließ.
Elayne nahm den blau und rot gestreiften in die Hand und sah mit gerunzelter Stirn auf ihn herab.
Die Ringe waren Ter'Angreal, die sie selbst angefertigt hatte, und zwar nach dem Vorbild des einen, den nun Siuan trug. Und trotz ihres einfachen Aussehens waren sie unglaublich komplizierte Schöpfungen. Wenn man mit einem davon auf der Haut einschlief, wurde man nach Tel'aran'rhiod transportiert, der Welt der Träume, einem Spiegelbild der wirklichen Welt. Vielleicht waren dort sogar alle Welten widergespiegelt. Die Aes Sedai behaupteten, es gebe viele Welten, so, als müßten alle möglichen Variationen des Musters nebeneinander existieren, und daß alle diese Welten zusammengenommen ein noch gewaltigeres Muster bildeten. Das Wichtige war aber, daß Tel'aran'rhiod diese Welt reflektierte und dabei Eigenschaften aufwies, die extrem nützlich waren. Vor allem, weil die Burg keine Ahnung davon hatte, wie man die Welt der Träume erreichen konnte, jedenfalls, soweit sie das festzustellen in der Lage waren.
Keiner dieser beiden Ringe funktionierte so gut wie der ursprüngliche, aber sie waren durchaus zu gebrauchen. Elayne machte in ihrer Arbeit Fortschritte; von vier Versuchen, den Ring zu kopieren, war nur noch einer ein Fehlschlag gewesen. Das war ein viel besseres Ergebnis als bei solchen Dingen, die sie voll und ganz selbst entwarf. Doch was mochte geschehen, wenn einer ihrer Fehlschlage schlimmeres anrichtete als lediglich nicht zu funktionieren oder nicht so gut? Es hatte schon Aes Sedai gegeben, die sich aus Versehen bei der Arbeit an Ter'Angreal selbst einer Dämpfung unterzogen hatten. Ausgebrannt nannte man so etwas, wenn es durch einen Unfall geschah, aber es war genauso endgültig wie die gefürchtete Strafe. Nynaeve glaubte allerdings nicht daß es endgültig sei, aber sie würde ja sowieso nicht eher ruhen, bis sie jemanden geheilt hatte, der schon drei Tage tot war.
Elayne drehte den Ring in ihren Fingern um. Was er vollbrachte, war einfach genug zu verstehen, aber wie er das schaffte, lag immer noch jenseits ihrer Vorstellungen. ›Wie‹ und ›warum‹ waren aber die Schlüsselfragen. Bei diesen Ringen nahm sie an, daß die Farbmuster genausoviel mit ihrem Funktionieren zu tun hatten wie die Form. Jede andere Form als die mit jener Drehung im Ring hatte gar nichts bewirkt, und der eine, der ganz und gar blau geworden war, hatte ihr lediglich furchtbare Alpträume beschert. Aber sie wußte eben nicht genau, wie sie die Farben des Originals, also genau diese Schattierungen von Rot, Blau und Braun, wiederherstellen konnte. Und doch war die Feinstruktur ihrer Kopien genau die gleiche wie beim Original, bis hinunter zur Anordnung auch der kleinsten Bestandteile, obwohl sie nicht mehr sichtbar und überhaupt nur noch mit Hilfe der Macht wahrnehmbar waren. Warum spielten die Farben überhaupt eine Rolle? Es schien wohl eine gemeinsame Richtlinie für die Baumuster der winzigen Bestandteile all dieser Ter'Angreal zu geben, die man benötigte, um mit der Macht arbeiten zu können, und eine weitere für jene, die lediglich mit Hilfe der Macht funktionierten. Nur die Tatsache, daß sie auf diese Richtschnüre gestoßen war, gestattete ihr, überhaupt auch nur zu versuchen, neue Ter'Angreal herzustellen. Aber es gab so vieles, was sie nicht wußte und was sie nur raten konnte.