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»Was mir Kopfzerbrechen bereitet«, erwiderte Carlinya kühl, »ist folgendes: Wenn sie sich leicht von uns führen läßt, dann läßt sie sich vielleicht auch leicht von anderen führen.« Die blasse Weiße mit den fast kohlrabenschwarzen Augen war immer kühl, manche würden auch sagen, eisig.

Worüber sie da auch sprechen mochten, war es auf jeden Fall nichts, was sie vor Elayne oder den anderen austragen wollten. So schwiegen sie, kurz bevor sie die anderen erreichten.

Siuan und Leone reagierten auf die Neuankömmlinge, indem sie einander abrupt den Rücken zuwandten, als hätten sie sich gestritten und seien nur durch die Ankunft der Aes Sedai unterbrochen worden. Was Elayne betraf, überprüfte sie schnell noch ihre Kleidung. Es war das richtige weiße Kleid mit dem farbigen Saum. Sie war selbst nicht ganz glücklich darüber, daß sie ohne Nachdenken im richtigen Kleid erschienen war. Sie hätte wetten können, daß Nynaeve ihre Kleidung nach der Ankunft erst einmal abgeändert hatte. Aber Nynaeve war halt auch viel unerschrockener als sie und kämpfte ständig gegen Beschränkungen an, die sie bereits akzeptiert hatte. Wie konnte sie nur jemals Andor regieren? Falls ihre Mutter tot war. Falls.

Sheriam, ein wenig mollig und mit hohen Backenknochen, richtete ihre schrägstehenden grünen Augen auf Siuan und Leane. Einen Augenblick lang trug sie eine Stola mit blauen Fransen. »Wenn Ihr zwei nicht miteinander auskommen könnt, schwöre ich, daß ich Euch beide zu Tiana schicke.« Es klang, als habe sie das schon oft gesagt und stünde gar nicht mehr dahinter.

»Ihr habt doch lange genug zusammengearbeitet«, sagte Beonin in ihrem auffallenden Taraboner Dialekt. Sie war eine hübsche Graue, hatte sich das honigfarbene Haar zu einer Unmenge dünner Zöpfe geflochten, und ihre blaugrauen Augen blickten ständig überrascht drein. Dabei konnte fast nichts Beonin wirklich überraschen. Sie würde auch nicht glauben, daß die Sonne am Morgen aufgehe, wenn sie sich nicht selbst davon überzeugte, aber falls sie eines Morgens doch nicht auftauchte, würde Beonin nicht einmal mit der Wimper zucken, vermutete Elayne. Das würde lediglich bestätigen, daß sie recht daran getan hatte, Beweise zu fordern. »Ihr könnt und müßt wieder zusammenarbeiten.«

Bei Beonin klang das auch, als habe sie es so oft gesagt, daß es jetzt schon fast automatisch und ohne zu denken herauskam. Alle Aes Sedai hatten sich längst an Siuan und Leane gewöhnt. Sie hatten angefangen, die beiden wie zwei Mädchen zu behandeln, die mit dem Zanken nicht aufhören konnten. Aes Sedai hatten sowieso eine Neigung dazu, jede andere, die nicht zu ihnen gehörte, mehr oder weniger als Kind zu betrachten. Sogar diese beiden, die einst Schwestern gewesen waren.

»Schickt sie meinetwegen zu Tiana oder auch nicht«, fauchte Myrelle, »aber hört auf, darüber zu reden!« Elayne hatte nicht das Gefühl, die auf ihre dunkle Art schöne Frau rege sich über Siuan und Leane auf. Sie ärgerte sich wahrscheinlich gar nicht über irgend etwas oder irgend jemanden. Sie war einfach ziemlich launisch und fiel dadurch sogar unter den Grünen auf. Ihr goldgelbes Seidenkleid erhielt plötzlich einen Stehkragen, aber mit einem tiefen, ovalen Ausschnitt, der ihre Brustansätze gut sichtbar machte. Sie hatte nun auch ein recht auffallendes Kollier um den Hals: ein breites Silberband, an dem drei kleine Dolche hingen. Die Griffe hingen direkt zwischen ihren Brüsten. Ein vierer Dolch erschien plötzlich und war so schnell wieder verschwunden, daß es auch Einbildung gewesen sein konnte. Sie musterte Nynaeve von Kopf bis Fuß, als suche sie nach einem Ansatzpunkt für Kritik. »Gehen wir jetzt zur Burg oder nicht? Wenn wir das unternehmen wollen und uns nun schon hier befinden, könnten wir ja wirklich etwas Nützliches tun.«

Elayne wußte jetzt, worüber sich Myrelle ärgerte. Als sie und Nynaeve nach Salidar gekommen waren, hatten sie sich alle sieben Tage in Tel'aran'rhiod mit Egwene getroffen, um sich über das auszutauschen, was sie erfahren hatten. Das war ihnen nicht immer leichtgefallen, da Egwene grundsätzlich von mindestens einer Traumgängerin der Aiel begleitet wurde, in deren Ausbildung sie sich begeben hatte. Sich ohne eine oder zwei Weise Frauen zu treffen hatte große Mühe gekostet. Das war aber sowieso vorbei gewesen, nachdem sie nach Salidar kamen. Diese sechs Aes Sedai, Sheriam und ihre Ratsschwestern, hatten die Treffen übernommen, obwohl sie zu der Zeit nur die drei Ter'Angreal selbst gehabt hatten und wenig Ahnung von Tel'aran'rhiod über das Wissen hinaus, wie man dorthin kam. Das war ausgerechnet auch noch zu der Zeit geschehen, als Egwene verwundet wurde, und so standen sich schließlich lediglich die Aes Sedai und die Weisen Frauen gegenüber, zwei Gruppen stolzer, resoluter Frauen, von denen jede der anderen mißtraute, und natürlich war keine von beiden Gruppen bereit, auch nur eine Handbreit Bodens zurückzuweichen oder sich der anderen gar zu beugen.

Natürlich hatte Elayne keine Ahnung, was bei diesen Treffen vor sich ging, aber sie konnte es aus eigener Erfahrung ganz gut einschätzen, und dazu kamen noch ein paar Brocken, die Sheriam oder die anderen gelegentlich fallenließen.

Die Aes Sedai waren sicher, alles in Erfahrung bringen zu können, sobald sie einmal wußten, wo sie etwas erfahren konnten, dazu forderten sie den gleichen Respekt, wie man ihn einer Königin gezollt hätte, und sie waren es gewohnt, daß man ihnen alles ohne jedes Widerstreben und ohne Verzögerung mitteilte, was sie wissen wollten. Offensichtlich hatten sie Antworten auf alles mögliche verlangt, über Rands Pläne oder über Egwenes Gesundheitszustand, wann sie wieder in der Lage sei, in die Welt der Träume zu kommen, oder ob es möglich sei, in Tel'aran'rhiod die Träume anderer Menschen zu überwachen, bis zu den Fragen, ob man die Welt der Träume auch körperlich betreten könne oder jemand gegen seinen Willen dorthin mitnehmen. Sie hatten sogar mehr als einmal gefragt, ob es möglich sei, durch das, was man in den Träumen tat, die wirkliche Welt zu beeinflussen, eine glatte Unmöglichkeit, an der sie aber offensichtlich zweifelten. Morvrin hatte ein bißchen von Tel'aran'rhiod gelesen, genug jedenfalls, um eine Unmenge Fragen zu stellen, aber Elayne vermutete, Siuan habe auch einen erklecklichen Teil dazu beigetragen. Sie glaubte, Siuan versuche sie zu überreden, selbst an den Treffen teilnehmen zu dürfen, aber die Aes Sedai hielten es wohl für großzügig genug, wenn sie Siuan den Ring als Hilfe bei ihrer Arbeit mit den Augen und Ohren benützen ließen. Was sie aufregte, war das Einmischen der Aes Sedai in diese Arbeit.

Was die Aiel betraf... Weise Frauen — oder zumindest die Traumgängerinnen, die Elayne aus eigener Anschauung kannte — wußten nicht nur so ziemlich alles, was man über die Welt der Träume überhaupt wissen konnte, sondern betrachteten diese Welt fast als ihren eigenen Grund und Boden. Es paßte ihnen nicht, wenn jemand unwissentlich hierherkam, und sie hatten eine ziemlich grobe Art, mit dem umzugehen, was sie als töricht betrachteten. Darüber hinaus waren sie sowieso recht verschlossen, offenbar wild entschlossen in ihrer Loyalität zu Rand. So sagten sie nicht viel mehr, als daß er am Leben sei, oder daß Egwene nach Tel'aran'rhiod zurückkehren werde, sobald sie gesund genug sei, während sie andere Fragen, die sie als unangemessen betrachteten, überhaupt nicht beantworten wollten. Das konnte beispielsweise eintreten, wenn sie der Meinung waren, die Fragende wisse überhaupt noch nicht genug, um die Antwort zu erhalten, oder wenn Frage oder Antwort oder beides jene eigenartige Weltanschauung der Aiel verletzten, die ganz auf Ehre und Verpflichtung beruhte. Elayne wußte nicht viel mehr über Ji'e'toh, als daß es existierte und daß es zu sehr eigentümlichen und empfindlichen Verhaltensweisen führte.