»Zurückzugehen?« sagte Nynaeve ungläubig. »Elaida wird verlangen, daß sie die letzten zehn Meilen auf den Knien ankriechen und die letzte Meile auf den Bäuchen. Aber auch wenn nicht, falls diese Rote sagt: ›Kommt heim. Alles ist vergessen und vergeben und das Abendessen wartet auf Euch.‹ Glaubst du, sie könnten Logain so einfach abschieben?«
»Nynaeve, die Aes Sedai könnten alles abschieben, um die Weiße Burg wieder zusammenzufügen. Alles. Du verstehst sie immer noch nicht so gut wie ich. Es waren eben vom Tag meiner Geburt an immer Aes Sedai im Palast zugegen. Die Frage ist nur: Was teilt Tarna dem Saal mit? Und was antworten sie ihr?«
Nynaeve rieb gereizt über ihre Arme. Sie hatte keine Antworten auf diese Fragen, lediglich Hoffnung, und ihr Wettergefühl sagte ihr, der Hagelsturm, der nicht vorhanden war, trommle gerade jetzt mit großer Gewalt auf die Dächer Salidars hernieder. Und dieses Gefühl sollte auch die nächsten Tage anhalten.
9
Pläne
Habt Ihr diese Feuerwerker nach Amador bringen lassen?« Viele wären zusammengezuckt, hätten sie solch harte Töne von Pedron Niall zu hören bekommen, nicht aber der Mann, der nun auf der eingelegten goldenen Sonnenscheibe vor Nialls schlichtem Stuhl mit hoher Lehne stand. Er strahlte Selbstvertrauen und Gelassenheit aus. Niall fuhr fort: »Es gibt einen Grund dafür, warum ich zweitausend Kinder des Lichts die Grenze zu Tarabon bewachen lasse, Omerna. Tarabon steht unter Quarantäne. Niemandem ist der Grenzübertritt gestattet! Wenn es nach mir ginge, dürfte nicht einmal ein Sperling herüberfliegen.«
Omerna bot den Anblick eines Offiziers, wie er bei den Kindern des Lichts sein sollte: hochgewachsen und respekteinflößend, ein kühnes, furchtloses Gesicht, ein kräftiges Kinn und weißes, welliges Haar an den Schläfen. Seine dunklen Augen schienen gewohnt zu sein, auch das schlimmste Schlachtfeld unbeeindruckt zu mustern und zu beurteilen. Im Augenblick jedoch schienen sie tiefe Nachdenklichkeit auszudrücken. Der weiß- und goldgeschmückte Wappenrock eines Lordhauptmanns, Gesalbter des Lichts, stand ihm gut.
»Kommandierender Lordhauptmann, sie wünschen, hier ein Gildehaus zu errichten.« Selbst seine tiefe, einschmeichelnde Stimme paßte zu seiner Erscheinung. »Die Feuerwerker reisen überallhin. Es dürfte nicht schwer sein, Agenten unter ihnen zu finden. Agenten, die in jedem Ort, in jedem Herrenhaus, in jedem Herrscherpalast willkommen wären.« Angeblich war Abdel Omerna ein eher niedrigstehendes Mitglied des Rats der Gesalbten. In Wirklichkeit war er der Leiter der Spionageabteilung der Kinder des Lichts. Nicht offiziell, aber de facto. »Überlegt einmal.«
Niall allerdings glaubte, die Gilde der Feuerwerker bestehe ausschließlich aus Leuten aus Tarabon, und Tarabon war mit Chaos, Wahnsinn und Anarchie infiziert. Diese Leute konnte er nicht auf Amadicia loslassen. Wenn er schon damit warten mußte, diesen Seuchenherd auszubrennen, dann konnte er ihn doch wenigstens isolieren. »Sie werden behandelt wie jeder andere, der die Grenze unerlaubt überschreitet, Omerna. Sie werden streng bewacht, ihnen ist nicht gestattet, mit irgend jemandem zu reden, und sie werden unverzüglich aus Amadicia abgeschoben.«
»Wenn ich widersprechen darf, mein kommandierender Lordhauptmann, aber ihre Dienste sind die Gerüchte wert, die sie hier vielleicht verbreiten. Sie bleiben gewöhnlich unter sich. Und ganz abgesehen von ihrem Nutzen für mein Agentennetz würde es ein beachtliches Prestige bringen, ein Gildehaus der Feuerwerker in Amador zu haben. Es wäre im Augenblick sowieso das einzige. Das Gildehaus in Cairhien wurde aufgegeben, und ich bin überzeugt, das trifft auch für jenes in Tanchico zu.«
Prestige! Niall rieb sich das linke Auge, um ein unfreiwilliges Zucken des Augenlids zu unterdrücken. Es hatte keinen Zweck, zornig auf Omernas Worte zu reagieren, aber die Zurückhaltung kostete ihn Mühe. Die Morgenhitze brachte sein Temperament langsam, aber sicher zum Überkochen. »Sie bleiben allerdings unter sich, Omerna. Sie wohnen mit den anderen ihrer Gilde zusammen, reisen gemeinsam mit ihnen und sprechen nicht mit anderen. Habt Ihr vor, Eure Agenten Mitglieder der Feuerwerker heiraten zu lassen? Sie heiraten kaum jemals außerhalb der Gilde, und es gibt keine Möglichkeit Feuerwerker zu werden, wenn man nicht in die Gilde hineingeboren wurde.«
»Ach so. Na ja, sicher läßt sich da ein Weg finden.« Nichts konnte diese Fassade von Selbstbewußtsein und Gelassenheit zum Abbröckeln bringen.
»Es wird so gemacht, wie ich gesagt habe, Omerna.« Der Mann öffnete doch tatsachlich schon wieder den Mund, aber Niall kam ihm gereizt zuvor: »Wie ich befohlen habe, Omerna! Ich will nichts mehr davon hören! Welche Neuigkeiten habt Ihr heute sonst noch für mich? Welche wichtige Neuigkeiten? Das ist Eure Aufgabe. Nicht, für Ailron Feuerwerke vorzubereiten.«
Omerna zögerte, wollte offensichtlich noch einmal für seine kostbaren Feuerwerker plädieren, aber schließlich sagte er nur bedeutungsschwanger: »Die Berichte über die Drachenverschworenen in Altara sind mehr als bloße Gerüchte, wie es scheint. Und vielleicht befinden sie sich auch schon in Murandy. Der Befall ist noch gering, wird aber wachsen. Ein harter Schlag zu dieser Zeit könnte sie und die Aes Sedai in Salidar gleichzeitig...«
»Bestimmt Ihr jetzt die Strategie der Kinder? Sammelt Informationen, aber überlaßt mir deren Gebrauch. Was habt Ihr sonst noch für mich?«
Der Mann reagierte auf den Themenwechsel mit einer gelassenen Verbeugung. Omerna beherrschte sich ausgezeichnet; das war vielleicht seine größte Stärke. »Ich habe gute Nachrichten. Mattin Stepaneos ist bereit, sich Euch anzuschließen. Er zögert noch, das bekanntzumachen, aber meine Leute in Illian berichten, daß er diesen Schritt bald unternehmen wird. Sie sagen, er sei begierig darauf.«
»Das wäre ja bemerkenswert erfreulich«, sagte Niall trocken. Bemerkenswert allerdings. Unter den Flaggen und Wimpeln in den Nischen des Raumes hing Mattin Stepaneos Flagge mit den Drei Leoparden in Silber auf Schwarz gleich neben der Königlichen Standarte Illians, den neun mit Goldfäden auf grüne Seide gestickten Bienen. Während der ›Unruhen‹ hatte sich der illianer König von Illian schließlich durchgesetzt, zumindest was den von ihm erzwungenen Vertrag betraf, mit dem die Grenze zwischen Amadicia und Altara wieder auf den ursprünglichen Verlauf festgeschrieben wurde; aber Niall bezweifelte, daß der Mann jemals vergessen würde, wie er trotz der günstigeren Ausgangsstellung und der Überzahl an Soldaten bei Soremaine geschlagen und gefangengenommen worden war. Hätten die ›Getreuen‹ Illians nicht solange standgehalten, daß der Rest des Heeres Mails Falle entkommen konnte, wäre Altara jetzt ein Lehen der Kinder des Lichts, und höchstwahrscheinlich Murandy und vielleicht sogar Illian ebenfalls. Schlimmer noch, Martin Stepaneos hatte eine Hexe aus Tar Valon zur Ratgeberin, auch wenn er diese Tatsache leugnete und sie verborgen hielt. Niall hatte ihm eine Verhandlungsdelegation geschickt, weil er nicht wagte, eine Möglichkeit auszulassen, aber wenn Mattin Stepaneos sich ihm freiwillig anschlösse, wäre das wirklich bemerkenswert. »Fahrt fort. Und faßt Euch kurz. Ich habe einen harten Arbeitstag vor mir, und Euren schriftlichen Bericht kann ich noch später durchlesen.« Trotz dieser Anweisungen gab Omerna lang und breit alles wieder, und das mit seiner klangvollen und so überzeugend klingenden Stimme. Al'Thor hatte seinen Machtbereich in Andor kaum über Caemlyn hinaus ausgedehnt. Sein blitzschnell und verheerend durchgeführter Angriffszug war nun endlich ins Stocken gekommen — und Omerna befleißigte sich hinzuzufügen, er habe das vorausgesagt. Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß sich die Grenzlande so bald den Kindern anschließen würden, um gegen den falschen Drachen ins Feld zu ziehen. Einige Lords in Schienar, Arafel und Kandor nützten die Ruhe in der Fäule dazu aus, sich gegen ihre Herrscher zu erheben, und die Königin von Saldaea hatte sich aufs Land zurückgezogen, weil sie laut Omerna dasselbe in ihrem Land befürchtete. Seine Agenten seien aber fleißig bei der Arbeit, und man würde die Herrscher der Grenzlande schon in die Reihe bringen, wenn einmal diese kleineren Unruhen zerschlagen waren. Auf der anderen Seite seien die Herrscher von Murandy, Altara und Ghealdan bereit, sich den Kindern anzuschließen, wenn sie auch im Augenblick noch zweideutig einherreden müßten, um die Hexen von Tar Valon zu beruhigen. Alliandre von Ghealdan wußte, daß ihr Thron wackelte, und genauso sei ihr klar, wie sie die Kinder benötigte, damit sie nicht ebenso plötzlich gestürzt würde wie ihre Vorgänger. Tylin von Altara und Roedran von Murandy hofften, die Unterstützung der Kinder würde aus ihnen mehr machen als bloße Galionsfiguren. Ganz offensichtlich glaubte der Mann, Niall habe diese Länder schon in der Tasche.