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Balwer sagte nichts dazu und preßte lediglich die Lippen erneut aufeinander, doch diesmal war es nicht als Lächeln gemeint. Mit Omerna kam er zurecht, da er den Mann als den Narren kannte, der er nun einmal war, und weil er es ohnehin vorzog, selbst im verborgenen zu arbeiten; aber es paßte ihm nicht, wenn Niall Berichte erhielt, die er nicht zuvor gesehen hatte, und das von Männern, die er nicht kannte.

Eine winzige Kritzelschrift bedeckte den Zettel, und zwar in einem Code geschrieben, den nur wenige kannten und außer Niall niemand hier in Amador. Ihm fiel es genauso leicht, das zu lesen, wie seine eigene Handschrift. Das Zeichen am Ende allerdings ließ ihn doch die Augen aufreißen, ebenso wie der Inhalt. Varadin war einer der besten unter seinen persönlichen Agenten, oder war es gewesen, ein Teppichhändler, der ihm bereits während der ›Unruhen‹ gute Dienste geleistet hatte, als er seine Waren in Altara, Murandy und Illian verkauft hatte. Was er dabei verdient hatte, ermöglichte es ihm, sich als reicher Händler in Tanchico niederzulassen, wo er regelmäßig kostbare Teppiche und Weine an die Paläste des Königs und des Panarchen lieferte und den meisten Adligen des Hofstaats, und immer hielt er dort die Augen und Ohren weit offen. Niall hatte geglaubt, er sei längst bei dem Aufruhr in Tanchio ums Leben gekommen. Nun erhielt er die erste Nachricht von dem Mann seit einem Jahr. Dem Inhalt seiner Botschaft nach zu urteilen, wäre Varadin allerdings besser bereits ein Jahr lang tot gewesen. In der krakeligen Schrift eines Mannes am Rande des Irrsinns faselte er wilde Dinge von Männern, die auf fremdartigen Kreaturen ritten, von fliegenden Geschöpfen, von Aes Sedai an der Leine und von der Hailene. In der Alten Sprache bedeutete das soviel wie ›Vorfahren‹, aber Varadin bemühte sich nicht einmal, zu erklären, wieso er sich davor fürchtete oder was das alles eigentlich bedeuten sollte. Offensichtlich hatte das Gehirn des Mannes darunter gelitten, daß er zusehen mußte, wie sein Land um ihn herum im Chaos versank.

Verärgert zerknüllte Niall den Zettel und warf ihn weg. »Zuerst muß ich mir Omernas idiotische Berichte anhören, und nun dies. Was habt Ihr noch für mich, Balwer?« Bashere! Die Lage könnte sich sehr unangenehm entwickeln, wenn Bashere al'Thors Heer führte. Der Mann hatte sich seinen Ruf ehrlich verdient. Ein Dolch im Schatten für ihn?

Balwers Blick lag unbeirrt auf Nialls Gesicht, aber Niall war klar, daß dieses winzige Papierknäuel auf dem Boden in den Händen des Mannes landen würde, wenn er es nicht verbrannte. »Vier Dinge, die von Bedeutung sein könnten, mein Lord. Das letzte zuerst: Die Gerüchte über die Treffen von Abgesandten der Ogier-Stedding entsprechen der Wahrheit. Für Ogier scheinen sie sich entschieden hastig zu verhalten.« Natürlich sagte er nicht, worüber die Ogier miteinander berieten, denn es war genauso unmöglich, einen Menschen in einen Ogierstumpf zu bringen, wie einen Ogier als Spion zu gewinnen. Es wäre leichter, die Sonne dazu zu bringen, bei Nacht aufzugehen. »Außerdem befindet sich eine außergewöhnliche Anzahl von Schiffen des Meervolks in den Hafenstädten im Süden. Sie nehmen keine Ladung an Bord und sie segeln auch nicht weiter.«

»Worauf warten sie?«

Einen Moment lang spannten sich Balwers Lippen, als habe ein unsichtbarer Marionettenspieler die Drähte angezogen. »Ich weiß es noch nicht, mein Lord.« Balwer hatte es noch nie gepaßt, zugeben zu müssen, daß er irgendwelche menschlichen Geheimnisse nicht herausbekommen konnte. Doch wenn man versuchte, mehr als nur die Vorgänge an der Oberfläche bei den Atha'an Miere herauszufinden, war das, als wolle man von der Gilde der Feuerwerker erfahren, wie man Feuerwerkskörper anfertigt. Vergebliche Liebesmüh. Wenigstens würden die Ogier irgendwann bekanntmachen, was sie auf ihren Zusammenkünften beschlossen hatten.

»Fahrt fort.«

»Die weniger wichtige Neuigkeit ist dafür ... eigenartig, mein Lord. Es gibt verläßliche Berichte, daß al'Thor in Caemlyn, in Tear und in Cairhien gesehen wurde, manchmal sogar am gleichen Tag.«

»Verläßlich? Verläßlicher Wahnsinn! Die Hexen verfügen wahrscheinlich über zwei oder drei Männer, die wie al'Thor aussehen, jedenfalls ähnlich genug, um jeden zu täuschen, der ihn nicht kennt. Das würde eine Menge erklären.«

»Vielleicht, mein Lord. Aber meine Informanten sind verläßlich.«

Niall klappte die Ledermappe zu und verbarg auf diese Weise al'Thors Gesicht. »Und die interessanteste Neuigkeit?«

»Sie stammt aus zwei Quellen in Altara — zuverlässigen Quellen, mein Lord — und sie besagt, daß die Hexen in Salidar behaupten, die Roten Ajah hätten Logain dazu gebracht, den falschen Drachen zu spielen. Sie hätten ihn beinahe selbst erschaffen. Sie haben Logain in Salidar —oder einen Mann, von dem sie behaupten, er sei Logain —und führen ihn Adligen vor, die sie dorthin bringen. Ich habe keinen Beweis, aber ich vermute, sie erzählen allen Herrschern, mit denen sie Verbindung aufnehmen, die gleiche Geschichte.«

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Niall die Flaggen in den Nischen des Raums. Es waren die Banner von Feinden aus beinahe jedem Land. Niemand hatte ihn je zum zweiten Mal besiegt und nur wenige überhaupt einmal. Jetzt waren die Flaggen alle gezeichnet vom Alter. Wie er. Doch er war noch nicht zu alt, um nicht dafür zu sorgen, daß zu Ende geführt wurde, was er begonnen hatte. Jede Flagge war in einer blutigen Schlacht errungen worden, wo man nie wußte, was außerhalb des eigenen Sichtbereichs geschah, wo der sichere Sieg genauso kurzlebig sein konnte wie die Niederlage. Die schlimmste Schlacht, die er je ausgefochten hatte — als die Heere mitten in der Nacht in der Nähe von Moisen aneinandergeraten waren, während der Zeit der ›Unruhen‹ —, war klar wie ein schöner Sommertag verlaufen, wenn man sie mit der verglich, in der er sich jetzt befand.

Hatte er sich geirrt? War die Burg wirklich auseinandergebrochen? Irgendeine Auseinandersetzung zwischen den Ajahs? Ging es um Al'Thor? Wenn die Hexen untereinander um die Vorherrschaft kämpften, würden viele der Kinder des Lichts Carridins Lösung unterstützen, nämlich in Salidar zuzuschlagen und so viele Hexen wie möglich zu vernichten. Männer, die sich einbildeten, wenn sie an morgen dachten, dann dächten sie voraus, aber an die nächste Woche oder den nächsten Monat oder gar das nächste Jahr dachten sie nicht. Valda beispielsweise. Vielleicht war es ganz gut, daß er Amador noch nicht erreicht hatte. Und zum anderen Rhadam Asunawa, der Hochinquisitor der Zweifler. Valda wollte immer gleich mit der Axt dreinschlagen, auch wenn ein Dolch für die zu erledigende Aufgabe besser geeignet war. Asunawa hätte am liebsten gesehen, daß man jede Frau schon vorgestern aufgehängt hätte, die auch nur eine Nacht in der Weißen Burg verbrachte. Jedes Buch, in dem die Aes Sedai oder die Eine Macht erwähnt wurde, sollte verbrannt werden. Selbst diese Bezeichnungen wollte er verbieten lassen. Asunawa dachte nie an etwas anderes als diese Ziele, und es war ihm einerlei, welchen Preis ihr Erreichen fordern würde. Niall hatte zu hart gearbeitet, zuviel aufs Spiel gesetzt, um zu gestatten, daß dies in den Augen der Welt zu einer reinen Auseinandersetzung zwischen den Kindern und der Burg wurde.

In Wirklichkeit spielte es keine Rolle, ob er sich irrte oder nicht. Und wenn er sich irrte, konnte das sogar zu einem Vorteil gereichen. Vielleicht war es sogar besser, als jetzt recht zu haben. Mit ein bißchen Glück mochte es sein, daß er der Weißen Burg unheilbaren Schaden zufügte und die Hexen so gegeneinander aufbrachte, daß man sie anschließend leicht zu Staub zermalmen konnte. Dann würde auch al'Thor ins Wanken kommen, wobei er aber immer noch als Bedrohung galt und man ihn so zum Köder machen konnte. Und er konnte sich eng an die Wahrheit halten. Ziemlich eng jedenfalls.

Ohne den Blick von den Flaggen zu wenden, sagte er: »Die Spaltung in der Burg ist durchaus im Bereich des Möglichen. Die Schwarzen Ajah haben sich erhoben, die Sieger halten die Burg, und die Verlierer wurden vertrieben und lecken in Salidar ihre Wunden.« Er sah Balwer an und hätte fast gelächelt. Eines der Kinder hätte widersprochen, es gebe keine Schwarzen Ajah, oder die Hexen seien sowieso alles Schattenfreunde. Selbst der unerfahrenste Rekrut hätte das erwidert. Balwer blickte ihn lediglich an, und das keineswegs so, als habe er eine Blasphemie an allem, wofür die Kinder standen, begangen. »Wir müssen lediglich entscheiden, ob nun die Schwarzen Ajah gewonnen oder verloren haben. Ich glaube, sie haben gewonnen. Die meisten Leute werden diejenigen als die echten Aes Sedai betrachten, die die Weiße Burg beherrschen. Laßt sie die wirklichen Aes Sedai für Mitglieder der Schwarzen Ajah halten. Al'Thor ist ein Geschöpf der Burg, ein Vasall der Schwarzen Ajah.« Er hob seinen Weinkelch vom Tisch und nippte daran. Es half auch nicht gegen die Hitze. »Vielleicht kann ich irgendwie einen Grund dafür finden, daß ich bisher nicht gegen Salidar vorgegangen bin.« Seine Abgesandten hatten verbreitet, er sei nicht gegen Salidar vorgegangen, weil er die Bedrohung durch al'Thor so ernst nahm; er sei gewillt, die Hexen auch an der Schwelle Amadicias zusammenkommen zu lassen, anstatt sich von der Gefahr durch den falschen Drachen ablenken zu lassen. »Die Frauen dort, nach all diesen Jahren das Chaos ... weil die Schwarzen Ajah überall zu finden sind, und endlich von dem Bösen abgestoßen, in das sie verwickelt waren...« Sein Erfindungsreichtum versagte — sie zählten schließlich alle zu den Schattenfreunden und konnten wohl kaum von etwas Bösem abgestoßen werden — doch einen Augenblick später nahm Balwer den Faden auf.