»Worauf es ankommt, daß es für dich eine - « sie suchte nach dem richtigen Wort - »Bereicherung ist. Du bist offen dafür und hast eine Menge davon. Ich nicht. Ich bin verschlossen. Das ist nicht mein Ding.«
»Was ist dein Ding?«
»Harte Arbeit. Warum fragst du, was du eh schon weißt?«
»Ich wollte es von dir hören.« »Du hast mich gehört.«
»Harry, es ist in Ordnung, seine Gefühle mitzuteilen.«
»Verdammt noch mal, das weiß ich. Es ist auch in Ordnung, sie nicht mitzuteilen. Wozu ist es gut, Fair? Und wo ist die Grenze zwischen mitteilen und jammern?«
»Jammere ich?«
»Nein.«
Sie saßen und schwiegen. Mrs. Murphy kam hereingetappt, ihre Maus ließ sie bei der Futterschüssel zurück.
»Geh mit ihm ins Kino, Mom«, empfahl Tucker.
»Ja«, fiel Murphy ein.
»Du weißt, wenn es eine Möglichkeit gibt, wie ich dir bei diesen Ermittlungen helfen kann, dann tu ich's.«
»Ich weiß.« Er saß und wartete darauf, zum Bleiben aufgefordert zu werden, und wußte doch, daß sie ihn nicht bitten würde. Schließlich stand er auf, warf die Bierflasche in den Abfall und nahm sein Hemd vom Haken. »Danke fürs Zuhören.«
Sie ging mit ihm in die Küche. »Es wird sich alles einrenken. Es ist Zeitverschwendung, aber tanz eine Weile nach ihrer Pfeife.«
»Als würde ich für mein Essen singen? Weißt du noch, als ich ganz am Anfang war, wie Mim mich hier und da im Stall arbeiten ließ und mich dann verköstigt hat? Ist schon komisch mit Mim. Sie ist herrisch und snobistisch, aber im Grunde ist sie eine gute Seele. Die meisten Menschen sehen das nur nicht.«
»Ich erinnere mich bloß, daß Little Marilyns erster Mann dir auf den Keks gegangen ist.«
»Dieser Kerl.« Fair schüttelte den Kopf. »Ich war froh, als sie ihn los war, obwohl es bestimmt schwer für sie war. Das ist es immer, wirklich. Bist du froh, mich los zu sein?«
»Einen Tag ja, einen Tag nein.«
»Und heute?«
»Egal.«
Er öffnete die Küchentür und ging. »Tschüs. Danke für das Bier«, rief er.
»Ja.« Sie winkte zum Abschied und fühlte im Herzen einen Phantomschmerz gleich dem in einem amputierten Glied.
14
Bazooka, geschmeidig, durchtrainiert und sehr von sich eingenommen, tänzelte seitwärts zurück in den Stall. Addie war mit ihm ziemlich schnell geritten, aber er wäre am liebsten geflogen. Er stand ungern in seiner Box, und er beneidete Mims Jagdpferde, die ein normaleres Leben führten, sich auf den Weiden tummelten und nur nachts in ihre Boxen kamen.
Wie die meisten Rennpferde bekam Bazooka eine Kost mit hohem Proteingehalt und wurde ermutigt, während des Rennens gleichsam in die Luft zu gehen. Die meiste Zeit wollte er am liebsten zu Hause in die Luft gehen. Er wußte, daß er siegen konnte, sofern es keinen Unfall gab oder er nicht von einem hinterlistigen gegnerischen Jockey eingezwängt wurde. Er wollte siegen, um sich mit Ruhm zu bedecken. Bazookas Ego entsprach seiner Größe: enorm. Anders als die meisten Hindernispferde wußte er auch, daß er am Ende seiner Wettrenntage nicht verkauft würde. Mim würde ihn bei der Fuchsjagd einsetzen, ihn höchstwahrscheinlich selbst reiten, denn Mim war eine gute Reiterin.
Daß Mim besser reiten konnte als ihre Tochter, verschärfte nur Little Marilyns lebenslangen Groll. Gelegentlich durchbrachen Anwandlungen töchterlicher Ergebenheit das Verhalten der jüngeren Mim.
Mutter und Tochter sahen zu, als Bazooka stolz an ihnen vorbeitänzelte.
»Er ist heute gut drauf«, rief Addie ihnen zu.
Mim grinste. »Er hat den Adlerblick.«
»Ich bin schön«, prahlte Bazooka.
»Mom, ich wußte gar nicht, daß Harry vorbeikommt.« Little Marilyn war mit Mary Minor Haristeen aufgewachsen, doch wenn sie auch nicht sagen konnte, daß sie Harry nicht mochte, so konnte sie auch nicht sagen, daß sie sie mochte. Mit Persönlichkeiten war es wie mit Farben: Entweder sie harmonierten, oder sie harmonierten nicht. Diese beiden harmonierten nicht.
Mim dagegen fiel es leicht, sich mit Harry zu unterhalten, obwohl sie den mangelnden Ehrgeiz der jungen Frau beklagte.
Der supermanblaue Ford-Transporter tuckerte auf den Parkplatz hinter dem Stall. Tucker und Mrs. Murphy erschienen eher als Harry. Sie sagten guten Tag und liefen dann in den Stall. Harry trat zu Big Mim und Little Mim, die sie gelegentlich, wenn Harry in giftiger Stimmung war, auch Mini Mim nannte.
»Was haben Sie da?« fragte Mim, die bemerkte, daß Harry eine kleine Schachtel trug.
»Die Etiketten für die Einladungen zum Wildessen. Little Marilyn wollte die Einladungen drucken lassen.«
»Haben Sie die auf einem regierungseigenen Computer geschrieben?« Mim verschränkte die Arme.
»Ah - ja. Sind Sie nicht froh, daß Ihre Steuern für etwas Produktives verwendet wurden?«
Little Mim riß Harry die Schachtel aus den Händen. »Danke.«
»Wie sehen die Einladungen aus?« fragte Harry.
Little Marilyn blinzelte Harry an, was ihr hübsch geschminktes Gesicht verzerrte. »Hab sie noch nicht abgeholt.« Was soviel hieß wie: Sie hatte vergessen, sie in Auftrag zu geben, und die Etiketten sagten ihr, sie solle sich sputen. »Ich glaube, ich mach das jetzt gleich. Brauchst du was aus Charlottesville, Mum?«
»Nein. Ich habe deinem Vater meine Liste mitgegeben.«
»War nett, dich zu sehen, Harry.« Die tadellos gekleidete junge Marilyn spurtete zu ihrem Range Rover.
Es hätte keinen Sinn gehabt, sie zu kritisieren. Sie wußten beide, daß sie ihrer Aufgabe nicht nachgekommen war, doch unter Druck würde sie es tun. Ebenso sinnlos wäre es, das nun untereinander zu diskutieren.
Harry ging mit Mim in ihre wunderschön getäfelte Sattelkammer. Die Luft war schneidend, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand.
»Wo ist Chark?«
»Am anderen Ende vom Stall. Er trainiert die letzten Pferde. Will alle vor elf Uhr bewegt haben, sagt er.«
Harry setzte sich, nachdem Mim auf einen Sitz gewiesen hatte, der mit einem hübschen dunklen Karo bezogen war. Harry hätte ohne weiteres in Mims Sattelkammer leben können, die schöner war als ihr eigenes Wohnzimmer.
»Mim, ich weiß, daß Mickey Townsend hier war, um Sie über die haltlosen Anschuldigungen gegen Fair zu informieren. Fair war gestern abend bei mir. Es ist unerhört« - ihr Gesicht lief rot an -, »daß jemand einen der besten praktizierenden Tierärzte verleumdet. Haben Sie eine Ahnung, wer eine solche Dreckschleuder sein könnte?«
»Nein.« Mim setzte sich Harry gegenüber. »Ich habe heute morgen als erstes Colbert und Arthur angerufen und ihnen gesagt, die Ermittlung soll bloß schnell und still vor sich gehen, sonst würde ich allen die Hölle heiß machen.« Sie hob die Hand, als wolle sie einem Publikum Schweigen gebieten. »Ich habe ihnen außerdem gesagt, daß es Zeitverschwendung ist, wo sie doch viel wichtigere Dinge zu tun haben.«
»Ja, und deswegen bin ich hier. Sie sind eine der einflußreichsten Persönlichkeiten im Verband.« Mim murmelte abwehrend, dabei hörte sie es ausgesprochen gern, und Harry fuhr fort: »Ich war heute morgen bei Ned Tucker. Susan hat ihn aufgeklärt. Er sagte, er würde Fair vertreten, unentgeltlich. Er hat ein Schreiben entworfen, ich habe es hier.«
Während Mim las, runzelte sie die Augenbrauen, dann lächelte sie. »Gut gemacht, Ned.«
Das Schreiben besagte in verschlungenem Juristencode, daß Fair nicht beabsichtige, sich ohne formelle Anklage einer Ermittlung zu unterziehen. Wenn man dies einreißen lasse, dann könne jeder Tierarzt, Trainer und Jockey durch zersetzenden Klatsch lahmgelegt werden. Er verlange, daß sein Ankläger sich melde, daß formell Klage erhoben werde. Sobald dies geschehe, werde er sich verteidigen.