»So, fertig.« Cynthia stellte die Nudeln auf den Tisch. »Ißt sie mit uns?«
»Na ja, wenn sie dich stört, setze ich sie auf den Boden, aber Nudeln mit Butter ißt sie zu gern, und sobald sie etwas abgekühlt sind, mache ich ihr einen Teller zurecht.«
»Harry, du verwöhnst die Katze.«
»Nicht genug«, kam die prompte Antwort, als Harry Nudeln für die Katze kleinschnitt und auch für Tucker eine kleine Schüssel zurechtmachte. Sie gab Butter auf ihre eigenen Nudeln, Cynthia ertränkte ihre in einer Muschelsahnesoße.
»Kann ich dich nicht für diese Soße erwärmen?«
»Erwärmen schon, aber ich muß fünf Pfund abnehmen, bevor es richtig Winter wird, sonst werde ich sie vor April nicht mehr los. Susan und ich haben uns letzte Woche geschworen, keinen Winterspeck anzusetzen.«
»Du hast kein Pfund zuviel am Leib.«
»Du mußt dich ja nicht in meine Jeans zwängen.«
»Harry, du liest zu viele Modezeitschriften. Die Models sind magersüchtig.«
»Ich habe keine einzige Modezeitschrift abonniert«, verkündete Harry stolz.
»Natürlich nicht. Du liest, was immer ins Postamt kommt.«
Harry wickelte kleinlaut ihre Nudeln um ihre Gabel. »Na ja, kann schon sein.«
»Du bist die belesenste Person in Crozet.«
Harry lachte. »Das besagt nicht viel.«
»Reverend Jones liest eine Menge.« »Ja, das stimmt. Woher weißt du das?«
»Hab ihm gestern einen dienstlichen Besuch abgestattet.«
»Oh.«
»Ich wollte wissen, wie gut er Coty Lamont, Mickey Townsend und den Rest der Rennbahngesellschaft kannte und ob er Messersammler kennt.«
»Ich schwöre, er kennt mehr Leute als sonst jemand, außer Mim und Miranda. Wußte er etwas über diese?«
»Mehr!« bellte Tucker.
»Nein«, wies Harry den gierigen Hund zurecht.
»Er sagte, er hat Coty Lamont vor Jahren gekannt, als er noch Stallbursche war. Ich habe ihn auch nach Ricks Idee vom Ködern und Vertauschen gefragt. Eine gefälschte Tätowierung auf der Oberlippe eines Pferdes anbringen und es für einen Haufen Geld verkaufen. Herb sagte, das würde heutzutage nicht mehr funktionieren. Es fällt Rick sehr schwer, sich von seiner Lieblingstheorie zu trennen, weil wir in eine Sackgasse geraten sind. Der Chef kann sehr bockig sein.«
»Hübsch ausgedrückt.« Harry schaufelte noch Nudeln auf ihren Teller und nahm sich ein kleines bißchen von der Muschelsoße, die köstlich schmeckte. »Hatte Herb eine Ahnung, was da vorgeht?«
»Nein. Du kennst ihn ja, er kramt gern in der Vergangenheit herum. Er schweifte vom Thema ab und erzählte mir von damals, als Arthur Tetrick und Mickey Townsend beide in Marylou Valiant verliebt waren. Coty Lamont hat Mickey für Arthur ausspioniert.«
»Spioniert?«
»Das falsche Wort. Er hat die Stallburschen bei Mickey ausgequetscht, ob und wann er in dieser Woche mit Marylou verabredet war. Sie ist ungefähr sechs Monate lang mit beiden gegangen und hat dann schließlich mit Arthur Schluß gemacht.« Sie kicherte. »Es fällt schwer, sich Arthur Tetrick als Liebhaber vorzustellen.«
»Marylou wird es vermutlich auch schwergefallen sein.«
Beide lachten.
Cynthia berichtete, was der Pfarrer ihr erzählt hatte. »Herb sagte, als Marylou verschwand, hatte Arthur einen Nervenzusammenbruch.«
»Stimmt. Er mußte für ungefähr eine Woche ins Krankenhaus, wodurch er sich nur noch schlechter fühlte, weil er nicht für die Valiants dasein konnte. Larry Johnson hat ihn eingewiesen.«
»Mim hat sich um die Valiants gekümmert. Das hat Herb gesagt.«
»Ja. Es war schrecklich. Sie setzte eine Belohnung von zehntausend Dollar für Informationen über Marylous Verbleib aus. Sobald Arthur entlassen war, wollte er die Valiants bei sich aufnehmen. Mim sagte ihm, eine Frau könne ihnen besser beistehen als ein Mann. Arthur wollte auf keinen Fall, daß Mickey sie sah, und auch damit war Mim nicht einverstanden. Addie hatte genug gelitten. Sie brauchte Mickey. Das führte wieder zu einem Riesenkrach zwischen Arthur und Mickey. Adelia wurde aufs Internat geschickt, Charles machte seinen Abschluß in Cornell und arbeitete eine Zeitlang in Maryland. Addie kam in den Ferien immer nach Hause, um Mickey zu besuchen. Arthur und Mickey hassen sich, aber richtig. Mickey hat keinen Cent von Marylou bekommen. Er wurde in ihrem Testament nicht bedacht. Sie waren wohl nicht lange genug zusammengewesen. Mim hat ihr Bestes für die Valiants getan - hm, für Marylou, würde ich sagen. Sie war eine wahre Freundin.«
Coop fragte: »Hat Mim etwas von Marylou geerbt?«
»Ein Armband als Andenken. Ich glaube nicht, daß Mim von Arthur jemals Geld für die Ausgaben der Kinder angenommen hat, außer vielleicht für die Ausbildung. Addie ist allerdings auch nicht lange auf dem College geblieben. Sie hat es gehaßt.«
»Ich hatte gerade erst bei der Polizei angefangen, als das alles passierte... Marylous Verschwinden. Ich hatte mit dem Fall nichts zu tun. Die meiste Zeit habe ich das Telefon bedient und den Computer mit Informationen gefüttert, bis ich Rick die Meinung gesagt habe.«
»Das habe ich gar nicht gewußt.«
»O ja. Ich habe ihm gesagt, er läßt mich Sekretärinnenarbeit machen, ich sei aber Polizistin. Er hat mich überrascht, denn er dachte darüber nach und sagte dann:>Sie haben recht. < Seitdem kommen wir gut miteinander aus. Mehr als das. Ich verehre den Kerl. Wie einen Bruder«, beeilte sie sich hinzuzufügen.
Sie aßen ein paar Minuten schweigend. Mrs. Murphy griff sich eine lange Nudel von Harrys Teller. Harry tat, als merkte sie es nicht. Cynthia hütete sich, etwas zu sagen.
»Coop, was ist eigentlich los?« »Verdammt, wenn ich das wüßte. Der Autopsiebericht von Coty Lamont ist gekommen. Vollgekokst. Nigel auch. Keine Fingerabdrücke auf der Leiche. Kein Anzeichen von einem Kampf. Es ist wirklich frustrierend.«
Harry schüttelte den Kopf. »Ich wette, eine Menge von den Burschen nimmt Kokain. Vielleicht standen sie bei ihrem Dealer in der Kreide.«
»Rauschgift ist die Ursache der meisten Verbrechen in diesem Land. Noch eine winzige Kleinigkeit, die darfst du aber nicht weitersagen, das mußt du mir versprechen.«
»Nicht mal Miranda?«
»Nein.«
Harry seufzte tief. Es bedrückte sie, Miranda oder Susan etwas zu verheimlichen. »Okay.«
»Es gibt keinen Nigel Danforth.«
»Was?«
»Falscher Name. Wir können nicht herausfinden, wer er ist oder war. Wir hofften, daß früher oder später jemand, der nicht weiß, daß er tot ist, nach ihm sucht, eine Vermißtenanzeige aufgibt.« Sie legte die Gabel auf ihren weißen Teller. »Das ist allerdings eine vage Hoffnung.«
»Mickey Townsend weiß auch nicht, wer er ist?«
»Nein. Und Rick hat's ihm unter die Nase gerieben. Nicht eben sanft.«
»Huh, ich wette, Mickey hat dem Vesuv Konkurrenz gemacht.«
»Er hat sich beherrscht.«
»Komisch.«
»Finden wir auch.«
»Mickey hat Angst«, „warf Mrs. Murphy ein.
»Schätzchen, du hast genug gehabt.« Harry dachte, die Katze spräche vom Essen.
»Ich wollte, du würdest bloß ein einziges Mal auf mich hören«, murrte Mrs. Murphy.»Er hat Angst, und da ist was in Mims Stall.«
»Undzwar nichts Gutes«, fügte Tucker hinzu.
Harry streichelte die Katze, während Cynthia den Hund mit einem Stückchen Butterbrot fütterte. »Sie hat so ein intelligentes Gesicht.«
»Ach biiitte«, sagte die Katze gedehnt.
»Glaubst du, Mickey hat was mit den Morden zu tun?«
»Ich glaube gar nichts. Ich versuche, Fakten zu sammeln. Er hat für den ersten Mord ein Alibi, weil so viele Leute ihn zur Tatzeit gesehen haben. Er hat Pferde aus den kleineren Ställen aufgeladen. Aber für diesen Mord hat ja jeder ein Alibi. Was den zweiten Mord angeht - jeder hätte es getan haben können. Und wenn wir uns den zeitlichen Rahmen der Hauptbeteiligten vergegenwärtigen, hätte fast jeder Nigel Danforth erledigen können. Wir haben sogar rekonstruiert, wo Charles Valiant zur Zeit des Mordes gewesen ist, weil er und Nigel beim Rennen Streit hatten. Alles lose Fäden.«