»Habt ihr die Verbrecherkartei durchgesehen, ob ihr Nigel findet?«
»Wir haben alles in den Computer eingegeben. Nichts. Wir haben seine Zahnabdrücke rausgeschickt. Nichts. Ich glaube, der Junge ist sauber.« Sie zuckte die Achseln. »Allerdings.«
»Vor den Rennen haben Jim Sanburne und Larry Johnson mich gebeten aufzupassen, weil Charles und Mickey letztes Jahr beim Maryland Cup aneinandergeraten sind«, sagte Harry. »Sie dachten, es würde Ärger unter den Jockeys geben, aber damals wußten sie nicht, daß Addie sich in Nigel verknallt hatte. Von da ist der Ärger jedenfalls nicht gekommen. Komisch.«
»Linda Forloines und Nigel. Ja, wir haben versucht, das zusammenzufügen. Frank Yancey hat Will und Linda getrennt verhört. Die kriegen wir. Ricks Instinkt ist messerscharf. Ich wollte gleich die Fifteen North rauf fahren und sie aufscheuchen, aber Rick hat gesagt, >abwarten<. Er glaubt, daß eine andere Spürnase ihnen in die Suppe spucken wird.«
»Glaubst du, die stecken da mit drin? Ehrlich gesagt, ich verabscheue Linda Forloines dermaßen, daß ich sie schlecht beurteilen kann.«
»Viele Leute verabscheuen sie«, sagte Cynthia. »Sie ist eine kleine Gaunerin, die den Abdeckern Pferde verkauft, während sie den Besitzern erzählt, sie hätte einen guten Platz für sie gefunden.«
»Sie ist so durchschaubar, daß es lächerlich ist - wenn man Pferde kennt.« Harry häufte noch Nudeln auf ihren Teller.
»Sie verkauft wieder Kokain. Rick meint, sie wird uns zu dem Mörder führen - oder zu den Mördern.«
»Ihr denkt also, sie steckt da mit drin.« Harry senkte die Stimme, obwohl sonst niemand da war.
»Linda war es, die Fair indirekt beschuldigt hat, er würde Pferde dopen.«
»Ich bringe das Miststück um!«
»Nein, das tust du nicht«, mahnte Cynthia. »Frank Yancey hat sie sofort durchschaut, als sie ihren>Verdacht< äußerte. Als Colbert Mason vom Verband ein bißchen unruhig wurde, haben wir abgewartet, was er tun würde. Mims Fax vom Brief des Anwalts hat Colbert veranlaßt, sich mit Linda in Verbindung zu setzen und ihr zu sagen, sie müsse formell Klage einreichen. Da hat sie schleunigst einen Rückzieher gemacht.«
»Was ist sie doch für ein jämmerlicher Mensch.«
»Wohl wahr, aber warum hat sie das gemacht, Harry?«
»Weil sie gerne Schlamm aufwühlt, im Trüben fischt, such dir aus, welchen Spruch du willst.«
»Laß dir was Besseres einfallen.« Cynthia räumte das Geschirr zusammen.
»Sie bringt euch von der Spur ab.«
»Wir haben sie beobachtet. Sie ist umgehend zu ein paar von den Leuten geeilt, die sie beliefert. Weniger, um sie zu warnen, als um ihnen das Maul zu stopfen. Das glauben wir zumindest. Wir können allerdings nicht rund um die Uhr jemanden auf sie ansetzen. Wir haben nicht genug Leute in der Abteilung. Wir hoffen, daß sie uns zu dem Lieferanten führt.«
»Hat sie Coty Lamont Koks verkauft?«
»Ja. Sie hat auch Nigel Danforth welches verkauft. Auch sein Blut war voll mit dem Zeug. Jockeys werden stichprobenartig getestet, und wir glauben, sie haben einen Tip gekriegt, wann immer sie getestet wurden.«
Harry stieß einen erstaunten Pfiff aus. »Arme Addie.«
»Wieso?«
»Mein Gott, Cynthia, sie war drauf und dran, sich mit einem Drogenabhängigen einzulassen.«
»Mein Gefühl sagt mir, daß sie auch wieder Drogen nimmt.«
»Da mag ich gar nicht dran denken.«
»Du kannst mir helfen.« Cynthia beugte sich vor. »Das Stilett, das bei diesen Morden benutzt wurde, ist ein sogenannter Silver Shadow. Sie kosten zwischen neunzig und hundertzehn Dollar. Ich habe bei allen Händlern von Washington bis Richmond und Charlotte, North Carolina, nachgefragt. Sie führen keine Listen darüber, wer Messer kauft. Es ist nicht wie bei Schußwaffen. Offensichtlich ist ein Stilett kein Verkaufsschlager, weil es nicht so nützlich ist wie ein Jagdmesser. Nur sechs sind in den diversen Geschäften, die ich angerufen habe, verkauft worden. Ich überprüfe es noch weiter, aber es rutscht auf meiner Liste nach unten, weil wir nach dem zweiten Mord überlastet sind. Der Druck der Presse hat uns gerade noch gefehlt. Rick möchte den Streifenwagen am liebsten gegen einen Panzer tauschen und die Pressegeier überrollen.« Sie hielt inne. »Wenn du irgendwas über Messer sehen oder hören solltest - sag's mir.«
»Klar.«
»Noch etwas.« Harry machte ein fragendes Gesicht, und Cynthia fuhr fort: »Wenn hier Rauschgift im Spiel ist, könnte es sein, daß die Person, die diese Verbrechen begangen hat, nicht rational handelt.«
»Kann ein Mörder überhaupt rational handeln?«
»Absolut! Ich sage ja nur, spiel lieber mit verdeckten Karten.« Sie zuckte zusammen. »Ich wünschte, das hätte ich nicht gesagt.«
»Ich auch«, fiel die Katze ein.
24
Die Füchse blieben im Bau, die Feldmäuse kuschelten sich in ihre Nester, die Blauhäher, diese großmäuligen Diebe, wagten sich nicht hinaus Der Regen ließ schließlich nach, doch die Temperatur sackte ab, und festes Eis bedeckte den Erdboden.
Zum Glück gab es nicht viel Verkehr, da Sonntag war. Das verringerte zwar die Zahl der Karambolagen, gab aber auch den meisten Menschen das Gefühl, bei sich zu Hause von der Welt abgeschnitten zu sein.
Mrs. Murphy jagte auf dem Heuboden, während Tucker in der geheizten Sattelkammer schlief. Simon, das Opossum, schlummerte tief auf seiner alten Pferdedecke, die Harry zu seinem Wohl gestiftet hatte. Die Eule oben in der Kuppel schlief ebenfalls.
Die Tigerkatze wußte, wo die Kletternatter schlief, und machte einen großen Bogen um sie. Die Natter war inzwischen fünf Jahre alt und selbst im Winterschlaf eine furchteinflößende Erscheinung.
Murphy kauerte auf einem Heuballen, einer wohlduftenden Mischung aus Wiesengras und Alfalfa, und lauschte auf die piepsenden Mäuse. Sie hatten in der hinteren Ecke des Heubodens einen Heuballen ausgehöhlt und Bindfäden, Papierstückchen, sogar Bleistiftstummel hineingeschleppt, bis die Behausung richtig eingerichtet und kuschelig war. Mrs. Murphy wußte, daß regelmäßig eine Maus herauskam, über den Heuboden und seitlich eine Box hinunter- und dann zwischen den Gitterstäben hinaushuschte. Das Ziel war gewöhnlich die Futterkammer oder die Sattelkammer. Die Mäuse hatten ein Loch in Harrys verblaßte jägergrüne Stalljacke gefressen. Mrs. Hogendobber hatte sie ihr geflickt, denn für Harry war Stallarbeit ohne diese Jacke unvorstellbar.
Harry warf Tomahawk, Gin Fizz und Poptart halbe Futterrationen vom Heuboden herunter, was bei den Tieren unten endloses Gejammer hervorrief. Wenn die Pferde nicht ins Freie gebracht und ordentlich bewegt werden konnten, schränkte Harry die Futtermenge ein. Sie fürchtete Koliken wie die Pest. Ein Pferdedarm konnte verstopfen oder, schlimmer noch, sich verdrehen, und dann wälzte sich das Tier in seiner Qual auf der Erde und verendete manchmal sehr schnell. Normalerweise konnte eine Kolik aber wirksam behandelt werden, wenn sie früh genug erkannt wurde.
Die drei Pferde - zwei Wallache und eine Stute -, aufsässig, da bei guter Gesundheit, konnten sich eine Kolik nicht vorstellen, und so schimpften und stöhnten sie, knallten ihre Futtereimer scheppernd gegen die Wand und riefen einander zu, was für ein schrecklicher Mensch Harry sei, sie um ihr Futter zu betrügen.